Raus aus der Falle zwischen Überfremdung und Unmenschlichkeit
Die letzten Landtagswahlen haben gezeigt, dass die Falle für Deutschland zuschnappt. In der Angst vor Überfremdung wählen die Deutschen eine Partei, welche die Sündenbockmethode perfide ausreizt. Die Angst lässt die Menschen so verblenden, dass sie eine Partei wählen, die die Reichen noch reicher und die Armen noch ärmer machen will. Aber es gibt Auswege.
Wie kann es zu solch einer Situation kommen? Es sind die irdischen Ängste der Menschen, die sie irreleiten. Jeder weiß, dass sein irdisches Leben ein Ende haben wird. Ob er an Gott glaubt oder nicht, er weiß, dass seine Zeit begrenzt ist. In diesem Rahmen erhofft er sich ein „gutes“ Leben. Dieses „gute“ Leben ist verbunden mit Gemütlichkeit.
Jeder Mensch, der „anders“ ist, rüttelt an dieser Gemütlichkeit. Warum werden z.B. Konvertiten am meisten gehasst. Warum wird ein Deutscher, der den Islam annimmt, mehr gehasst als ein geborener Muslim, warum ein konvertierter Katholik mehr als ein geborener? Die Antwort ist die gleiche: Er rüttelt an der Gemütlichkeit. Ich bin als Muslim, Christ, Jude, Katholik, Protestant, Sunnit, Schiit, Türke, Deutscher, Kurde usw. geboren und da soll niemand daran „rütteln“. Das ist keine Bekenntnis sondern wie eine Augenfarbe. Ich kann da nichts dafür, ich will darüber nicht nachdenken, und schon gar nicht über den Tod. Ich glaube, dass es meine Identität sei, aber in Wirklichkeit ist es mein selbst auf- und ausgebautes Gefängnis. Ich will so bleiben wie ich bin! Und die Werbung verspricht mir: „Du darfst“.
Jeder Konvertit rüttelt an diesen Gemütlichkeitsfesten! Er zeigt, dass man durch Überlegungen zu dem Schluss kommen könnte, dass das Vorleben auf den falschen Bahnen ablief. Aber das will ich nicht! Wie ein Alkoholsüchtiger, der seine Sucht nur überwinden kann, wenn er die Quelle seiner Sucht völlig abwirft und nie wieder darauf zurückgreift, hängen die meisten Menschen wie Süchtige an dem vorgegebenen Leben. Es ist ein materialistisches Leben. Sicherlich hat niemand etwas dagegen, wenn jenes materialistische Leben etwas mehr materialistisch werden kann, man selbst reicher wird und mehr Geld ausgeben kann, den Urlaub teurer gestalten kann usw., aber am Grundprinzip des vorgegebenen Lebens ändert das gar nichts! Es ist das gemütliche Leben, dessen Zeit unerbittlich abläuft, und jeder spürt es. Ein Konvertit ist eine Gefahr, nicht in dem Sinn, in dem die Sicherheitsbehörden das Thema aufbauschen, sondern eine Gefahr für meine Gemütlichkeit, eine Gefahr, dass ich darüber nachdenke, ob mein Leben nicht nachdenkenswert ist. Er ist eine Gefahr für meine Tradition! Aber was ist, wenn meine Tradition mich in die Irre geleitet hat?
Genau wie jeder Konvertit ist auch jeder Flüchtling eine Gefahr. Er hat etwas getan, was ich mir gar nicht vorstellen möchte. Er hat alles stehen und liegen lassen, um seine Familie zu retten. Er hat sein Leben auf den Kopf gestellt, sämtliche Vergangenheit zurück gelassen, um seine Familie zu retten. Er weckt Ängste in jedem von uns. Wären wir dazu bereit, wenn wir merken, dass ein anderer Weg der bessere sein könnte? Würden wir alles Vergangene stehen und liegen lassen, um diesen neuen Weg einzuschlagen, selbst wenn er steinig, gefährlich und sogar lebensbedrohlich ist. Haben wir noch so viel Hoffnung auf die Zukunft, dass wir neu anfangen wollten? Oder sind wir an unserer Gemütlichkeit so erstickt, dass wir uns gar keinen Neuanfang mehr vorstellen können? Wer wollte schon sein gesamtes früheres Leben abwerfen, sich sozusagen entblößen, um neu anzufangen? Aber werden wir nicht zwangläufig eines Tages nackt dastehen und neu anfangen müssen, evtl. mit einer unglaublichen Last im Rücken? Das macht uns Angst? Der Flüchtling hat sein Leben in seine eigene Hand genommen in extrem schweren Umständen. Ich habe im Verglich extrem leichte Lebensumstände und nehme mein Leben dennoch nicht in meine Hand. Der Flüchtling führt mir einen Spiegel vor, der mir Angst mach. Er zeigt mir, wie ich bin, und das hatte ich verdrängt. Möchten nicht viele Deutschen dem Alltag entfliehen? Tun sie das nicht temporär durch Drogen und Alkohol? Fliehen sie nicht in unsinnige Riten und tanzen die geistige Verdummungspolonaise, in dem sie Möchtegernstars beim Essen von lebendigen Käfern zusehen? Die sogenannten Kriegsflüchtlinge und Wirtschaftsflüchtlinge fliehen aus einem unerträglichen lebensbedrohlichen oder zumindest ökonomisch unmenschlichen Umfeld nach Europa. Aber würden nicht all zu gerne auch viele Deutsche gerne fliehen? Würden nicht viele gerne aus ihrem Alltag fliehen, einer monotonen teils unmenschlichen Arbeitswelt entfliehen? [1] Sind nicht die Sender voll mit Abenteuern von Freiheit und Selbstverwirklichung? Spürt nicht die Kassiererin im Supermarkt, dass der Flüchtling sich wohl mehr selbst verwirklicht hat, als sie es jemals wird können? Das macht Angst.
Da kommen dann diejenigen, die uns seit Tausenden von Jahren Sündenböcke vorstellen, Sündenböcke, die der vermeintliche Grund für unsere Ängste sein sollen. Die Sündenböcke nehmen uns das Geld weg. Stimmt nicht, aber gegen die Bänker habe ich ja eh keine Chance. Die Sündenböcke wollen uns überfremden. Stimmt nicht, und schon gar nicht in Sachsen (!), aber gegen die USA kann ich mich ohnehin nicht wehren. Die Sündenböcke wollen unsere Frauen schänden. Stimmt nicht, aber gegen die gesamte Pornoindustrie, die öffentliche Entwürdigung der Frau, die Vermarktung jeglicher Sexualität für Materielles kann ich mich doch nicht wehren. Und so weiter und so fort. Der Sündenbock ist wie eine Art „Befreiung“. Denn wollte ich wirklich gegen die wahren Ursachen des Übels in der Welt aufstehen, dann müsste ich mein Leben ändern, ich müsste meine Vergangenheit ablegen und für eine hoffnungsvolle Zukunft eintreten, ich müsste Ideale und Hoffnung haben. Selbst wenn ich sie selbst nicht mehr miterlebe, würden meine Enkel die Früchte der heute gesäten Bäume ernten können. Aber dafür müsste ich mich ändern. Davor habe ich Angst! Da kommt mir der Sündenbock sehr gelegen.
Die Abwehrreaktionen in der Gesellschaft sind nicht rational. In Sachsen, wo es kaum Muslime gibt, wählen die Leute die betont antiislamische Partei, die den Leuten auch den Mindestlohn wegnehmen und den Spitzensteuersatz der Reichen senken will. Die Sündenbockmethode verbunden mit Hass lässt die Menschen in Dunkelheiten umherirren. Warum können die Reichen und Mächtigen immer die Dümmsten für ihre eigenen Zwecke einspannen? Wie kann es sein, dass jene Menschen nicht nur gegen ihren Sündebock agieren, sondern auch gegen ihre eigenen Interessen? Die Irrationalität hat mit uns allen zu tun. Wer auf die Willkommenskultur allergisch reagiert, der hat möglicherweise sowohl in seiner Kindheit als auch als Erwachsener nie eine echte Willkommenskultur erlebt. Wenn er dann die Parole liest „Deutsche zuerst“, dann wählt er auch als Hilferuf irrational. Ich will auch einmal Willkommen sein! Daher wehre ich mich! Diese Gegenwehr führt dazu. Dass wir unmenschlich werden. Menschen, die auf dem Weg zu uns im Meer ertrinken, sind zwar auch nicht, was wir wollen. Doch ich habe keine Wahl. Entweder Überfremdlung oder Unmenschlichkeit. Scheinbar lässt mir die Welt keine andere Wahl und daher tappe ich diese Falle!
Aber liegt es nicht in unserer Hand, die Willkommenkultur für alle in unserem Land zu etablieren. Wollen wir nicht alle Liebe erfahren? Und wenn wir hinreichend Liebe erfahren würden, würden wir sie dann anderen verwehren? Was ist das Hindernis für diese Liebe? Im tiefsten Inneren wissen wir es: Es ist der Kapitalismus. Es ist der Imperialismus. Es ist unser eigenes System! Es ist die Anbetung des Goldenen Kalbes, dem sich alles und jeder unterzuordnen hat. Es sind die Lügen, die uns tagtäglich aufgetischt werden, um das Goldene Kalb immer mehr mit Gold beschlagen zu können, mit dem Gold, mit dem wir die ganze Welt retten könnten! Wollte die Bundesregierung nicht die Fluchtursachen bekämpfen? Genau jene Bundesregierung hat erst vor wenigen Tagen neue Waffenlieferungen an die Saudis genehmigt, einem der Hauptverursacher der Flüchtlinge! Ja, das verstehen wir nicht, und das macht uns Angst.
Dazu hat Imam Chamene’i an seinem ersten Brief an die im Herzen jung gebliebenen in der Westlichen Welt geschrieben: „Mit diesen Zeilen wende ich mich auch nicht an Eure Politiker und Regierungsverantwortliche, denn ich bin mir sicher, dass sie bewusst den Weg der Politik von dem Weg der Aufrichtigkeit und Rechtschaffenheit getrennt haben.“ [2]
Wo bleibt die deutsche Kultur? Wohin wurde das Christentum verbannt, dass man eine der wichtigsten Aussagen Jesu vergisst? „Fürchtet Euch nicht“ (Matthäus 28:10), eine Aussage, die von den Engeln wiederholt wird. Im Heiligen Qur’an sagt Gott zu Moses und Aaron „Fürchtet euch nicht, den ich bin bei Euch“. Nur wer den Geist Gottes in seinem Herzen versucht zu leben durch Einsatz für Gerechtigkeit auf der Seite der Armen und Schwachen, der wird keine Angst verspüren. Ihn kann man nicht auf Südenböcke jagen, denn er hat keine Angst davor dem Pharao der Zeit die Stirn zu bieten. Solch einen Menschen kann man nicht vor die Wahl stellen Überfremdung oder Unmenschlichkeit. Er tappt nicht in jene Falle! Er weiß vielmehr, dass Menschlichkeit der Sinn seines Lebens ist und jene Menschlichkeit ihn zur Quelle der Liebe führen wird. Er hat keine Angst vor dem „Fremden“, ist er doch selbst ein Fremder in dieser Welt, die er eines Tages verlassen wird. Seine einzige Sorge ist, dass er die Menschlichkeit verlieren könnte.
Er liest die Zeilen Imam Chamene’is, in denen es heißt: „Ein Kind, das vor den Augen seiner Lieben stirbt, eine Mutter deren Familie plötzlich in Trauer versinkt, nachdem vorher Freude herrschte, ein Mann, der den leblosen Körper seiner Frau eilig wegträgt oder ein Zuschauer, der nicht weiß, ob er gerade seinen letzten Auftritt auf der Bühne seines Lebens erlebt – das sind alles Szenen, von denen der Mensch innerlich berührt wird. Wer nur ein wenig Liebe und Menschlichkeit besitzt, den schmerzen solche Szenen, ob sie sich in Frankreich abspielen oder in Palästina, im Irak, im Libanon oder in Syrien.“ [3] Gilt das nicht auch in unserem Mitgefühl für die Flüchtlinge? Und dann heißt es: „Ich bin davon überzeugt, dass nur Ihr junge Leute aus den Unbilden von heute Lehren ziehen, neue Lösungen für die Gestaltung der Zukunft finden, und die Irrwege blockieren könnt, welche den Westen in die jetzige Lage versetzt haben.“
Ja, wir müssen die Gestaltung der Zukunft in unsere Hand nehmen, innere gemeinsame Hand aller derjenigen, die Menschlichkeit verspüren, unabhängig davon an was sie glauben. Wir können das schaffen! Und wir können weltweit eine neue Willkommenskultur etablieren, eine Willkommenskultur für alle Unterprivilegierten, deren Liebesempfang ihre Gesichter erhellen werden und diese Licht unsere Herzen wiederum mit noch mehr Liebe füllen.
Ich höre schon wieder die Unkenrufe derjenigen, die mir zurufen: „Yavuz, jetzt spinne doch nicht wieder diese Story von der Liebe herum. Du kennst doch die Probleme, die wir mir den Flüchtlingen haben. Du weißt doch dass diese Dinge nicht mit einigen Zeilen auf Deiner Tastatur lösbar sind!“ Ja, das weiß ich! Aber ich weiß auch, dass die Angstkultur den Menschen eine Gabe genommen hat, die ihn vom Tier unterschiedet: Seinen Idealismus! Der Idealist ist nicht der Gegner des „Realos“, wie man es uns weismachen will. An der Realität orientiertes Verhalten ist das Verhalten eines jeden vernunftbegabten Menschen. Aber wer seine Ideale deswegen aufgibt, verliert sehr viel! Es ist der Idealismus, der uns antreibt, der Idealismus, der die Menschheit immer wieder zum Guten verändert hat. Denn der Idealismus strebt ein Ideal an, und das Ideal ist die einzige wahre Existenz und Quelle aller Liebe!
„Deshalb bitte ich Euch, junge Menschen, aufgrund korrekter Kenntnis und tiefer Überlegung, und durch Nutzung der Lehren aus unangenehmen Erfahrungen, die Grundlagen für einen gesunden und ehrenhaften Austausch mit der Welt des Islam zu legen. Dann werdet Ihr in nicht allzu ferner Zukunft sehen, dass das Bauwerk, welches Ihr auf diesem Fundament errichtet habt, einen Schirm der Zuversicht und des Vertrauens über seinen Architekten ausbreitet, ihnen wärmende Sicherheit und Ruhe spendet, und das Licht der Hoffnung auf eine klare Zukunft in der Welt verbreitet.“ [3]
[1] Was machen diese Bilder mit uns? Die Zeit, 17.3.2016, Seite 41
[2] http://www.offenkundiges.de/wp-content/u...mamchamenei.pdf
[3] http://www.schia-blog.de/wp-content/uplo...hirmversion.pdf