Warum ich morgen die BIG wählen werde
Viele Leser meiner Artikel fragen mich immer wieder, wen ich denn morgen bei der Europawahl wählen würde. Selbstverständlich könnte ich mich auf das Wahlgeheimnis berufen und die Antwort verweigern, aber das wäre aus meiner Sicht nicht fair, denn schließlich fragen mich die Fragenden auch nach meinen Argumenten diesbezüglich. Vorweg: Ich bin kein Mitglied irgendeiner Partei!
Zunächst einmal bin ich der Meinung, dass jeder Wahlberechtigte wählen gehen soll. Denn geht er nicht wählen, wird seine Stimme genau in dem Verhältnis gewertet, wie die Wähler gewählt haben. Wenn z.B. die in meinen Augen extrem islamfeindliche Partei AFD 10% der Stimmen erhält, so ist jeder Nichtwähler 10% Mitschuld an deren Erfolg. Wählt er jedoch eine andere Partei, hat er individuell keine Schuld an den Stimmen der AFD. Daher kann ich das Argument mancher Muslime nicht nachvollziehen, wir dürften in einem System nicht wählen, dass die Autorität Gottes nicht anerkennt. Sie verkennen ein grundsätzliches islamisches Prinzip, dass ein Muslim nicht nur dann eine Wahl zu treffen hat, wenn er zwischen richtig und falsch wählen muss, sondern auch dann, wenn er nur die Wahl zwischen falsch und noch falscher hat. Die Wahl des geringeren Übels ist ein koranisch verankertes Prinzip des Islam [1]. Und meine Schlussfolgerung im Fall von Wahlen ist, dass es das geringere Übel ist zu wählen, als meine Stimmen z.B. anteilig der AFD zu schenken.
Kommen wir aber nun zur Frage, wen meine Wenigkeit wählen wird. Ich habe inzwischen aufgehört bei den etablierten Parteien eine Stimme für Muslime zu suchen. Sie unterscheiden sich lediglich in ihrem Grad des Hasses auf den Islam. Das drückt sich unter anderem in der inzwischen kaum noch verdeckten propagandistischen Kriegsführung gegen das Kopftuch, das Fasten und viele andere Riten des Islam aus. Keine der etablierten Parteien befragt in Fragen des Islam einen wirklich ausgebildeten islamischen Theologen irgendeiner Rechtsschule. Stattdessen werden selbsternannte Imaminnen als „Experten“ vorgeschoben, die im Schnellkurs beten gelernt haben und deshalb sich jetzt berufen fühlen, unterstützt durch perfide Medienmacht sich gegen das Kopftuch der muslimischen Frau zu engagieren. Aber auch in der allgemeinen Familienpolitik arbeiten fast alle etablierten Parteien im missbrauchten Namen einer jüdisch-christlichen Prägung an der Zerstörung der Familie. Die sogenannte Ehe für alle ist hierbei noch nicht einmal die größte Katastrophe aus Sicht eines gottesehrfürchtigen Gläubigen. Die Tatsache, dass zwei Väter ein Kind adoptieren dürfen, entreißt dem Kind die ihm zustehenden Entfaltungsmöglichkeiten und das Menschenrecht vom Zusammenspiel beider Geschlechter geprägt zu werden, noch dazu in einem Land, in dem viele kinderlose Ehepaare kein Kind zum adoptieren finden.
Während die etablierten Parteien allesamt in der Innenpolitik einen Feldzug gegen die praktizierenden Muslime führen, sieht es in der Außenpolitik noch übler aus. Während vom Volk gewählte Vertreter ihres Landes wie in der Türkei oder Iran mit einer zunehmend kriegslüsternen Propaganda überzogen werden, haben die etablierten keinerlei Probleme mit reinsten Diktaturen, so lange sie westlichen Interessen dienen. Die Welt sieht für jene Parteien schwarz-weiß aus. Es gibt Staaten, die dem Kapitalismus hörig sind, und Staaten, die sich nicht unterwerfen. Erstere sind gut, völlig unabhängig davon, wie sehr der Diktator sein eigenes Volk massakriert, zweitere sind schlecht, selbst wenn sie vom Volk getragen werden. Einige Linke werden einwenden, dass sie auch antikapitalistisch seien, aber das beschränkt sich nur auf wenige Gebiete. Bei dem Wunsch, die muslimische Welt weiter zu spalten (wie z.B. durch einen Kurdenstaat), anstatt eine Vereinigung zu unterstützen, sind die Linken eher Vorreiter. Die selbst in Deutschland als terroristisch eingestufte PKK kann hier auf Demonstrationen problemlos die Symbole ihrer Organisation zeigen, während jegliche Sympathie für die als Partei nicht so eingestufte Hizbullah aus dem Libanon als Verbrechen gewertet wird. Und da sind wir auch schon bei dem Thema, bei dem fast alle Parteien Deutschlands sich absolut einig sind, und AFD dabei sogar eine Vorreiterrolle spielt. Der Apartheidsstaat Israel wird von allen Parteien nahezu vorbehaltlos unterstützt. Selbst ein friedlicher Boykott gegen den Apartheidsstaat wird bekämpft und über sieben Jahrzehnte Besatzung klaglos und vor allem ohne Konsequenzen hingenommen. Keine einzige deutsche Partei würde es wagen Palästina anzuerkennen, obwohl es in Europa Staaten gibt, die das getan haben. Und obwohl inzwischen auch der noch so US-fanatische West-Extremist erkannt hat, dass die USA der größte Völkerrechtsverbrecher der Welt ist, halten die Parteien die transatlantische Beziehung dennoch für notwendig und glauben immer noch viel zu viele Lügen der Kriegspropaganda der USA. Die Liste der Gründe für die Unwählbarkeit jener Parteien könnten Bücher füllen. Gäbe es keine Alternative für Muslime, dann müssten man jene Partei wählen, die das geringste Übel darstellt.
Aus muslimischer Sicht gibt es aber gleich zwei Parteien, die vorgeben auch muslimische Interessen zu vertreten, die ADD (Allianz Deutscher Demokraten) und die BIG (Bündnis für Innovation und Gerechtigkeit). Das ist aus muslimischer Sicht traurig, denn während sie zusammen eine ernsthafte Chance hätten den einen oder anderen Abgeordneten ins Europaparlament zu senden, wird es gepalten schwierig. Die Spaltung geht meines Erachtens von denjenigen aus, die sich später gebildet haben. Die ADD macht keinen Hehl daraus, dass sie eine Art Partei für türkischstämmige Migranten ist, die eine gewisse Erdogan-Nähe verspüren (was ja auch durch den einseitigen Vorstand und die Kandidaten belegt ist). Das ist meines Erachtens aber kein islamischer Ansatz. Der Islam in Deutschland ist sehr bunt, hat viele Facetten und vor allem sehr viele Herkunftsländer, darunter auch deutschstämmige Muslime. Zudem muss ein Muslim sich vor allem für Gerechtigkeit in der Politik einsetzen, völlig unabhängig davon, welcher Konfession die Wähler angehören. Gerechtigkeit in der Innen- und Außenpolitik kann aber nicht von abgehoben Polit-Profis vorgelebt werden, sondern bedarf Menschen, die mit beiden Beinen im Leben stehen und mit dem Volk zusammenleben, auch mit den Ärmsten im Volk. Die Funktionsträger der BIG sind Menschen, die in der gleichen Reihe beten, wie der ärmere Bürger und mit ihm zusammen am gleichen Tisch (auch auf dem Boden sitzend) ihr Fasten brechen. Es sind Leute, die in verschiedenste Moscheen gehen.
Ein Einwand, den mir einige muslimische Geschwister genannt haben, die Partei nicht zu wählen, war das Argument, die BIG würde Schiiten hassen. Selbst wenn das so wäre, wählt ein gerechtigkeitsliebender Mensch nicht nach persönlichen Interessen, sondern danach, wer sich für mehr Gerechtigkeit insgesamt einsetzt. Wer wird denn meine Enkelin vor dem Entblößungswahn der etblierten Politiker schützen? Wer wird sich dafür einsetzen, dass das Kinderfasten meiner Enkel nicht zu einem Politikum in der Schule wird mit autoritären Zwangsandrohungen des Jugendamtes usw.? Zudem bezweifle ich, dass diese Schiitenfeindlichkeit ein Parteielement ist, denn unter den Funktionsträgern sind viele mit Sympathien für die dschafaritische Rechtsschule. Mag sein, dass die Partei bei der Syrienfrage nicht meinen eigenen Vorstellungen entspricht, aber Syrien ist kein Thema für Deutschland, außer es geht um deutsche Soldaten oder Waffenlieferungen, und hierbei ist die BIG gegen derartige Interventionen Deutschlands. Den Vorsitzenden der Partei Haluk Yildiz kenne ich nicht persönlich, aber den Kandidaten und Hamburger Rechtsanwalt Nils von Bergner [2], mit dem ich nicht nur in Facebook befreundet bin [3]. Und er ist ein aufrichtiger Mensch, für den es allein bereits lohnt, seine Stimme abzugeben. Die BIG hat viele Kandidaten aus sehr unterschiedlichen Herkunftsländern der Eltern [2] und auch zwei Kandidatinnen mit Kopftuch.
CDU/CSU, SPD, FDP, Grüne, Linke, AFD und einige weitere Parteien haben in den letzten Jahren den einheimischen Muslimen klar gemacht, dass sie darüber bestimmen wollen, wie wir unseren Glauben zu leben haben. Mit dieser unvorstellbaren Anmaßung haben sie zu einer Spaltung der Gesellschaft beigetragen, die kaum noch rückgängig machbar ist. So müssen die muslimischen Wähler ihre eigenen Interessen in Zukunft durch die Wahl der eigenen Volksvertreter unterstützen. Ganz sicher wird Deutschland in von Menschen absehbarer Zeit nicht „islamisiert“ werden. Aber wahre Gerechtigkeit einzufordern sollte für alle Menschen unabhängig von ihrer Konfession möglich sein. In der Generation unserer Enkel sehe ich ein Potential von bis zu 10% Wählern, die danach stabil bleiben oder geringfügig anwachsen dürfte. Den Grundstein dafür zu legen liegt in der Hand von mir als Opa. Wir säen den Keim und wässern ihn. Bis der Baum daraus entwächst und Früchte abwirft, vergehen Generationen. Doch hätten unsere Großeltern keine Bäume gepflanzt, hätten wir die Früchte nicht ernten können.
Abschließende Frage. Warum schreibe ich ausgerechnet am Morgen zwischen zwei heiligen Nächten, nach der schweren Kopfverletzung Imam Alis (a.) und vor seinem Martyrium, wobei wir letzte Nacht 1001 Anrufungen Gottes ausgerufen haben, ausgerechnet eine schnöden, weltlichen, politischen Text? Die Antwort ist ganz einfach: Der Einsatz für Gerechtigkeit ist der höchste Einsatz, den ein Mensch auf Erden praktizieren kann. Wären mein Gebet, mein Fasten, meine Pilgerfahrt und alle anderen Riten nicht für die Gerechtigkeit, wären sie wertlos. Der Schöpfer ist die Quelle aller Gerechtigkeit und „der Gerechte“ einer seiner bedeutsamsten Anrufungen, die ich gestern Nacht gerufen habe: „o Mächtigster der Regierenden, o Gerechtester der Gerechten, o Aufrichtigster der Aufrichtigen, o Reinster der Reinen …“ [4]. Daher gehe ich morgen zur Wahl und wähle – so Gott will – die BIG.
[1] http://www.eslam.de/begriffe/p/prinzip_d...eren_uebels.htm
[2] https://big-europawahl-2019.de/kandidaten-2019/
[3] https://www.facebook.com/nilsvonbergner
[4] http://www.eslam.de/manuskripte/bittgebe...an-ul-kabir.htm