Ab wann darf eine Muslima Kopftuch tragen?
Antwort an alle Politiker, die ihre politische Inkompetenz durch den Ruf nach einem Kopftuchverbot zu vertuschen suchen.
Wenn das Thema nicht so traurig wäre, könnte man es so wie der neue Abgeordnete im Europaparlament Nico Semsrott darstellen, der gleich sämtliche Probleme der Bundesrepublik durch das Kopftuchverbot löst [1].
Bereits im Jahr 2003 hat der Zentralrat der Muslime in Deutschland unmissverständlich festgestellt: „Bei allen sunnitischen und schiitischen Rechtsschulen besteht Konsens darin, dass die Kopfbedeckung für Frauen zu den Kleidungsvorschriften gehört, die verpflichtenden Charakter haben.“ Die Aussage war derart klar, dass selbst die Bundeszentrale für politische Bildung diese Aussage in die damalige Debatte eingeworfen hat [2]. Dennoch bemühen sich bestimmte Kreise der deutschen Politik diesen religiösen Ritus mit aller Macht abzuschaffen. Dabei bedienen sie sich derart absurder Methoden, dass spätere Generationen sich durchaus die Frage stellen werden, ob westliche Demokratien lediglich geistig ungereifte Gestalten zu politischen Verantwortungsträgern berufen. So wird z.B. eine selbsternannte Imamin mit mäßigem Unterhaltungswert zur Kronzeugin westlichen Islamverständnisses erhoben, obwohl sie nachweislich über keinerlei islamische Expertise verfügt.
Der jüngste Angriff von einer Reihe von deutschen Politikern auf das islamische Kopftuch betrifft das Grundschulalter; wenn man nicht sitzen bleibt und erst spät mit sieben Jahren eingeschult wurde, betrifft es Mädchen bis elf Jahren. Um das grundgesetzlich verankerte Gebot der Religionsfreiheit nicht zu gefährden, wird von Seiten der Politik stets damit argumentiert, dass der Islam eine Kopftuchpflicht in der Altersstufe gar nicht vorschreibe. In diesem Fall werden als Kronzeugen islamische Hochschullehrer an deutschen Hochschulen zitiert, die jederzeit bedroht sind, ihren Job oder zumindest Forschungsgelder zu verlieren, falls sie nicht „liberal“ genug antworten. Dabei sind die Positionen der Muslime ja keine Geheimnisse.
Für die Schiiten ist die Frage nach dem Eintrittsalter für das Kopftuch sehr leicht zu beantworten. Nach übereinstimmender Meinung aller Großayatollahs beginnt die religiöse Reife eines Mädchens mit knapp neun Jahren. Daher schreibt auch der Vertreter gleich mehrerer religiöser Autoritäten in Deutschland Hodschat-ul-Islam Professor Dr. Mofatteh (Leiter des Islamischen Zentrums Hamburg) zur Debatte: „Für die Rechtsschule der Schia können wir festhalten, dass die authentischen islamischen Quellen und die darauf basierenden Rechtsurteile der schiitischen Rechtsgelehrten einstimmig das Erreichen der religiösen Mündigkeit von Mädchen mit der Vollendung von neun Mondjahren festlegen. Das entspricht etwa acht Jahren und neun Monaten nach dem Sonnenkalender.“ [3]
Die Mehrheit der sunnitischen Muslime in Deutschland verfügen zwar nicht über solch eine anerkannte Autorität im Land, aber über hinreichend authentische Quellen, die jeder nachprüfen kann. In der weltberühmten türkischen Enzyklopädie des Islam (Islam Ansiklopedisi) wird eine Art Mindestalter für die religiöse Reife von Mädchen mit 9 Mondjahren festgelegt [4]. Als Voraussetzung wird allerdings angegeben, dass bestimmte körperliche Merkmale (z.B. Menstruation) vorhanden sein müssen. Das gilt bis zum Höchstalter von 15-17 Jahren (je nach Rechtsschule), ab der man auch ohne Geschlechtsreife als Erwachsen gilt. In der Zeit zwischen Mindestalter und Höchstalter, was Sunniten als „Muharik“ bezeichnen, gilt für Frauen dennoch die Bedeckungspflicht [5].
Fassen wir zusammen: Allen islamischen Rechtsschulen ist gemeinsam die Bedeckungspflicht spätestens mit dem Einsetzen der Periode und bei manchen ab neun Jahren. Es wird auf allgemeinen Infoseiten darauf verwiesen, dass in Deutschland bei einem Mädchen ihr erster weiblicher Menstruationszyklus im Alter zwischen 10 und 16 Jahren einsetzt. Doch die Sensationspresse kennt durchaus Fälle in Europa, in der ein zehnjähriges Mädchen Mutter und damit mit neun Jahren schwanger geworden ist [6]. Verständlicherweise wird nicht jede körperlich Neu-Geschlechtsreife gleich schwanger. Würde man also im Grundschulalter das Kopftuch verbieten, würde man es auch Mädchen verbieten, die aus religiösen Gründen es tragen würden und es auch wollen.
Ein weiterer Aspekt bleibt bei der Debatte völlig außen vor. Verantwortungsbewusste Eltern erziehen ihre Kinder zu den religiösen Riten nicht derart, dass jene Riten bis zum Alter der religiösen Reife völlig unbeachtet bleiben und dann schlagartig von einem Tag auf den anderen erfüllt werden müssten. Vielmehr wird das Kind Stück für Stück an die Riten herangeführt. So „fastet“ z.B. ein Kind im Grundschulalter von morgens bis mittags. Zwar hat das Kind auch sonst kaum etwas zu sich genommen während der Schulzeit, aber jetzt ist es eben „offiziell“. Weil es für diese „Meisterleitung“ auch entsprechend Anerkennung wünscht, faselt es bereits um zehn Uhr am Vormittag davon, wie schwer es ihm fällt, er es aber durchhalten will. Dieses kindliche Aufmerksamkeitsgebaren führt islamhassende Lehrer gleich dazu, mit dem Jugendamt zu drohen. Die Verrohung gegen den Islam und die Muslime angeführt von der Politik kennt immer weniger Grenzen. Der Kampf gegen den Islam wird jetzt auch noch im Namen des Kinderschutzes geführt.
Mädchen tragen das Kopftuch nicht von einem Tag auf den anderen. Viele Kindergärtnerinnen haben die Erfahrung gemacht, dass muslimische Mädchen manchmal mit Kopftuch kommen und am nächsten Tag wieder ohne. Der Wunsch die eigene geliebte Mutter nachzuahmen ist kein auf die Muslime begrenztes Phänomen. Manche Kinder, deren Eltern mit zerrissenen Hosen herumlaufen, wünschen sich auch zerrissene Hosen. Würde man in dem Fall wegen Verwahrlosung das Jugendamt einschalten?
Der Kampf gegen das Kopftuch ist ein Kampf gegen den Islam in Deutschland. Er wird inzwischen von allen großen Parteien und allen Gesellschaftsschichten geführt. Das führt unweigerlich zu einer Spaltung der Gesellschaft, die sich dadurch selbst schadet. Profiliersüchtige Politiker, die aufgrund eines rassistisch motivierten Stimmenfangs das Kindeswohl vorschieben, sollten sich auch einmal die Frage stellen, in wie weit ausgerechnet der Kampf gegen das Kopftuch mit den angeblich so jüdisch-christlichen Wurzeln vereinbar ist.
Das Ergebnis des Getöses derart verantwortungsloser Politiker ist, dass zunehmende Teile der Gesellschaft sich gegen sie wenden. Kein einziges Problem der Gesellschaft wird durch das Kopftuchverbot gelöst, nicht einmal das Problem der Integration. Genau das Gegenteil ist der Fall. Ausgegrenzte werden nach Wegen suchen, in ihren eigenen Kreisen ihre religiösen Riten praktizieren zu dürfen. Statt über ein Kopftuchverbot für Grundschulen nachzudenken, könnte man ja auch ein Schminkverbot einbringen, denn Schminken von Frauenlippen ist sicherlich eine sexistische Degradierung der Frau. Aber da würde der Freiheitsgötze sofort laut aufschreien! Merkwürdig nur, dass jener Götze nicht beim Kopftuchverbot aufschreit. Ist das möglicherweise deshalb, weil die Kopftuch tragende Frau die wahre freie Frau ist und sich keinem Götzen unterwirf? Darüber lohnt es sich nachzudenken.
[1] https://www.youtube.com/watch?v=xjsUOqJWkmQ
[2] http://www.bpb.de/politik/innenpolitik/k...-in-deutschland
[3] http://izhamburg.de/index.aspx?pid=99&articleid=256338
[4] https://islamansiklopedisi.org.tr/bulug
[5] https://islamansiklopedisi.org.tr/murahik
[6] https://www.bild.de/news/2010/hat-elena-...60410.bild.html