Tritt der Verfassungsschutz in die Fußstapfen der Gestapo?
Die Titelfrage erscheint ungeheuerlich, aber die Ereignisse, die zu dieser Frage führen, sind noch ungeheuerlicher.
Nein, es geht nicht um den Fall Amri, bei dem die Verstrickung des Verfassungsschutzes immer dubioser wird [1]. Es geht auch nicht um die NSU oder ähnliche aktuelle oder vergangene Skandale einer Behörde, die zumindest vom Namen her unser Grundgesetz schützen sollte.
Stellen Sie sich einmal vor, Ihnen würde folgender Text vorgelegt werden unter der Überschrift „Orthodoxes Judentum“: „Die meisten orthodoxen Juden in Deutschland lehnen es ab, Gewalt zur Durchsetzung ihrer Ziele anzuwenden. Nicht-gewaltorientierte, sogenannte legalistische jüdische Gruppen verfolgen ihre extremistischen Ziele mit politischen Mitteln innerhalb der bestehenden Rechtsordnung. Sie bestehen auf einer strengen Lesart der Thora, die unabhängig von Zeit und Ort für alle Menschen gültig ist. Richtschnur sind die Weisungen, die im jüdischen Recht der Halacha enthalten sind. Die Vorschriften der Halacha dürfen ihrer Ansicht nach nicht relativiert werden. Durch Lobbyarbeit versuchen legalistische orthodoxe Juden, Einfluss auf Politik und Gesellschaft zu nehmen. Dabei verfolgen sie eine Doppelstrategie: Während sie sich nach außen offen, tolerant und dialogbereit geben, bestehen innerhalb der Organisationen weiterhin antidemokratische und totalitäre Tendenzen…“
Was würden Sie denken über solch einen Text? Der erste Gedanke wäre wohl, dass es sich um einen Text aus dunkelster Vergangenheit der deutschen Geschichte handeln muss, vielleicht von der Geheimen Staatspolizei der Nazis, der Gestapo. Erinnert der Text nicht an einen Text vom 15. Dezember 1936 als sich Muslime in Berlin trafen und die Polizeidirektion darüber einen Bericht verfasst hat mit dem Text: „In der oben bezeichneten Angelegenheit teilen wir Ihnen mit, dass sich die Gesellschaft aus Angehörigen der verschiedensten Rassen und Völker zusammensetzt. Die Zusammenkünfte finden meist in zwangloser Form statt. Besucher sollen vor allem Professoren, ehemalige Offiziere usw. sein. Bei diesen Zusammenkünften sollen, sofern die Teilnehmer glauben unter sich zu sein, abfällige Bemerkungen über den Nationalsozialismus und seine Führer gemacht werden. Es handelt sich bei der obigen Gesellschaft mehr oder weniger um einen Unterschlupf für reaktionäre Elemente. Im Übrigen gehören mehrere Juden zur Gesellschaft. Die Gesellschaft war insbesondere in den Jahren 1933/34 Unterschlupf und Absteigequartier für Kurfürstendammjuden. Gegen das Weiterbestehen der oben bezeichneten Gesellschaft bestehen demzufolge hier erhebliche Bedenken, sowohl in formaler als auch in weltanschaulich-politischer Hinsicht.“ [2]
Letzterer Text kann wirklich dem kranken Nazigedankengut zugeordnet werden. Aber wie ist es mit dem ersten Text? Stellen Sie sich vor, der Textüberbringer würde ihnen glaubhaft versichern, dass der Text aus dem Jahr 2020 stammt. Ihre Überraschung wäre groß. Handelt es sich bei dem Text nicht um Volksverhetzung? Wie viele Staatsanwälte haben schon ein Ermittlungsverfahren gegen die Urheber jenes Textes eingeläutet? Gibt es zumindest im Volk eine gewisse Empörung über den Text?
Nichts dergleichen ist der Fall! Denn der Originaltext handelt nicht von legalistischen orthodoxen Juden, sondern vom „Legalistischen Islamismus“. Der Text steht unter anderem im bayerischen Verfassungsschutzbericht [3]. Entsprechend handelt es sich nicht um die Thora, sondern um den Koran, und nicht um die Halacha, sondern um die Scharia. Doch die Krönung des Skandals erfolgt durch den NRW-Verfassungsschutzchef Freier, der behauptet: „Wir gehen davon aus, dass dieser legalistische Islamismus gefährlicher als Salafismus oder gewaltbereiter Extremismus ist“ [4].
Hier behauptet ein Inhaber einer Machtposition in diesem Land faktisch, dass Menschen, die Gewalt ablehnen, die zur Einhaltung der Gesetze ihrer Heimat Deutschland aufrufen, dass Bürger, die keinerlei gerichtlich verfolgbare Straftaten begehen, gefährlicher sind als Terroristen, denn gewaltbereiter Extremismus wird in diesem Land zumeist als Terrorismus oder zumindest als Unterstützung von Terrorismus verfolgt. Unbescholtene Bürger im Land, die auch für die Zukunft planen keinerlei Straftaten zu begehen, sollen gefährlicher sein als Schwerverbrecher. Das zumindest behauptet offensichtlich ein Verfassungsschutzchef. Wenn das keine Volksverhetzung ist, was bedeutet dann Volksverhetzung? Welche Bedeutung hat dann §130 des Strafgesetzbuches, in dem es heißt: „Wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, …die Menschenwürde anderer dadurch angreift, dass er eine vorbezeichnete Gruppe, Teile der Bevölkerung oder einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet,…“ [5]
Doch gegen wie viele Menschen richtet sich eigentlich diese mutmaßliche Volksverhetzung von behördlicher Seite? Laut einer Umfrage von SWR und BR unter allen Verfassungsschutzämtern in Deutschland hat der „legalistische Islamismus“ im Jahr 2020 mehr als 13.000 Anhänger [4].
In einer bereits im Jahr 2013 herausgegebenen Broschüre zum Thema „Islamismus“ werden unter anderem folgende Gruppen als bedeutsamste „legalistische Islamisten“ aufgelistet, damals aber ohne den Vorwurf gefährlicher als Terroristen zu sein: Islamische Gemeinschaft Milli Görüs als bedeutsamste sunnitische Organisation und das Islamische Zentrum Hamburg als bedeutendste schiitische Organisation. Die Gesamtzahl wird mit 33.000 angegeben [6]. Hoppla! 33.000 im Jahr 2013 und 13.000 im Jahr 2020. Ganz offensichtlich ist die Zahl dramatisch gesunken. Warum sind sie dann heute gefährlicher geworden?
Lassen wir einmal die Frage der möglichen Volksverhetzung durch jene Behörde, die sich Verfassungsschutz nennt, beiseite. Wenn sie vor dem „legalistischen Islamismus“ warnt, und gleichzeitig zugibt, dass rechtlich bei jenem Personenkreis nichts zu beanstanden sei, was sei denn gegen jene rechtstreuen Bürger zu tun? Soll man mit Instrumentalisierung des Jugendamtes ihnen die Kinder wegnehmen? [7] Oder soll man ihnen die Konten kündigen? Soll man ihnen Grundstückskäufe – selbst zu privaten Zwecken – mit Hilfe von kommunalen Tricksereien verhindern? Sollen sie aus den Sportvereinen eliminiert werden? Das scheint alles ungeheuerlich, aber alle genannten Beispiele sind in Deutschland nachweislich schon mehrfach erfolgt. Das System wendet Illegalität an, um eine von ihr selbst definierte „legalistische Gefahr“ zu bekämpfen. Erinnert das immer noch nicht an die Gestapo?
Nehmen wir einmal an, es sind 33.000 Bürger (und nicht die aktuell angegebene 13.000), die mit legalen Mitteln versuchen ihre Wertvorstellungen der Gesellschaft schmackhaft zu machen. In den Aspekten Alkohol und Sexualität dürften jene 33.000 auf ziemlich verlorenem Posten stehen in einer Gesellschaft, in der allein die Alkohol- und Pornosüchtigen um mindestens einige Zehnerpotenzen mehr sind, was von der großen Mehrheit der freiheitlichen Gesellschaft getragen wird. Irgendwelche drakonischen Strafen aus alten islamischen Zeiten gibt es nicht einmal in modernen „islamistischen“ Staaten außer Saudi-Arabien, aber die sind ja bekanntlich die engsten Verbündeten des Westens.
Was also ist so gefährlich daran, dass 33.000 Menschen versuchen ihre eigenen Wertevorstellungen gegenüber 80 Millionen Bürgern ganz legal zu erklären? Es sind zwei Aspekte jener „Legalistischen Islamisten“, für die auch die Mehrheitsgesellschaft empfänglich sein könnte. Das eine ist das völlig verkorkste kapitalistische Finanzsystem, bei dem stets die Schere zwischen reich und arm auseinanderdriftet, völlig unabhängig davon, ob es eine Boom- oder Krisenzeit ist. Das zinsbasierte System, bei dem Geld aus dem Nichts von privaten Organisationen „geschaffen“ wird, ist von sich aus derart ungerecht, dass das Zinsverbot des Islam mit einem Bankensystem, bei dem Banken nur mit dem Geld arbeiten können, das sie haben, mittelfristig auch für Europa interessant werden könnte.
Der zweite Aspekt ist Gerechtigkeit auch im Zusammenhang mit Rassismus. Im Islam gibt es weder Rasse noch Rassismus, aber der Islam legt einen sehr hohen Wert auf Gerechtigkeit. Entsprechend wird jede Form von Rassismus verurteilt, auch jede Besatzung und Unterdrückung von Menschen, insbesondere, wenn es staatlich verordnet und über Jahrzehnte ausgeübt wird. Alle Bürger in Deutschland, selbst zionistische Politiker und Antisemitismusbeauftragte, wissen, dass Israel ein auf Unrecht aufgebauter Apartheidsstaat ist, dessen Politik mörderisch gegen Einheimische und Nachbarn wirkt. Aber die deutsche Staatsraison ist inzwischen so weit entwickelt, dass jeglicher Hinweis auf den rassistischen Charakter des Staatsgebildes bereits mit der Antisemitismuskeule erschlagen wird. Auch in diesem Aspekt bietet der „legalistische Islam“ eine gerechte Alternative vergleichbar der Apartheidsüberwindung in Südafrika.
Genau jene zwei Aspekte sind es, welche die Verfassungsschutzbehörden mit immer drastischeren Worten und Mitteln gegen „legalistische Islamisten“ vorgehen lässt. Der deutsche Verfassungsschutz verurteilt dabei in seinen Berichten auch deutsche Bürger, die sich gegen Israel und/oder USA äußern, so dass die Frage erlaubt sei, wessen Verfassung oder Grundgesetz der deutsche Verfassungsschutz eigentlich schützen will.
Zurück zur Gestapo-Zeit. Erschreckend an dem Verhalten der Gestapo war nicht nur ihr eigenes illegales Vorgehen. Viel erschreckender war die Gleichgültigkeit der nicht betroffenen Bevölkerung, die damit erst das Ausufern bis hin zur Katastrophe ermöglicht hat. In den Nürnberger Prozessen wurde die Gestapo zur verbrecherischen Organisation erklärt, hohe Funktionsträger bestraft. Kein einziger von ihnen wäre – anders als KZ-Offiziere – jemals auf die Idee gekommen, dass sie etwas Illegales tun oder eines Tages dafür zur Verantwortung gezogen würden. Doch sie haben sich getäuscht. Auch das heutige USraelische Imperium wird nicht ewig imperiale Macht ausüben können. Die Zeichen des imperialen Zusammenbruchs sind inzwischen so deutlich geworden, dass es geradezu verwundert, mit welcher Nibelungentreue der deutsche Verfassungsschutz an den USA und Israel festhält, selbst zum Schaden der eigenen deutschen Bevölkerung, nicht nur der Eingebürgerten.
Der Abschluss soll aber dennoch versöhnlich sein. Fairerweise ist darauf hinzuweisen, dass es auch deutsche Wissenschaftler gibt, die das Verhalten des Verfassungsschutzes kritisch betrachten. Was könnte getan werden, um die Situation zu entspannen? Kann es etwas Besseres geben, als miteinander zu sprechen? Sowohl von Milli Görüs als auch vom Islamischen Zentrum Hamburg wie auch anderen Organisationen ist bekannt, dass sie seit Jahrzehnten Gespräche mit dem Verfassungsschutz anbieten. In solchen Gesprächen könnte geklärt werden, was der Verfassungsschutz ganz legal von jenen Organisationen erwartet, um sie nicht mehr als gefährlich einzustufen. Die Organisationen können ihre eigenen Beweggründe und Denkweise verdeutlichen. Jene Gespräche sind bisher ausschließlich vom Verfassungsschutz, sowohl vom Bund als von den Ländern immer wieder abgelehnt worden. Sie wollen lieber im Geheimen wirken, was unschöne Erinnerungen weckt. Aber der heutige Verfassungsschutz ist nicht die Gestapo. Deshalb sollten zumindest einige kluge Herren in den Behörden über ihre Schatten springen und jene Gesprächsangebote annehmen.
[1] https://www.heise.de/tp/features/Anis-Am...ag-4839013.html
[2] http://www.eslam.de/begriffe/d/deutsche_...esellschaft.htm
[3] https://www.verfassungsschutz.bayern.de/...smus/index.html
[4] https://www.tagesschau.de/investigativ/s...-islam-101.html
[5] https://dejure.org/gesetze/StGB/130.html
[6] https://www.verfassungsschutz.de/embed/b...nungsformen.pdf
[7] https://www.youtube.com/watch?v=SE4D6dmRYnU