Wahl-Partnerschaft im Iran beginnt
Wir sind es gewohnt, dass wir Begriffe aus der Westlichen Welt unreflektiert übernehmen und weitertragen. Unsere Väter taten es schon und deren Väter auch. Demokratie und freiheitlich-rechtliche Grundordnung setzten Wahl-Kampf voraus. Der Kampf basiert auf dem Duell zweier Gegner, wie wir es aus den USA kennen. Es gibt einen „Kämpfer“ aus den Reihen der so genannten Demokraten und einen „Kämpfer“ der Republikaner. Warum ein Republikaner nicht demokratisch sei und ein Demokrat nicht republikanisch, darf genau so wenig hinterfragt werden, wie der Wahlkampf, der in letzter Zeit zunehmend zu einem Wahlkrampf degeneriert ist. Statt sich ernsthaft zu duellieren oder immer wieder mit Waffen aufeinander loszugehen, wurde der „Kampf“ an eine Urne verlagert, eine Urne, die die Asche trägt, welche eine freie Wahl unmöglich macht. So kann z.B. weder in den USA (noch in Deutschland) jemand aufgestellt werden, der nicht mindestens einen Treueid auf Israel geschworen hat. Im Wahlkampf geht es seltener um den fairen Wettstreit der Ideen, womit man dem Volk am besten dienen kann, sondern darum, wie man an die „Macht“ gelangt. Präsidentschaft wird nicht als höchste Stufe des Dienstes am Volk verstanden, sondern als Machtmittel, um dem Volk die eigenen Vorstellungen aufzuzwingen. Das Ergebnis ist, dass völlig unabhängig davon, wer gewählt wird, und völlig unabhängig davon, ob in den USA oder in Deutschland das Ergebnis eines solchen „Wahlkampfes“ immer das Gleiche ist: Die Schere zwischen Arm und Reich geht immer weiter auseinander!
Ein aus islamischer Sicht vernünftiger Dienst am Volk ist der partnerschaftliche Umgang der Kandidaten miteinander, da alle den höchsten Respekt zueinander leben und jedem Kandidaten das Beste im Dienst am Volk wünschen. Es ist ein Wettstreit der Ideen, wie man dem Volk am besten dienen kann. Es ist ein Wettkampf um Umverteilung der Güter von Reich zu Arm im Rahmen des islamisch Erlaubten. Es ist ein Wettstreit der besten Umsetzung des angestrebten Ideals, um insbesondere den Entrechteten zu dienen, sowohl im Inland als auch im Ausland. In solch einem islamisch anzustrebenden Wettkampf, der mehr sportlich als „kämpferisch“ zu betrachten ist, wäre es durchaus möglich, dass z.B. der gewählte Präsident den Zweitplatzierten in einer wichtigen Funktion unterbringt.
Der Wächterrat [1] ist ein Organ der Islamischen Republik Iran und in der Verfassung der Islamischen Republik Iran beschrieben. Er besteht aus zwölf Mitgliedern: Sechs gerechte islamische Rechtsgelehrte (Mudschtahid), die sich der Erfordernisse und der Probleme der Zeit annehmen, werden vom islamischen Oberhaupt bestimmt. Sechs Juristen aus verschiedenen Rechtsgebieten werden vom Parlament gewählt. Zu den Aufgaben dieses Wächterrates gehört es, eine Art Schlichtungskommission zu sein, wie sie auch bei Konflikten zwischen Bundestag und Bundesrat bekannt ist. Und eine wichtige Funktion ist die Prüfung der Kandidaten, in wie weit sie die verfassungsrechtlich vorgegebenen Voraussetzungen erfüllen, um als Präsidentschaftskandidat kandidieren zu können.
Zu den aktuellen Präsidentschaftswahlen im Iran haben sich fast 600 Kandidaten registriert. Sieben dieser Kandidaten wurden zu der Präsidentschaftswahl zugelassen. Das Auswahlverfahren erfolgt streng nach dem Artikel 115 der Verfassung der Islamischen Republik Iran. Darin hießt es: „Der Präsident der Republik muss zu seiner Wahl aus einem Kreis gläubiger und politischer Persönlichkeiten stammen, die folgenden Voraussetzungen erfüllen:
• Iranische Abstammung,
• Iranische Staatsangehörigkeit
• Führungsfähigkeit und Klugheit
• Guter Leumund
• Wahrhaftigkeit und Gottesehrfurcht
• Der Glaube an die Grundsätze der Islamischen Republik Iran und an die offizielle Religion des Landes."
Wie nach jeder Auswahl der Kandidaten seit der Gründung der Islamischen Republik Iran gibt es in der Westlichen Welt ein stets lautes Gejammer darüber, dass die Wahlen im Iran nicht frei wären und wichtige Kandidaten nicht zugelassen worden wären. Dabei wird dann immer der Eindruck erweckt, als wenn jene Kandidaten willkürlich verboten worden wären. Die zwei Kandidaten, die der Westen nunmehr seit wenigen Stunden bejammert – die also nicht antreten dürfen – sind der ehemalige Präsident Ahmadinedschad und der ehemalige Parlamentspräsident Laridschani. Insbesondere bei Laridschani sind die Tränen der Westlichen Welt sehr groß, da er ihr letzter Schimmer an Hoffnung war, bei den bevorstehenden Präsidentschaftswahlen nicht jeglichen Einfluss zu verlieren, den sie in acht Jahren Ruhani aufgebaut haben.
Bei Ahmadinedschad ist die Ablehnung eindeutig. Er erfüllt bedauerlicherweise heute nicht mehr die sechste Voraussetzung zur Wahl. In gleich mehreren Interviews hat er das System der Statthalterschaft des Rechtsgelehrten (Wilayat-ul-Faqih) angegriffen und angezweifelt. Das System gehört aber zu den Grundlangen der Islamischen Republik Iran. Es ist sehr traurig mitanzusehen, wie ein einstmaliger Hoffnungsträger des Systems derart tief fallen kann. Aber der Islam äußert sich dazu mehr als unmissverständlich: Wer den Imam seiner Zeit verkennt, läuft in sehr große Gefahren seiner Seele. Ahmadinedschad ist einstmals gewählt worden, weil er die Heiligkeit Imam Chameneis erkannt zu haben schien. Aber in seiner zweiten Amtszeit hat er diese Erkenntnis verloren und damit auch allen Respekt, den er sich aufgebaut hat.
Bei Laridschani stellt sich die Situation etwas komplexer dar. Zweifelsohne erfüllt er die meisten der Voraussetzungen, die für einen Präsidentschaftskandidaten genannt werden. Und daher konnte er auch in zahlreichen prominenten Positionen der islamischen Republik Iran dienen. Die Stellung des Präsidenten ist aber eine sehr sensible Position. Und wenn z.B. Verwandte ersten Grades, seien es die eigenen Kinder oder Eltern, über ausländische Staatsbürgerschaften verfügen und diese auch noch Staatsbürgerschaften von Staaten sind, die der Islamischen Republik Iran feindlich gesonnen sind, so können daraus Probleme entstehen, die bei der letzten Amtsperiode deutlich geworden sind. Hier hat man erst nach den Wahlen derartige Konstellationen festgestellt. Zweifelsohne darf niemand wegen seiner Verwandten benachteiligt werden! Doch es ist keine Benachteiligung, wenn man nicht zugelassen wird Präsident der Islamischen Republik Iran zu werden. Laridschani war bisher ein treuer Diener des Imams. Auch zu seinem Schutz ist seine Ablehnung hilfreich, denn der Westen hatte alle seine verbliebene Resthoffnung auf ihn (und seine Kinder) gesetzt.
Der favorisierte Kandidat Ayatollah Raisi hat – gemäß vertraulichen Mitteilungen – bis zur letzten Minuten versucht die Kandidatur von Laridschani zuzulassen. Doch er ist gescheitert. Ayatollah Raisis Motivation war dem Vorwurf zu entgehen, er hätte haushoch gewonnen, weil der aussichtsreiste Gegenkandidat nicht zugelassen worden ist. Allerdings hätte er wohl auch mit jenem Gegenkandidaten zweifelsfrei gewonnen. Jetzt ist die westliche Welt hoffnungslos, was die bevorstehenden Präsidentschaftswahlen angeht, und allein das ist eine innere Freude wert. Die Folge wird wahrscheinlich sein, dass die sogenannten Atomverhandlungen, bei dem der Westen weiterhin versucht die Islamische Republik Iran zu demütigen, ergebnislos abgebrochen werden. Es kann lediglich sein, dass der Westen so tut, als wenn man sich geeinigt hätte, aber es wird keine einzige Sanktion gelockert werden.
Ayatollah Raisis mögliche Wahl ist auch ein großer Hoffnungsschimmer für die unterdrückten Menschen in Palästina, in Jemen und vielen anderen Regionen der Welt. Der Irak könnte in den nächsten acht Jahren von amerikanischer Besatzung befreit werden und Afghanistan auch.
Doch noch hat Ayatollha Raisi nicht gewonnen. Es gibt sechs weitere Kandidaten: Dazu gehören der ehemalige Kommandant der Revolutiongarden Mohsen Rezai Mirgha'id, der Vorsitzende des Sicherheitsrats des Iran Said Dschalili und Zentralbankchef Abdolnaser Hemmati. Es wird abzuwarten sein, ob sich die Gegner Imam Chameneis auf einen dieser Kandidaten verständigen können die als „moderat“ gelten, obwohl es keinen Zweifel an ihrer Treue zu Imam Chamenei gibt. Weniger Chancen werden den beiden Parlamentariern Amirhossein Ghazizadeh-Hashemi und Alireza Zakani sowie dem früheren Vizepräsidenten Mohsen Mehralizadeh eingeräumt.
Bei allem berechtigen Interesse an den Präsidentschaftswahlen im Iran sollten wir Nicht-Iraner aber Folgendes niemals vergessen. Der Präsident des Iran ist Präsident der Iraner, nicht mehr und nicht weniger. Das ist eine reine innere Angelegenheit der Islamischen Republik Iran, bei der sich Nicht-Iraner gefälligst in keinster Weise einzumischen haben, ob es ihnen passt oder nicht! Die Beziehung der sich für Wahrheit einsetzenden zum Iran haben ausschließlich mit dem Imam zu tun, und der muss bekanntlich kein Iraner sein. Nicht einmal die Verfassung der Islamischen Republik Iran stellt solch eine Voraussetzung für den Imam (anders als beim Präsidenten). Diese zukunftsweisende Weichenstellung der revolutionären Verfassung könnte schon bald dazu führen, dass es mehrere Islamische Republiken mit unterschiedlichen Wahlsystemen, unterschiedlichen Detaillösungen und unterschiedlichen Umsetzungen gibt. Nur der Imam ist für alle da. Mit dem nächsten Präsidenten der Islamischen Republik Iran kommen wir diesem Traum immer näher – so Gott will.
[1] http://www.eslam.de/begriffe/w/waechterrat.htm
[2] http://www.eslam.de/manuskripte/verfassung_iri/kapitel09.htm