Ottweiler/St.Wendel Hans-Jürgen Schneider ist seit einem Jahr Gefängnisseelsorger in der Justizvollzugsanstalt Ottweiler.
Zwölf Türen und Gitter muss Hans-Jürgen Schneider jeden Morgen auf- und wieder abschließen, bis er in seinem Büro angekommen ist. Sein Arbeitsplatz im Gefängnis in Ottweiler ist kein Ort wie jeder andere: Es ist ein Ort des Misstrauens, in dem die Insassen eine Zwangsgemeinschaft bilden, in der sie keine echten Freunde finden. Gerade deswegen ist es dem Pastoralreferenten wichtig, als vertrauensvoller Gesprächspartner für die Menschen und ihre Nöte da zu sein.
Am 1. Dezember vergangenen Jahres hat Schneider die Nachfolge des langjährigen Gefängnisseelsorgers Peter Jank in der Justizvollzugsanstalt (JVA) angetreten. Das teilt die Pressestelle des Bistums mit. Hier gibt es neben dem Erwachsenenstrafvollzug auch das Jugendgefängnis des Saarlandes. Gemeinsam mit einem evangelischen Kollegen ist der 52-Jährige zuständig für rund 150 Gefangene – die jüngsten sind 14 Jahre alt, die ältesten über 70. Aber auch für ihre Angehörigen und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der JVA sind sie Ansprechpartner.
Schon während seiner Ausbildung zum Pastoralreferent merkte der Theologe aus dem St. Wendeler Land, dass ihn die Arbeit mit Menschen reizt, die mit Kirche nichts zu tun haben. Im Dekanat St. Wendel arbeitete er in der Schulseelsorge, gab Religionsunterricht. Den Wechsel in die Gefängnisseelsorge bereut er nach einem Jahr im Amt nicht, im Gegenteil: „Der Knast ist einer der wichtigsten Orte, an denen Kirche vor Ort sein muss. Auch die Bistumssynode ruft dazu auf, Kirche an Andersorten erfahrbar zu machen.“ Schneider merkt, wie sehr die Gefangenen die Seelsorge brauchen: „Sie kommen mit allen Problemen zu uns und wissen, dass wir alles verschwiegen behandeln.“ Mal sind es kleine Sorgen im Gefängnisalltag wie Langeweile und Einsamkeit, mal existenzielle Sorgen, wenn Beziehungen in die Brüche gehen, die Kinder sich abwenden oder die große Frage, wie die Zukunft nach der Entlassung gelingen kann.
In den Gesprächen steht für ihn die Biographie des Menschen im Zentrum: „Wo kommt er her? Was hat er erlebt? Wie ist es dazu gekommen, dass er eine oder mehrere Straftaten begangen hat?“, sagt Schneider. Was er da zu hören bekomme – von suchtkranken Eltern, die teils selbst straffällig wurden, problematischen Familienverhältnissen, Armut und Vernachlässigung – mache ihn demütig.
Die Taten blendet der Seelsorger nicht aus, auch sie können Thema der Gespräche sein. Der Umgang mit der eigenen Schuld falle bei den Gefangenen unterschiedlich aus. „Manche begreifen, was sie ihren Opfern angetan haben und dass diese mitunter ihr Leben lang unter der begangenen Tat leiden. Andere blenden die Tat aus oder reden sie klein.“ Das sei jedoch eine Eigenschaft, die typisch für die Gesellschaft sei: Eine Trennung zwischen „denen im Gefängnis“ und „der Gesellschaft“ lehnt er daher ab und stellt klar: „Es ist wichtig, klar die Taten zu benennen, aber nicht mit dem Finger auf die Täter zu zeigen."
Auch wenn Schneider im Umgang mit Problemen ein Profi ist, kann er nicht jedes Gespräch an der Gefängnispforte hinter sich lassen: „Ich bin ja keine Maschine.“ Besonders mitgenommen haben ihn im ersten Jahr gleich mehrere Suizidversuche unter den Häftlingen. Auch die Beamten, die die Gefangenen im letzten Moment retteten, betreut Schneider. „Das Ereignis steckt tief in den Knochen“, sagt er.
Regelmäßig bietet Schneider an Samstagen Wortgottesdienste an – je einen für Jugendliche und einen für Erwachsene. Vor Corona studierte er mit interessierten Jugendlichen freitags die Lieder ein. Das ist jetzt nicht mehr möglich. „Manche sind nur gekommen, damit sie singen können und bleiben jetzt fern“, sagt Schneider. Die Hygienevorschriften erlaubten nur eine begrenzte Teilnehmerzahl, nicht immer könnten alle Interessierten kommen.
Hans-Jürgen Schneider verleiht Bibeln in verschiedenen Sprache, Korane und Gebetsteppiche. „Wir haben auch sechs Gitarren, die geliehen werden können“, berichtet Schneider. Einige Gefangene fragten ihn auch nach einem Rosenkranz. „Mir ist klar, dass nur die wenigsten ihn zum Gebet nutzen. Viele tragen ihn gerne als Schmuck um den Hals oder als Deko an der Zellenwand.“ Im Frühjahr hat Schneider zudem die Insassenzeitung wiederbelebt.
Gefangen zu sein ist eine Ausnahmesituation. Viele Stunden am Tag sind die Häftlinge alleine in ihrer Zelle. „Es gibt im Knast viel Stille. In der Zelle sind sie sich selbst und ihren Gedanken überlassen“, sagt Schneider. Zeit zum Nachdenken über das Leben. „Immer wieder kommen Insassen und fragen mich nach einem Gebet, das sie dann sprechen können.“ Er leistet Trauerarbeit, wenn während der Haftzeit ein Angehöriger stirbt und der Besuch der Beerdigung nicht möglich ist.
Die fehlende Kommunikation belastet Gefangene, aber auch die Angehörigen. „Jugendliche dürfen in der Woche 15 Minuten telefonieren – da fragen sie sich, mit wem: Freundin, Mutter, Anwalt?“, sagt Schneider. Die Corona-Pandemie habe die Situation verschärft. Besuche sind nur noch eingeschränkt möglich, seit März trennt eine Scheibe Inhaftierte und Besucher. Handschütteln oder Umarmungen sind nicht mehr möglich. „Zwar wurden Skype-Telefonate als zusätzliches Angebot eingeführt, doch gerade in den sozial schwächeren Familien gibt es daheim keinen Internetanschluss“, weiß der Seelsorger. Die notwendigen Einschränkungen machten viele hilflos und verstärken die Einsamkeit.
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