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Hadsch-Reise: Arafat und Muzdalifah

#1 von Fatima Özoguz , 22.12.2012 14:26

Arafat und Muzdalifah

Wir packten unsere Sachen zusammen, und zwar nur soviel, wie für vier Tage benötigt wird, und vor allem nur soviel, wie man tragen kann. Selbst das sollte sich aber im Nachhinein als zu viel herausstellen. Ich kann daher nur davor warnen, sich mit zu viel Gepäck zu belasten. Am besten ist ein kleiner Rucksack, um auf den längeren Fußmärschen, die zwingend dazugehören, sich nicht einseitig zu belasten. Auf jeden Fall war es ein Fehler, zwei Ihram-Gewänder mitzunehmen. Man schwitzt natürlich, aber trotzdem, die langen Gewänder haben doch ein ganz schönes Gewicht. Sollte mir noch eine Hadsch-Reise vergönnt sein, werde ich nur eins mitnehmen.
Nun erst begannen die eigentlichen Riten zur Hadsch. Am Mittwoch, 24. Oktober, in der Nacht zum 9. Dhu´l Hiddschah, d.h. zwei Nächte vor dem Opferfest, machen wir uns gegen Abend bereit zur Busfahrt nach Arafat. Wir mussten nachts fahren, weil es eine Besonderheit des Ihramzustandes ist, dass man tagsüber während man geht oder fährt, weder Kopfbedeckung noch Dach über dem Kopf haben darf. Früher gab es Busse ohne Dach, aber die haben die Saudis leider abgeschafft. Die Hadsch ist ein Spiegelbild unseres Lebenssinns. Wir wurden erst von Allah getrennt, in dem wir auf die Erde herabgesandt wurden, damit wir mit neuem Bewusstsein nach Seiner Liebe und Nähe streben können, mit einem Bewusstsein, dass wir vorher nicht hatten. Als Adam das Paradies verlassen musste, traf er Eva in Arafat. Arafat steht somit für den Beginn des menschlichen Daseins auf der Erde.
Arafat liegt von allen Orten, die man bei der Hadsch besucht, am weitesten von Mekka entfernt. Dann kehrt man stationsweise wieder nach Mekka zurück. Wir müssen uns also von unserem Zentrum, von Allah entfernen, um dann Stück für Stück wieder uns wieder Allah anzunähern.
Es hieß, bis Arafat seien es 20 Minuten, die aber bedauerlicherweise zu drei Stunden wurden, denn der Busfahrer nahm nicht den Weg, den unser Reiseleiter ihm nannte, sondern meinte es besser zu wissen. Worüber die meisten unserer Mit-Hadschis schimpften, kam mir eigentlich sehr gelegen, so konnte ich die Zeit nutzen, um mich mental auf Arafat vorzubereiten. Wir kamen dann irgendwann spät in der Nacht in Arafat an.
Arafat hatte ich mir ganz anders vorgestellt, eher als einen Berg, so wie man auf den Fotos immer sieht. Es ist aber vielmehr ein riesiges Camp von lauter eng aneinander stehenden Zelten, mitten in der Wüste. Es wurde uns ein Zelt zugewiesen, die Frauen schliefen auf der einen Seite, die Männer auf der anderen, dazwischen wurde ein Vorhang gezogen. Sehr viel geschlafen haben wir nicht, aber das war ja auch nicht der Zweck der Reise. Im Gegenteil ist es gut, wenn man in der Nacht zu Arafat wachbleibt.
Am nächsten Tag war dann der Tag von Arafat, der einer der Höhepunkte der Hadsch darstellt. Das Verweilen in Arafat in Bittgebeten gehört zu den zentralen Riten der Pilgerfahrt. Man sitzt einfach, liest Qur´an und Bittgebete oder denkt einfach nach, wer man ist, woher man kommt, wohin man geht. Arafat bedeutet „Erkennen“. Man soll sich selber erkennen, denn wie Imam Ali (a.s.) sagte: „Wer sich selbst (oder auch: seine Seele) erkennt, der hat seinen Herrn erkannt.“
Nachmittags kamen wir mehr zufällig dazu, am Bittgebet von Imam Hussain (a.s.) in Arafat bei den Iranern teilzunehmen. Eigentlich hieß es, dass wir an der Demonstration der Iraner teilnehmen würden, an der „Lossagung von den Götzendienern“. Da unser Reiseleiter hervorragende Kontakte zu den iranischen Reiseleitern hatte, gingen wir zu den iranischen Zelten. Dort sagte man uns allerdings, dass sie schon am Morgen diese Demonstration der „Lossagung von den Götzendienern“ gemacht hatten. Wir waren zwar ein wenig enttäuscht, aber fanden uns damit ab, da wir uns ohnehin längst daran gewöhnt hatten, dass selten etwas nach Plan verlief. Dann führten sie uns zu einem riesigen Platz, wo sich Tausende von Iranern versammelt hatten , vielleicht waren es auch Hunderttausende. Dort wurde dann das Bittgebet von Imam Hussain (a.s.) zu Arafat verlesen. Man kann es natürlich auch zu Hause lesen, aber es ist ein ganz anderes Gefühl, wenn man sich auch an dem Ort befindet, für den dieses Gebet bestimmt ist. Es war auf jeden Fall wunderschön. Die Iraner waren nicht nur sehr zahlreich dort vertreten, sie sind auch hervorragend organisiert. Da unsere Teilnahme dort nicht geplant war, hatte ich das Gebet nicht schriftlich bei mir, aber eine freundliche Iranerin , die neben mir saß, gab mir eins von ihr. Sie hatten einen professionellen Leser, der das Bittgebet nicht nur auf Arabisch las, sondern auch auf herzzerreißende Art einige Passagen auf Persisch kommentierte und erklärte, wie es die Art von iranischen Lesern ist, das machen sie auch bei Dua Komail so.

http://www.eslam.de/manuskripte/bittgebe...m_husain_01.htm

Wir alle weinten, einmal wegen der wunderschönen Lesung und deren Bedeutung ,aber auch darüber, dass ich erkannte, wie weit ich vom Ideal noch entfernt bin. Auch das ist ja der Sinn von Arafat, die Selbsterkenntnis. Hinterher fühlte ich mich befreit, und ich bin heute noch Allah dankbar, dass ich an diesem Gebet teilnehmen durfte, denn es ergab sich ja völlig ungeplant. Nach dem Dua ging es auch schnell auf den Abend zu, und wir machten uns dann auf den Weg nach Muzdalifah, zu Masch´ar.
Muzdalifah ist ein Tal voller Wüste und Felsen, das durchwandert werden muss auf dem Weg nach Mekka zurück. Zwischen Muzdalifah und Mina liegt dann Masch´ar ul haram, was für mich der persönliche Höhepunkt war. Man verbringt die Nacht unter freiem Himmel, was weitaus angenehmer ist als im stickigen Zelt. Es ist verpflichtend, von der Morgendämmerung des 10. Dhu´l Hidschah bis zum Sonnenaufgang dort zu verweilen. Aber wir haben die ganze Nacht dort verbracht. Masch´ar bedeutet Bewusstsein, das auf die Erkenntnis folgt. Ich setzte mich auf einen etwas höher gelegenen Felsen und sprach mit Allah. Ich dankte Ihm, dass ich dort sein und diese unvorstellbare Atmosphäre mit erleben durfte. Ali Schariati hatte in seinem Buch „Hadsch“ geschrieben, dass man sich die Sterne betrachten sollte, und darauf hatte ich mich schon gefreut. Leider ging das nicht, weil der Himmel konstant diesig war, so dass die Sterne unsichtbar blieben.
Überall lagen die Menschen auf ihren Matten in ihren weißen Kleidern, sie erinnerten ein wenig an Tote. Aber so ähnlich ist es ja auch. Im Weihezustand ist man sozusagen „tot“, aus dieser Welt. Man ist von seinem Ehepartner praktisch „geschieden“, man betreibt keinerlei Körperpflege außer den rituellen Waschungen. Kein Kämmen der Haare, kein Zähneputzen, kein Schneiden und Feilen der Fingernägel, kein Deodorant, kein duftendes Duschgel, nichts. Und das für vier Tage in Folge, für einen ausgemachten Duftfanatiker wie mich war das zugegeben nicht ganz leicht. Aber auch das dient letztendlich der Selbsterziehung, dass man mal dem Körper und dem Weltlichen keine Beachtung schenkt, sondern sich einzig und allein der Seele widmet. Es wurde nur reines Wasser zum Waschen und Duschen verwendet. Aufgrund der hohen Temperaturen , die trotz Ende Oktober immer noch tagsüber knapp 40 Grad betragen, duscht man natürlich mindestens einmal am Tag. In den Containern, in denen es keine Duschen gab, benutzten wir einfach die Tahara-Schläuche* von den Toiletten als Duschen. Auch haben wir in Arafat und Mina nur das Allernötigste gegessen, bzw. in Masch´ar in der Nacht gar nichts. Das empfiehlt sich auch, damit man nicht die Toilettencontainer aufsuchen muss, die vorsichtig ausgedrückt nicht unbedingt dem entsprechen, was man sich so unter Hygiene vorstellt. Man hat aber auch kaum Hunger aufgrund der Hitze und der Anstrengung. Dafür haben wir umso mehr Wasser getrunken, was ja Gott sei Dank in ausreichenden Mengen zur Verfügung stand. Apropos Wasser: Man sollte immer eine Flasche bei sich haben, denn der Durst ist riesig. Sehr gut sind dafür die Thermosgefäße mit Umhängeriemen geeignet, weil dort das Wasser kalt bleibt. Da wird das nicht vorher gewusst hatten, war das Wasser innerhalb von Minuten in unseren 500 ml-Plastikfläschchen natürlich lauwarm. Man sollte auch immer etwas Wasser dabeihaben, falls man die rituelle Waschung (wudhu) durchführen will, ohne die Toiletten aufsuchen zu müssen.

26.Oktober / 10. Dhu´l Hidschah:
Nach dem Morgengebet gratulierten wir uns gegenseitig zum Fest, aber statt Feiern stand bei uns erst mal die erste Steinigung des Satans (dschamarat) in Mina an. Es war ein unglaublicher Anblick, wie sich ca. vier (manche sprechen gar von fünf) Millionen Menschen zu Fuß auf den Weg nach Mina machten.
Ebenfalls eine Art Spiegelbild, aber diesmal von der Auferstehung. In manchen Überlieferungen heißt es, dass es am Tag der Auferstehung so ein Gedränge geben wird, dass viele sich die Hölle wünschen werden, um der Enge zu entgehen.
Wir schlossen uns dem Menschenstrom nach Mina an und marschierten los....

*Nach muslimischer Reinheitsauffassung muss man sich nach dem Toilettengang mit fließendem Wasser säubern, Papier reicht nicht aus.


Fatima Özoguz  
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