Friedensratschlag begrüßt Syrien-Resolution
Ein Weg zum Frieden - wenn alle mitmachen
Pressemitteilung des Bundesausschusses Friedensratschlag
Kassel, 30. September 2013 - Am Wochenende tagte der Bundesausschuss Friedensratschlag in Kassel und befasste sich u.a. mit der Resolution 2118 (2013), die der UN-Sicherheitsrat am Freitag, den 27. September, verabschiedete. Gegenüber der Presse äußerte sich anschließend der Sprecher des Bundesausschusses wie folgt:
Als Teil der deutschen und weltweiten Friedensbewegung begrüßen wir die Verabschiedung der Syrien-Resolution durch den UN-Sicherheitsrat. Mit der einstimmigen Annahme der Resolution scheint sich ein Fenster der Möglichkeit für eine Ende des verheerenden Bürgerkrieges geöffnet zu haben.
Mit Befriedigung stellen wir fest, dass Syrien der internationalen Chemiewaffenkonvention beigetreten ist und nun in einem überprüfbaren Verfahren sich seines eigenen Chemiewaffenarsenals entledigen muss. Zu hoffen ist, dass der enge Zeitrahmen für die Vernichtung der Chemiewaffen (9 Monate) tatsächlich ausreicht. Die Anwendung, Produktion und Weitergabe von chemischen Kampfmitteln ist weltweit geächtet. Dies gilt indessen nicht nur für die Regierung in Damaskus, sondern auch für die vielen Organisationen der syrischen Opposition - so will es die Resolution und so verlangt es auch das Kriegsvölkerrecht. Eine Welt frei von chemischen Waffen ist das erklärte Ziel der Friedensbewegung.
In der Resolution des Sicherheitsrats wird weiter gefordert, die am 30. Juni 2012 auf der Konferenz in Genf vereinbarten Schritte zu einem Waffenstillstand, zu Verhandlungen ohne Vorbedingungen und zu einer Übergangsregierung, an der Regierung und Opposition beteiligt sein sollen, endlich zu realisieren. Wir stellen fest, dass es bisher vornehmliche die syrische Opposition war, die jegliche Verhandlung mit der Assad-Regierung strikt abgelehnt und auf den bewaffneten Kampf zu dessen Sturz gesetzt hat. Wir fordern im Einklang mit der UNO die Einberufung von Genf II, und zwar, wie es in der Resolution heißt, "so bald wie möglich".
Während die USA, Frankreich und Großbritannien betonen, dass nur die von ihnen aufrecht erhaltene Drohkulisse Syrien zum Einlenken bewogen habe, stellen China und Russland den Erfolg des Sicherheitsrats als einen "Sieg der Diplomatie" dar. Wir neigen ebenfalls zu dieser Auffassung und geben zusätzlich zu bedenken, dass eine sehr breite nationale und internationale Opposition gegen den Krieg Obama zur Diplomatie gezwungen hat. Diese Opposition war zuvor schon in Großbritannien stark genug, den zum Krieg drängenden Ministerpräsidenten im britischen Unterhaus zurückzupfeifen.
Der Weg zu einem Frieden in Syrien bleibt steinig und stets gefährdet. Es wird von der Stärke der internationalen Zivilgesellschaft und Friedensbewegung abhängen, ob sich die Kräfte der Vernunft und der Gewaltlosigkeit langfristig durchsetzen.
Für den Bundesausschuss Friedensratschlag:
Peter Strutynski (Sprecher)
Anlage: Langfassung der Stellungnahme des Friedensratschlags
Siehe auch: http://www.ag-friedensforschung.de/regio...es-2118-baf.pdf
Sieg der Gewaltdrohung oder der Diplomatie?
Ein Weg zum Frieden - wenn alle mitmachen
Stellungnahme des Bundesausschusses Friedensratschlag zur Verabschiedung der Syrien-Resolution 2118 (2013) des UN-Sicherheitsrats.
Wenn der UN-Sicherheitsrat eine Resolution einstimmig verabschiedet, heißt das noch lange nicht, dass sie auch von allen Mitgliedern einstimmig interpretiert wird. Eine Analyse des Textes der Resolution und seiner beiden Anhänge sowie der begleitenden Statements aus den USA, Frankreich, Russland und China - um nur die wichtigsten zu nennen - ergibt denn auch ein sehr widersprüchliches Bild.
Einerseits enthält sich der UN-Sicherheitsrat (UN-SR) jeder Aussage zur Verantwortlichkeit des festgestellten Giftgaseinsatzes vom 21. August 2013. Eine einseitige - vom Westen bevorzugte - Schuldzuweisung an die Adresse der syrischen Regierung findet sich darin genauso wenig wie die - etwa von Russland ins Spiel gebrachte - Überlegung, der Angriff könnte auch auf das Konto der Rebellen gehen. Auf der anderen Seite ist sich der UN-SR darin einig, dass die Verursacher dieses oder weiterer Giftgaseinsätze für die Verbrechen zur Verantwortung gezogen werden sollen. Dazu muss ein hinreichender Tatverdacht gegen mutmaßliche Täter vorliegen. Somit ist weiterer Streit zwischen den Großmächten programmiert.
Die Resolution wartet mit einer innovativen Interpretation des Völkerrechts auf. Der Einsatz von Chemiewaffen - zweifellos ein schweres Kriegsverbrechen und damit eine "Verletzung des Völkerrechts" - stelle zugleich eine "Bedrohung des internationalen Friedens und der Sicherheit" dar. Diese Formulierung findet sich in Artikel 39 der UN-Charta. Eine solche Feststellung ist die Voraussetzung dafür, Maßnahmen nach Kapitel VII der UN-Charta zu ergreifen, von Embargo- und Sanktions- bis hin zu militärischen Maßnahmen (nach Art. 42). Andererseits wird der UN-SR mit Resolution 2118 nicht im Rahmen von Kapitel VII tätig. Die Resolution enthält auch keinerlei Hinweis auf evtl. Zwangsmaßnahmen gegen Syrien.
Einerseits wird die syrischen Regierung verpflichtet, auf die "Anwendung, Entwicklung, Produktion, Beschaffung, Lagerung, Zurückhaltung oder Weitergabe von chemischen Waffen" ein für alle Mal zu verzichten. Andererseits wird allen "Parteien in Syrien" der Gebrauch, die Produktion usw. von Chemiewaffen verboten. Somit ist diesbezüglich Parität hergestellt. Diese Parität wird aber aufgegeben mit der einseitig an die Regierung in Damaskus gerichteten Forderung, sie müsse alle Aspekte der Entscheidung des Exekutivrats der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) erfüllen und vollständig mit dem OPCW sowie mit dem UN-SR zusammenarbeiten ("cooperate fully").
Dies könnte von Bedeutung sein in Zusammenhang mit dem Anhang I (Annex I) der Resolution. Dieser Anhang besteht aus einem Beschluss der OPCW vom 27. September 2013, in dem eine Reihe detaillierter Maßnahmen zur Vernichtung des syrischen Chemiewaffenarsenals vorgeschlagen wird. Dieser Beschluss bewegt sich sowohl auf der Basis der russisch-amerikanischen Rahmenvereinbarung vom 14. September 2013 als auch auf der Tatsache, dass in der Zwischenzeit die syrische Regierung der Chemiewaffenkonvention beigetreten ist (tritt am 14. Oktober 2013 in Kraft). Die OPCW verlangt von Syrien die Beseitigung aller chemischen Waffen und Ausrüstungen innerhalb "der ersten Hälfte von 2014". Bis zum 1. November 2014 müssen alle Produktionsanlagen und Mischungs- und Befüllungseinrichtungen zerstört werden. - Dieser Zeitraum ist derart eng bemessen, dass es für Syrien schwer sein wird, den Forderungen vollständig und nachweisbar zu entsprechen. Russland und die USA sind seit über 15 Jahren dabei, ihre Chemiewaffenarsenale zu vernichten und sind bis heute noch nicht damit fertig. Jegliche technisch bedingte Verzögerung der Abrüstung könnte den USA und ihren Verbündeten Anlass bieten, Maßnahmen nach Kapitel VII der UN-Charta zu fordern oder selbst zu ergreifen.
Andererseits bietet Anhang II der Resolution eine solide Grundlage für eine Deeskalation des syrischen Bürgerkriegs (einschließlich der Einmischung von außen). Dieser Anhang enthält das abschließende Kommuniqué der Staaten, die Ende Juni 2012 in Genf einen Friedensplan ausgearbeitet hatten. Dieser sah vor (und sieht demnach weiterhin vor), dass die gegnerischen Parteien in Syrien einen sofortigen Waffenstillstand schließen und in Verhandlungen eintreten sollen. Gefordert wurde außerdem die Bildung einer Übergangsregierung, die aus Vertretern der verfeindeten Parteien gebildet werden müsse. Im Resolutionstext des UN-SR werden "alle syrischen Parteien" aufgefordert, "so bald wie möglich" zu einer Nachfolgekonferenz in Genf zusammenzukommen.
In den Statements der Vertreter der USA, Großbritanniens und Frankreichs wurde hervorgehoben, dass die syrische Regierung nur auf Grund der militärischen Drohkulisse des Westens zu den Zugeständnissen in der Chemiewaffenfrage bereit gewesen sei. Dem stehen die Aussagen der Außenminister Chinas und Russlands gegenüber, die das Zustandekommen der UN-Resolution als einen Sieg der Diplomatie bewerten.
Der Bundesausschuss Friedensratschlag sieht das genauso. Nicht Sanktionen und Waffenlieferungen, nicht Gewaltdrohungen haben Damaskus zum "Einlenken" bewogen. Vielmehr hat eine sehr breite nationale und internationale Opposition gegen den Krieg Obama zur Diplomatie gezwungen. Diese Opposition war zuvor schon in Großbritannien stark genug, den zum Krieg drängenden Ministerpräsidenten im britischen Unterhaus zurückzupfeifen.
Vieles von dem, was nun vereinbart wurde, war schon länger auch auf der Agenda der syrischen Regierung. Sie hatte vor über einem Jahr dem Genfer Kommuniqué zugestimmt, sie hat wiederholt Waffenstillstandsverhandlungen angeboten. Widerstand dagegen hat es regelmäßig von Seiten der Rebellen gegeben.
Der Weg zu einem Frieden in Syrien bleibt steinig und stets gefährdet. Es wird von der Stärke der internationalen Zivilgesellschaft und Friedensbewegung abhängen, ob sich die Kräfte der Vernunft und der Gewaltlosigkeit langfristig durchsetzen.
Kassel, den 30. September 2013