Wer die Liebe verliert – Essay eines deutschen Muslims für weniger religiöse Mitmenschen
Viele nichtreligiöse können den religiösen Begriff der Liebe schwerlich verstehen, daher wird im Folgenden der abenteuerliche Versuch unternommen, nichtreligiösen Mitmenschen die religiöse Liebe näher zu bringen, die so eng mit der heutigen Flüchtlingsproblematik zusammenhängt.
In der deutschen Gesellschaft gibt es – sehr diffus verteilt – ein enormes Potential an Liebe. Es ist eine Liebe die gemäß Jesu Worte im Hohelied der Liebe langmütig und gütig ist, die Liebe ereifert sich nicht, prahlt nicht, bläht sich nicht auf, handelt nicht ungehörig, sucht nicht ihren Vorteil, lässt sich nicht zum Zorn reizen, trägt das Böse nicht nach, freut sich nicht über das Unrecht, sondern freut sich an der Wahrheit. Sie erträgt alles, glaubt alles Gute, hofft alles, hält allem stand. Die Liebe hört niemals auf. Wer wünscht sich nicht solch eine Liebe im Herzen? Wer wünscht sich nicht den treuen Lebenspartner, mit dem man ewig zusammen sein kann? Wer wünscht sich nicht diesen Moment, in dem das Gänsehautgefühl einen mit seiner Umgebung verschmelzen lässt und alles gut ist? Dieses, spirituell orientierten Menschen durchaus bekannte Gefühl, ist auch vielen anderen Menschen bekannt, die weniger bewusst an Spiritualität gedacht haben oder bewusst religiös orientiert sind, was an einigen Beispielen erläutert werden soll.
Tausende und Abertausende haben an der Berliner Waldbühne mit Tränen in den Augen mitgesungen als die Söhne Mannheims das Lied „Wenn ein Lied meine Lippen verlässt“ vorgesungen haben, und über 1,6 Mio. Menschen haben sich das Video angesehen
https://www.youtube.com/watch?v=0jPBVK0OlPQ
Was gibt es für herrliche Begriffe in dem Lied, das so viele Menschen auswendig können? Liebe, keine Ängste, Wahrheit, Klarheit, der Schleier hebt sich, das Alte weicht dem Neuen und hilft selbst einen Schmerz zu überwinden, der bis in den Himmel reicht. Und es sind die Lippen des Menschen, der solche Wahrheit ausspricht. Ohne es zu bemerken singen die Menschen von den religiösen Gedanken und Gefühlen, die in ihren Herzen schlummern. Was die Kirchen – und bedauerlicherweise auch viel zu oft die Moscheen – der liebenden Jugend kaum noch vermitteln können, singen hier die so genannten Söhne Mannheims. Die Mitsingenden sind weder Betrunken von Alkohol (bis auf wenige) noch politisch beeinflusst. Sie wollen einfach nur mitsingen, um dieses wunderbare Gänsehautgefühl zu genießen. Und es ist wirklich ein Genuss für sie. Jeder, der solch ein Gänsehautgefühl noch nie erlebt hat, kennt keine Liebe.
Würde man am Ende des Liedes Tausende von Menschen in der Waldbühne über Deutschsein, Flüchtlinge und ähnliche Themen ansprechen, würden sie nur verständnislos aufschauen. Wie kann man nach solch einem Gefühl an so etwas denken? Der Leadsänger Xavier Naidoo ist doch einer von uns! Wer wollte das bestreiten? Wen interessiert seine Hautfarbe? Er singt deutsch und verbreitet Liebe, reicht das nicht? Wenn sein Vater ein Südafrikaner ist, dessen Eltern aus Indien und Deutschland stammen und seine Mutter südafrikanische und irische Eltern hat, na und?? Wer käme in solch einer Situation auf die höchst sonderliche Frage, wie viel deutsches Blut in seinen Adern fließt? Selbst wenn er vom Mond käme, wäre das Lied schön und die Liebe, die damit verbunden ist.
Szenenwechsel: Gehen wir in die Berliner Kantorei. Mitten in einem Einkaufstag fangen im Rahmen eines Flashmobs eine Reihe von hochbegabten Sängern das Lied „Halleluja“ einzustimmen. Die überraschten Besucher schauen auf und vergessen für einen Moment all den Kauftrubel und alle Dinge, an die sie gedacht haben.
https://www.youtube.com/watch?v=mULjPxGKGqI
Die Schönheit der Stimmen begeistert die anwesenden und später Tausende von Leute, die das Video anklicken. Der spontane Applaus ist am Ende ein Ausdruck der inneren Freude aller Anwesenden. Wer würde in solch einem Moment danach fragen, ob der Initiator ein Ausländer war oder nicht. Der Flashmob wurde von dem mexikanisch-französischen Rolando Villazón organisiert. Er spricht nicht einmal deutsch. Na und? Die Schönheit braucht keine Sprache. Und dass er über Gott gesungen hat, dürfte vielen gar nicht aufgefallen sein. Halleluja heißt „Gepriesen ist Gott“ und entspricht dem muslimischen „Subhanallah“.
Letztes Beispiel: Eine Reihe von Typen, die sowohl von der Kleidung als auch vom Aussehen her derart gestaltet sind, dass man ihnen nicht im Dunkeln begegnen möchte, singen vor hunderttausend Leuten ein Lied, dass alle mitsingen können und über vier Millionen haben allein diese Version im Internet angesehen. Es heißt „Nothing else matters“.
https://www.youtube.com/watch?v=3yQ2K6yBH5U
Weitere Millionen haben anderen Versionen gelauscht. Hunderte andere Künstler haben das Lied nachgesungen und auch instrumental nachgespielt. Die Zuschauer geraten in einen Rausch, der unabhängig von Alkohol ist. Und er hängt mit der Liebe zusammen. Das Lied handelt vom Herzen und von der Liebe. „Ich habe nach Vertrauen gesucht und es in Dir gefunden, jeder Tag bringt Neues, öffne Dein Herz für eine andere Sicht, und alles andere ist bedeutungslos.“ Wer wollte verneinen, dass hier die religiös-spirituelle Natur eines jeden Menschen angesprochen wird, selbst wenn sie dann letztendlich in eine betäubende Richtung führt.
Es gibt viele solche Beispiele von Gänsehautgefühl in den Herzen der Menschen und vor allem der Jugend. Im Anschluss an solch ein Lied würde jeder, der tränenerfüllt mitgesungen hat, sofort einen Flüchtling bei sich aufnehmen. Es mag für manche Muslime befremdlich klingen, aber eine der Stärken dieser Gesellschaft besteht darin, dass sie nach wie vor diese Liebe spüren können, selbst wenn sie im Alltag dann missbraucht bzw. in falsche Bahnen gelenkt wird.
Der wahrlich gläubige Mensch hat viele Riten, Gesänge, Anlässe und Gelegenheiten, dieses Gänsehautgefühl mehr als fünf Mal am Tag zu verspüren. Wenn er es nicht tut, dann nur deshalb, weil ihm die Liebe abhanden gekommen ist bzw. geschwächt wurde, wie auch bei vielen „Älteren“ in den westlichen Gesellschaften. Nicht umsonst hat Imam Chamene’i seinen Brief vor allem an die Jugend in Nordamerika und Europa geschrieben.
Eine Urgeschichte aus dem Heiligen Qur’an lässt die Konsequenz von Liebe für alle Seiten klar werden. Als Kain seinen Bruder Abel aus satanischen Gründen umbringen will, antwortet dieser: „Würdest du deine Hand nach mir ausstrecken, dass du mich tötest, so werde ich meine Hand nicht nach dir ausstrecken, um dich zu töten. Ich fürchte Allah, des Universen Herrn.“ (5:28) Die Wahrheit der Liebe ist stets aus blutigen Mündern verkündet worden. Den Höhepunkt dieser Art der Wahrheitsverkündung hat Imam Husain am Tag von Aschura in der Ebene von Kerbela vollbracht. Millionen und Abermillionen von Menschen (nicht nur Muslime) bekommen ein Gänsehautgefühl, wenn sie nur daran denken bzw. jedes Jahr aufs Neue die Geschichte dazu hören.
Wahre Liebe ist unbesiegbar. Selbst wenn man den Träger jener Liebe meint töten zu können, so lebt die Liebe weiter und wird stets größer. Niemand kann verhindern, dass die Liebe am Ende obsiegen wird. Das Einzige, was Menschen versuchen, die durch ihre üblen Taten ihre eigenen Herzen derart verdunkelt haben, dass sie gar keine Liebe mehr verspüren können, ist andere ebenfalls von der Liebe abzuhalten. Dafür zetteln sie Kriege auf allen Ebenen des Daseins an. Doch in jedem Krieg gibt es Menschen, die Liebe verspüren. An jeder Front gibt es Soldaten, die ihre Menschlichkeit nicht aufgeben. Auch in Deutschland gibt es diese Menschen!
Monatelang wurde versucht den Deutschen die Hassfratze aufzusetzen, indem eine Feindschaft gegen Griechen geschürt wurde. Im Windschatten jener Teile-und-Herrsche-Verschwörung sollten die unersättlichen Mäuler der Bänker mit den Geldern gestopft werden, die liebende Menschen erarbeitet haben. Der jüngste „Angriff“ an dieser Liebesfront sind die Flüchtlinge. Alle möglichen Meinungen werden verbreitet, welche die Menschen verwirren. Ist der Albaner ein Wirtschaftsflüchtling? Kommen aus Syrien vor allem zukünftige Dschihadisten, die Deutschland übernehmen sollen? Wie viele Flüchtlinge verträgt Deutschland? Ist das eine Verschwörung, um Deutschland zu schaden? Fragen über Fragen, die allesamt nur ein Ziel haben: Vernichtung der Liebe!
Aber Jesu Revolution bestand in der Nächstenliebe. Mit der Nächstenliebe können alle jene Fragen überwunden werden. Ein Deutschland von Liebenden ist viel gefährlicher für die gesamte Welt, als der Hassdeutsche. Den hasserfüllten Stammtischdeutschen kann man mit Hilfe der Bildzeitung in jede Sklaverei führen. Aber der liebende Deutsche kann nicht nur die halbe Welt mit Lebensmitteln versorgen sondern auch zum Vorbild werden, wie man aus dem Teufelsbund namens Westen aussteigen kann. Deutschland hat das Zeug dazu! Doch gibt es hinreichend mutige Bürger, die den wenigen mutigen Verantwortungsträgern diesbezüglich Mut zusprechen? Die Antwort auf diese Frage ist nicht universeller Art. Es genügt, wenn wir auf der Seite der Liebe stehen. Wenn wir – jeder einzelne von uns – dieses Gänsehautgefühl der Liebe nicht nur nicht verlernen, sondern immer häufiger und immer intensiver spüren können, dann sind wir frei und finden Frieden – so Gott will. Wenn das nicht der Fall ist, und wir keine echte Liebe mehr spüren können, was würde es uns nützen, wenn wir sämtliche Weltschätze beherrschen würden? Wer die wahre Liebe verliert, der verliert alles.
Damit endet mein Essay für weniger religiöse Menschen mit der Bitte, einmal danach zu suchen, wo denn die unerschöpfliche Quelle der Liebe ist und welche Liebe unbesiegbar ist. Wer jene Liebe findet, für den ist alles andere bedeutungslos, denn es gibt nichts anderes außer ihr, was Bestand hat.