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War Adam ein Türke und ist Imam Mahdi ein Libanese?

#1 von Yavuz Özoguz , 08.02.2016 12:41

War Adam ein Türke und ist Imam Mahdi ein Libanese?

Das Gift des Nationalismus ist allen Völkern eingeimpft worden, um sie zu spalten und zu beherrschen, aber bei Muslimen wirkt dieses Gift zuweilen besonders intensiv, obwohl ihr Glaube ihnen Nationalismus verbietet!

Ich erinnere mich an den Besuch eines großen irakischen Gelehrten bei uns im Haus. In unserem Wohnzimmer hängt ein Bild von Imam Chamene’i, was bei einem Anhänger von Imam Chamene’i nichts Ungewöhnliches ist. Unter dem Bild steht in kleinen arabischen Buchstaben der Ausspruch: „lasna minal ahl-ul-kufa labbaik ya imam chamene’i“ (wir gehören nicht zum Volk von Kufa, wir sind (für Dich) bereit o Imam Chamene’i). Die berühmte Aussage geht zurück auf das Ereignis von Kerbela, als das Volk von Kufa Imam Husain (a.) mit hunderten von Briefen eingeladen hatte, um ihn dann im Stich zu lassen und den Mördern Yazids auszuliefern. Seither sagen Anhänger des jeweiligen Imams, dass sie eben nicht so seien, wie die damaligen Verräter in Kufa, die ihren Imam im Stich gelassen haben. Die Aussage ist weder rassistisch noch nationalistisch sondern ideologisch. Sie bezieht sich nicht einmal auf alle damaligen Bewohner von Kufa, denn einige Helden von Kerbela auf Seiten von Imam Husain (a.) kamen aus Kufa. Vielmehr wird damit eine Geisteshaltung ausgedrückt, die wir als aufrichtige Menschen nicht haben sollten. Schon gar nicht wird damit auf die heutigen Bewohner von Kufa eingegangen.

Der Gelehrte aus dem Irak, der jene Aussage sah, war sehr verärgert. Obwohl er Schiit war, obwohl er die Geschichte von Aschura und Kerbela viel besser kannte als meine Wenigkeit, hat ihn diese Aussage gestört und er hat das kundgetan. Aber warum? So viele Gelehrte und gutherzige Geschwister aus der Türkei, dem Iran und Syrien – alles Nachbarländer Iraks – sind bei uns aus- und eingegangen, ohne dass es irgendwen gestört hatte. Kein uns besuchender Libanese hatte sich daran gestört, denn die Aussage betraf nicht „Iraker“ oder einen Teil von ihnen. Sie betraf eine Gruppe Bewohnern einer Region (Kufa und Basra), die vor 1400 Jahren ein großes Verbrechen begangen haben. Warum aber war ausgerechnet und nur der Iraker darüber erzürnt?

Seit nunmehr über 30 Jahren nehme ich an Demonstrationen zur Befreiung Palästinas vor zionistischer Besatzung teil. Die Teilnahme war im letzten Jahrzehnt immer überschaubar. Viele kennen sich gegenseitig. Es sind gütige und aufrichtige Muslime und Muslimas aus der gesamten Bundesrepublik, die z.B. zum Quds-Tag nach Berlin kommen, und sie haben einen Migrationshintergrund aus allen möglichen Ländern des Islam und Europas. Als jedoch Israel den Libanon überfallen hat, gab es eine besonders intensive Teilnahme der Libanesen, wie in keinem Jahr zuvor. Als der Syrien-Krieg begann waren ungewöhnlich viele Syrer dabei, obwohl Libanesen und Syrer erst seit weniger als einem Jahrhundert wissen, dass sie zwei verschiedene Nationen sein sollen. Als die Mavi-Marmara von der Türkei kommend in internationalen Gewässern gekapert wurde, konnten sich sogar Türken zu der Demonstration bewegen lassen, die sonst nie dabei waren. Was ist los mit uns Muslimen? Ist ein Leid unserer Glaubensgeschwister in Palästina nur dann ein uns nahe gehendes Leid, wenn auch jene Betroffen sind, die wir als unsere „Landsmänner“ ansehen?

Selbst bei der für einen Schiiten religionsrechtlich so bedeutsamen Wahl seines Vorbildes der Nachahmung (Mardscha) scheint die Nationalität eine entscheidende Rolle zu spielen. Iraker haben mehrheitlich einen irakischen Mardscha, Iraner mehrheitlich einen iranischen. Und Pakistani bevorzugen mehrheitlich den pakistanischen Mardscha, allein schon, damit er ihnen das Blutigschlagen nicht verbietet. Doch auch bei Sunniten ist es kaum anders. Türken haben einen türkischen Obermufti, den sie als höchste Autorität ansehen, den staatlichen oder denjenigen der eigenen Gemeinde. Und Ägypter haben den Direktor der Al-Azhar, selbst wenn dieser von einem Möchtegernpharao eingesetzt worden ist.

Dieses durch die Kolonialmächte in die Herzen der Muslime eingepflanzte Gift wirkt sich insbesondere in Detuschland aus. Ein sunnitischer Dachverbandsleiter sagte jüngst, dass sich das Bild des Islam in Detuschland aufgrund der Flüchtlinge ändern werde und der Islam nicht mehr von „türkischen Islam“ dominiert werde. Was ist denn ein „türkischer Islam“? Und wenn er sich von dem „nichttürkischen Islam“ unterscheidet, welches ist denn näher an den Islam des Propheten Muhammad (s.)? Natürlich war die Äußerung jenes Dachverbandsleiters verständlich angesichts der Tatsache, dass der größte islamische Verband in Deutschland von einem ganz anderen Staat geleitet wird. Geht es hier um Islam oder um die Nation?

Noch abstruser wird es beim Dachverband der Schiiten. Es gibt keinen halbwegs vernünftigen Schiiten in Deutschland, der bezweifeln würde, dass der „Iraner“ Ayatollah Ramezani der mit Abstand höchstrangigste schiitische Theologie in Deutschland ist, wenn nicht gar in ganz Europa. Selbst diejenigen, die einem anderen Mardscha als Imam Chamene’i folgen, bezweifeln nicht seine religionsrechtliche Kompetenz! Aber insbesondere die Anhänger Imam Chamene’is haben nicht den geringsten Zweifel daran, dass er der Vertreter Imam Chamene’is in Deutschland ist. Dennoch besteht die Gefahr, dass im Zweifelsfall die Nähe zur eigenen Nationalität größer gewertet wird, als die Nähe zur religionsrechtlichen Kompetenz in der unmittelbaren Nähe. Was ist los mit uns Muslimen, dass wir uns selbst zu Anbetern eines Nationalismus degradieren, der Teufelswerk ist?

Gibt es irgendeinen Muslim, der nicht weiß, dass wir vor Gott alle gleich sind und ausschließlich die Gottesehrfurcht der Maßstab ist, der zählt? Nationalismus-Fanatiker bringen in diesem Zusammenhang immer einen Vers aus dem Heiligen Qur’an, der angeblich darauf verweisen soll, dass es Gott selbst war, der uns zu Türken, Libanesen, Iraner, Irakern, Syrern, Deutschen, Franzosen usw. gemacht habe:

„Oh ihr Menschen, wir haben euch erschaffen aus Männlichem und Weiblichem und euch zu Volksbereiche und Sippen errichtet, damit ihr einander erkennt. Wahrlich, bei Allah ist von euch der Angesehenste, welcher der Gottesfürchtigste ist“ (Heiliger Qur’an 49:13).

In dem Vers wird deutlich, dass die Unterteilung in Volksbereiche und Sippen keine Schöpfung ist, sonder lediglich eine Errichtung. Die Schöpfung ist in Mann und Frau. Aber selbst jene Schöpfung hat nur dann Zukunft, wenn sie Mann und Frau vereinigen! Wie ist es dann erst bei der Errichtung? Der Wortstamm zum Begriff „Volksbereiche“ (schuub) kommt ganze zwei Mal im Heiligen Qur’an vor. Zum einen an dieser Stelle und zum anderen bei einer metaphorischen Androhung an Leugner (77:30). Auch der zweite Begriff „Sippe“ (qabila) kommt als Verwendung in diesem Zusammenhang nur zwei Mal vor. Zum einen in obiger Stelle und zum anderen als die Sippe des Satans (7:27). Ausgerechnet letztgenannter Vers ist an die „Kinder Adams“ gerichtet, also an die Nation aller Menschen, wenn Nation schon mit Abstammung zu tun haben sollte. Doch der Begriff „Sippe“ (qabila) hat eine weitere Besonderheit. Der Begriff „Qibla“ (Hinwendung, Gebetsrichtung) hat den gleichen Wortstamm. So heißt es in Vers 2:143: „Und derart haben wir euch zu einer Muttergemeinde (Ummah) der Mitte errichtet, auf dass ihr Zeugen seiet für die Menschen und auf dass der Gesandte Zeuge sei für euch. Und nicht haben wir errichtet die Hinwendung (die Qibla), nach der du dich bisher gerichtet hattest, außer damit wir den wissen, der dem Gesandten folgt …“

Obige Ausführungen dienen nicht dazu, irgendeinen Muslim davon zu überzeugen, dass Türkentum, Irakertum, Arabertum, Libanesentum, Iranertum, Afghanentum, Pakistanertum usw. nichts mit dem Islam zu tun haben! Das weiß jeder Muslim! Sie dienen nur dazu, zu verdeutlichen, dass die „Nation“, die für uns zählt, eine Nation der Überzeugung und des Bekenntnisses ist und nicht eine Nation, in die wir hineingeboren worden sind. Gott erschafft uns frei und gewährt uns sogar die Wahl, uns für oder gegen Ihn zu entscheiden. Der Satan will uns aber unsere Freiheit nehmen und uns eine „angeborene“ Nationalität aufzwingen. Nur wenn wir verstehen, dass alle Menschen aller Völker gleichwertig sind und zusammen gehören, können wir die spalterischen Unterdrückungsmechanismen der Anbeter des Goldenen Kalbes überwinden.

Wie absurd war es doch, als der Papst ein Deutscher war und hier deshalb ein besonderer Hype stattgefunden hat. Was hat das denn für eine religionsrechtliche Bedeutung für einen Katholiken, ob der Papst ein Deutscher oder ein Südamerikaner ist? Waren es nicht eher die Nichtkatholiken, die diese Unsinnsverehrung aufgrund einer Nationalität vorangetrieben haben? Und wie ist es bei Muslimen? Können sich Sunniten auf eine Autorität einigen, die nicht zu ihrer Nation gehört? Nein, das können sie nicht, denn sie sind unterwandert vom Gift der britischen Kolonialisten, die ihnen einen besonderen Stolz eingeimpft haben, welchen sie mit einer „Nation“ verbinden sollen, die sie nie gewählt haben. Und die gleichen Briten unterstützen die Salafisten (über ihre saudischen Ziehkinder), die jene National-Krankheit der Muslime vorgeben zu bekämpfen: Teile und herrsche.

Bei Deutschen ist es umgekehrt. Ihnen wurde eingeimpft eine besondere Scham für die Verbrechen der Urgroßväter zu empfinden, ebenfalls aus dem „Nationalgefühl“ heraus. Diejenigen, die versuchen auszubrechen und jetzt wieder „Stolz“ empfinden wollen ,weil sie Deutsche sind, und sei es im Fußball oder Handball, verstärken nur die Gitter der Gefängnisses, in das sie gesteckt worden sind. Scham oder Stolz, beides ist auf etwas bezogen, wofür sie gar nichts können! Warum sollte ein Deutscher stolz sein, dass Werner von Braun die Menschen ins Weltall befördert hat und einstmals Deutscher war. Was hat er damit zu tun, einmal abgesehen davon, dass Stolz im Christentum zu den Todsünden gehört. Er hat genau so wenig damit zu tun wie mit dem Holocaust.

Und wie ist es mit uns Schiiten? Ist es Zufall, dass die meisten Anhänger der Heiligkeit unserer Zeit Imam Chamene’i Iraner sind? Wären die gleichen Iraner seine Anhänger, wenn er kein Iraner wäre? Und wären die Iraker seine Anhänger, wenn er Iraker wäre? Das sind keine Fragen, um die Leser und ihr Nationalgefühl zu ärgern, sondern Fragen an uns, damit wir verstehen, warum wir so schwach sind, obwohl wir glauben eine vorzügliche Religion zu befolgen. Tatsache ist, dass wir sie eben nicht befolgen! Ein Nationalist kann kein wahrer Anhänger der Propheten (s.) sein. Wem das Leid der an Hunger sterbenden Menschen in Afrika weniger bedeutet, nur weil er kein Deutscher ist, hat ein Teil seiner Menschlichkeit verloren. Und wir deutschen Schiiten, die Deutschland als unsere Heimat bewusst gewählt haben, wie wir auch den Islam und eine bestimmte Richtung darin als Bekenntnis bewusst gewählt haben, müssen uns selbst erziehen, unmenschliche Grenzen in unserem Herzen zu überwinden. „Wahrlich Allah verändert die Lage eines Volkes nicht, ehe sie nicht verändern, was in ihren Seelen ist.“ (13:11) Hier ist wiederum ein anderer Begriff für „Volk“ (qaum) verwendet. Es handelt sich um den Zusammenschluss von Menschen, die in der Kooperation Größeres hervorbringen und der gesamten Menschheit nützlich sein können.

Heimatliebe ist im Islam keine Sünde, sondern ganz im Gegenteil definiert und mit besonderen Riten verbunden. Meine Heimat ist Delmenhorst. Manche holländische Gemeinde ist mir näher als Bayern. Soll ich jetzt mehr für den Bayern empfinden, weil er deutscher ist als der Holländer? Wie absurd, zumal der Holländer in seiner Nationalhymne vom „deutschen Blut“ singt. Aber das wissen die wohl nicht; insbesondere bei Nationalspielen mit Detuschland.

Adam war kein Türke, aber jeder Türke stammt von Adam ab, und Imam Mahdi war nie ein Libanese, aber viele Libanesen werden – sobald er erscheint – ihm folgen, so Gott will. Doch damit er dazu in der Lage ist, muss er sich vorher dazu erziehen, dass es größere Werte der Menschheit und Menschlichkeit gibt als seine Nationalität. Nächstenliebe kennt keine Nation und Liebe auch nicht! Wer zur Quelle der Liebe will, muss alles abstreifen, was ihn davon abhält.


Yavuz Özoguz  
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