Darf Imam Chamene’i fehlerfrei sein? – Ein bescheidenes Geschenk zum Jahrestag!
Eines der am meisten missverstandenen theologischen Konzepte des Islam ist die Fehlerfreiheit von Propheten. Und meine Wenigkeit möchte zum Jahrestag der Islamischen Revolution gratulieren.
Bei sunnitischen Theologen ist das Konzept der Fehlerfreiheit von Propheten nicht gegeben. Nicht einmal der beste aller Menschen, die Gnade für die gesamte Schöpfung, Prophet Muhammad (s.) ist im sunnitisch-theologischen Konzept fehlerfrei. Zwar werden seine Fehler verniedlicht und mit speziellen Fachausdrücken als besonders kleine Fehler, die eigentlich keine Fehler seien, umnebelt. Aber nach sunnitischem Verständnis hat unser Prophet (s.) angeblich Gebete verschlafen, Dattelbauern in die Irre geführt, fehlerhaft Anweisungen gegeben wie beim Donnerstagsunglück, die Umar korrigiert hat, die Ehefrau seines Ziehsohn begehrt, ein merkwürdiges Verhalten gegenüber einem Blinden gezeigt und vieles andere mehr. Gemäß dieser Art von Verständnis muss der Mensch Fehler machen oder anders ausgedrückt: Fehler zu machen wäre dann eine Folge des Menschseins. Fehlerfrei ist nur Gott.
Ganz anders steht dazu die schiitische Theologie. Demnach sind die Propheten und auch andere von Gott autorisierte Personen wie z.B. die Zwölf Imame (a.) und Fatima (a.) fehlerfrei. Jeder Atemzug, den sie ausüben, erfolgt im Namen Gottes. Es gibt keinen einzigen Moment in ihrem Leben, in dem sie von Gott „getrennt“ sind, nicht einmal im Schlaf, und dementsprechend begehen sie auch keine Fehler. Allerdings gibt es auch hierbei eine ganze Reihe von Missverständnissen. Manche glauben, sie konnten gar keine Fehler begehen, sie wären von Natur aus – anders als alle anderen Menschen – immun gegen Fehler. Sie wären sozusagen „gezwungenermaßen“ fehlerfrei bzw. „unfehlbar“, wie es oft fälschlich übersetzt und auch verstanden wird. Wenn das aber so wäre, dann wäre das ein theologisch fragwürdiges Konzept. Denn warum sollte jemand, der vor seiner Schöpfung her gar keine Fehler begehen konnte, eine größere Nähe zu Allah haben, als derjenige, der zwar Fehler begehen konnte, aber dieses fast nie getan hat?
Daraus folgen dann weitere Fragen im Allgemeinen: Muss der Mensch Fehler begehen? Ist die Natur des Menschen von vornherein so konzipiert, dass er gar nicht anders kann, als Fehler zu begehen? Worin besteht der Sinn der Schöpfung, wenn der Mensch Fehler begehen muss? Und warum sollte der Mensch Fehler bereuen, wenn er doch gar nichts dafür kann, dass er sie begangen hat?
Alle diese Missverständnisse beruhen darauf, dass viele Einzelfragen des Islam ausführlich diskutiert werden, ohne dass die Basis für solch eine Diskussion vorhanden ist. So lange die „Usul“, die Grundlagen des Islam nicht verinnerlicht worden sind, können Detailfragen kaum ganzheitlich und ohne inneren Widersprüche gelöst werden. Und die Basis einer jeden Grundlage ist der Schöpfer und der Sinn der Schöpfung. Darüber sind viele Bücher geschrieben worden und auch im Deutschen kann man sich inzwischen der Thematik annähern [1].
Tatsache ist, dass der Mensch erschaffen wurde, um die höchste Stufe der Liebe Gottes zu empfangen. Diese höchste Stufe der Liebe bedeutet, dass der Schöpfer seinem Geschöpf alles schenken, alles anvertrauen, alles übermitteln und alles ermöglichen will. Es geht sogar so weit, dass die gesamte Schöpfung ein Geschenk an das Geschöpf Mensch ist. Das Geschöpf soll im Namen Gottes sein Stellvertreter auf Erden werden. Die Stellvertreterschaft Gottes ist eine enorm hohe Stufe! Sie ist nur möglich, wenn der Mensch sowohl das Bewusstsein als auch die Fähigkeit hat, diese Stellvertreterschaft zu erfüllen. Ansonsten wäre es eine Überforderung und Sinnlosigkeit der Schöpfung. Das Bewusstsein und die Fähigkeit zu dieser enormen erhabenen Größe, die der Mensch durch Gottes Gnade erlangen kann, bedingt, dass ihm „göttliche“ Eigenschaften anvertraut werden. Er ist Träger des Geistes Gottes! Jeder Mensch ist Träger des Geistes Gottes. Der von Gott für die Vervollkommnung erschaffene Mensch hat sogar die bedeutsame göttliche Eigenschaft der Freiheit. Erst diese Freiheit ist es, die ihm zum vollkommenen Menschen machen kann!
Diese Freiheit hat die Konsequenz, dass er die höchstmögliche Stufe erlangen kann, die ein Mensch jemals erlangen kann, aber auch niedriger sein kann, als der Rest der Schöpfung. Wäre die Erlangung der höchstmöglichen Stufe, der Entwerdung“ in Gott, nicht möglich, dann könnte niemand dafür verantwortlich sein, dass er jene Stufe nicht erlangt hat. Aber sie ist möglich! Prophet Muhammad (s.) ist das Licht der Schöpfung, der für alle Geschöpfe der Beweis ist, dass es möglich ist. Die Propheten ihrer Zeit sind der Beweis dafür, dass es in jeder Zeit möglich war. Die Ahl-ul-Bait sind bis zum jüngsten Tag der Beweis dafür, dass es möglich ist.
Moment! Werden jetzt einige einwenden. Ist denn nicht Propheten Muhammad (s.) vor aller Schöpfung erschaffen worden, als erste und beste Schöpfung? Wie kann es da sein, dass er genau wie alle anderen die besagte Freiheit gehabt haben soll? Warum sollte „zufällig“ der Beste zuerst erschaffen worden sein. Hat ihn nicht Gott zum Besten „gemacht“ und uns eben nicht? Wieder spielt das Missverständnis der Grundalgen des ersten Grundsatzes der „Usul“ dem Menschen einen Streich. Im einheitlichen Gesamtheitskonzept, im absoluten Monotheismus gibt es für den Schöpfer kein „vorher“ oder „hinterher“. Gott hat doch selbst die Zeit erschaffen, aber nicht für Sich, sondern für uns! Die gesamte Schöpfung, die gesamte Möglichkeit die höchsten Stufen des Daseins zu erlangen, sind doch nicht für Gott. Er weiß doch von vornherein, wie unser Ende ist. Und dennoch ist nicht sein Wissen der Antrieb für unser Handeln, sondern Er ist es, der uns im Rahmen unserer Schöpfung eine gewisse Freiheit gewährt hat. Und Er ist, es, der denjenigen seiner Geschöpfe, der diese Freiheiten so genutzt hat, dass er sich vollständig Gott ergeben hat, auserwählt hat. Wieder fragt der Skeptische: Was war denn nun zuerst, hat Gott erst den Propheten (s.) mit der Fähigkeit zu Fehlern erschaffen und dann war er fehlerfrei und deshalb hat er ihn auserwählt, oder hat er ihn erst fehlerfrei erschaffen und war er deswegen fehlerfrei? Der Mensch als Stellvertreter Gottes muss versuchen zu verstehen, dass die Zeit ein Gefängnis ist, welches notwendig für seine Freiheit ist. Überwindet er dieses Gefängnis und nutzt er seine Freiheit in der totalen Hingabe in Gott, gibt es für ihn keine Zeitbegrenzung mehr. Wie kann es wohl sein, dass die bei allen Muslimen gültige Überlieferung besagt, dass falls sich zwei Muslime über den Propheten (s.) unterhalten, er der Dritte im Bunde ist? Wie kann das sein? Wie kann es sein, dass ein Märtyrer lebt und wir es nicht verstehen?
Alle Menschen haben die Fähigkeit Fehler zu begehen und alle Menschen haben die Fähigkeit sie nicht zu begehen. Die Fehlerfreien sind unser Beweis dafür, dass es möglich ist, keine Fehler zu begehen, weshalb wir uns selbst für jeden begangenen Fehler anklagen werden, sobald sich unsere wahren Augen öffnen. Die Ahl-ul-Bait sind die Fehlerfreien. Sie sind nicht „unfehlbar“, sonder ganz im Gegenteil, sie sind „fehlbar“ wie jeder andere Mensch, aber sie haben niemals Fehler begangen, weil sie sich vollständig Gott ergeben haben.
Wie aber ist es nun mit den „Normalsterblichen“? Wieder bringen wir einen Begriff, der verwirrt. Wir sind nicht „normalsterblich“, sondern haben das Potential zur Unsterblichkeit! Aber wie ist es mit den Nichtpropheten, den Nichtimamen. Müssen sie Fehler begehen? Wer das glaubt, versteht das Konzept „Mensch“ nicht. Nein, sie müssen keine Fehler begehen! Und es ist auch nicht so, dass es nur die 12 Imame gibt, also heutzutage nur den erwarteten Erlöser in der Verborgenheit, danach kommt erst einmal gar nichts und auf den Abstiegsrängen fangen dann die ersten Menschen an. So ist es nicht! Es gibt sehr viele Menschen, die der Fehlerlosigkeit der Ahl-ul-Bait sehr nahe kommen. Jede Stufe der Fehlerfreiheit ist möglich im Rahmen der Schöpfung, die Gott ermöglicht hat.
Insofern muss jeder vernünftige Mensch in seiner Zeit eines von zwei Dingen tun. Entweder er selbst wird möglichst fehlerfrei, oder aber er sucht sich zumindest eine Person, von der er annimmt, dass er seinem Ideal möglichst nahe kommt, um von dessen Lehren und Weisungen zu lernen. Dieses Prinzip mündet in der Schia zum Prinzip des Velayet-ul-Faqih, was aber an dieser Stelle nicht weiter vertieft werden soll.
Vielmehr soll die Frage aufgeworfen werden, was uns rein praktisch in unserer Zeit heute obliegt. Allen Anhängern der Ahl-ul-Bait ist klar, dass der erwartete Erlöser, der 12. Imam – möge er bald erscheinen – der heute amtierende Fehlerfreie unter uns ist. Und für alle, die einen direkten Draht zu ihm haben, endet dieser Text hier. Sie brauchen nicht mehr weiter zu lesen.
Leute wie meine Wenigkeit, die keinen direkten Draht zum Erlöser haben, bleibt daher nur die Chance, eine Person zu suchen, von der ich aufgrund der Zeichen annehme, dass sie dem Konzept der Fehlerfreiheit sehr nahe kommt. Das ist in meinen Augen die Heiligkeit unserer Zeit Imam Chamene’i. Es interessiert mich nicht, ob mir jemand nachweist, dass Imam Chamene’i in seiner Jugend irgendwann einmal eine Zigarette im Mund hatte oder nicht! Ich weiß, dass er seit über zwei Jahrzehnten das Schiff der Islamischen Republik im stürmigsten Ozean der Weltpolitik in die Richtung der Rückkehr Imam Mahdis als Kapitän sicher lenkt. Und es gibt in meinen Augen auf dieser Welt niemanden, der es besser könnte. Doch meine Einschätzung muss ja nicht von jedem geteilt werden. Andere können in anderen Persönlichkeiten der Zeit den erkennen, der dem Ideal der Fehlerfreiheit nahe kommt. Allerdings sollte sich niemand hier selbst betrügen mit der Anmaßung, er bräuchte solch ein Vorbild nicht. Denn damit würde er von sich selbst annehmen, der Fehlerlosigkeit am nächsten zu sein, und allein diese Anmaßung würde ihn in die Irre führen.
Was aber bedeutet das rein praktisch für Leute wie mich oder andere, die in Imam Chamene’i nicht diesen Quasi-Fehlerfreien sehen. Das soll hier an den Briefen Imam Chamene’is an die Jugend in Europa verdeutlicht werden. Es ist unbestritten, dass diese Briefe an die Jugend im Westen, und damit auch in Deutschland – unserer Heimat – gerichtet sind. Auch unbestritten ist, dass die westliche Hofberichterstattung alles in ihrer Hand mögliche getan hat, um jene Briefe zu verheimlichen. Also obliegt die Verbreitung den Muslimen. Für den wahren Anhänger ist es klar, dass er das ihm mögliche tut, um die Briefe zu verbreiten. Möge Gott uns vergeben, wenn wir dabei so schwach sind. Aber auch für die ihn nicht ganz so intensiv liebenden stellt sich folgende Frage: Waren jene Briefe ein Fehler oder nicht? Wenn sie kein Fehler waren, dann waren sie richtig. Wenn ein Gelehrter auf dem hohen Niveau so etwas für richtig erachtet und meine Wenigkeit das nicht als Fehler einstuft, dann bleibt mir gar nichts anderes übrig, als den Brief zu verbreiten, völlig unabhängig davon, dass ich es als größte Ehre unserer Zeit ansehe in Deutschland diesen Brief verbreiten zu dürfen. Verbreite ich ihn nicht, bedeutet das möglicherweise, dass ich jenen Brief als Fehler ansehe. Obwohl er an meine deutschen Mitbürger gerichtet ist, und obwohl ich derjenigen bin, der den Brief weitertragen kann, trag ich ihn nicht weiter. Das kann gute Gründe haben. Ein schlechter Grund ist aber, wenn ich glaube, es besser zu wissen. Ich würde dann gegenüber mir selbst behaupten, dass ich – zumindest in dieser Angelegenheit – der Fehlerlosigkeit näher bin als Imam Chamene’i! Niemand soll sich hierbei selbst betrügen. Und genau diese Vorstellung werde ich eines Tages vor meinem Schöpfer und meiner eigenen Seele rechtfertigen müssen. Insofern stellt sich gar nicht die Frage, ob Imam Chamene’i fehlerfrei ist, sondern die Frage, wie ich dazu komme zu glauben, fehlerfreier zu sein als Imam Chamene’i bei einer Angelegenheit, die mein direktes Handeln betrifft.
Imam Chamene’i ist der uns geschenkte Diener des Schöpfers und Kommandant des erwarteten Erlösers. Er ist für mich der heutzutage fehlerfreiste Mensch unter uns als Leitung für uns alle zu den Ahl-ul-Bait.
Gerade als ich diese Zeilen beenden möchte, taucht ein alter Text meiner Wenigkeit, in dem ich auch intensiv auf die Briefe Imam Chamene’is eingehe und in dem ich Imam Chamene’i als Heiligkeit unserer Zeit beschreibe in einer Zeitung auf, die sich selbst als sozialistisch sieht und glaubt, nicht an Gott zu glauben. Dennoch setzen sie sich ganz offensichtlich für Imam Chamene’i ein oder helfen zumindest indirekt die Briefe zu verbreiten [2]. Was nützt all die Diskussion um Fehlerfreiheit und Fehlerhaftigkeit, wenn diejenigen, die noch nicht einmal diese Begriffe kennen, die Heiligkeit unserer Zeit mehr unterstützen, als diejenigen, die glauben auf de Weg der Ahl-ul-Bait zu sein. Möge Gott unsere Fehler vergeben.
Mit diesem bescheidenen Text möchte ich meine Glückwünsche an das mutige Volk in der Islamischen Republik Iran übersenden und zum 37. Jahrestag der Islamischen Revolution gratulieren. Ich tue dies im Namen aller, die Imam Chamene’i im Herzen lieben, selbst wenn ich keine Autorisierung dazu habe, denn ich weiß, sie werden sich diesen Glückwünschen anschließen.
[1] http://www.eslamica.de/buecher-nach-them...szination-islam
[2] http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=22537