Qur’ane für Panzer
Was derzeit in Deutschland in den Fußgängerzonen geschieht, ist eine Sache, aber was die Politiker und deren Hofschreiber daraus machen und wie manche Dachverbände reagieren, ist eine derartige Groteske verbunden mit Heuchelei und allgemeinem Islamhass, dass man den Salafisten zumindest für ihren PR-Erfolg gratulieren muss.
Eines vorweg: Ich mag die Art der Islam-Verbreitung der Salafisten nicht. Ich mag es nicht, wenn jemand mit seinem Zeigefinger auf andere zeigt (völlig unabhängig davon, ob Muslim oder nicht). Ich mag nicht ein Auftreten, dass in fast jedem Satz besserwisserisch zu erscheinen versucht und sich mehr gegen die eigenen Glaubensgeschwister richtet, als gegen diejenigen, die Muslime weltweit abschlachten. Es ist erstaunlich, mit was für Videos die Salafisten derzeit auf ihre innerislamischen Kritiker reagieren und damit nichts anderes tun, als das, was sie ihren Kritikern vorwerfen. Ich mag auch nicht diesen Angstverbreitungsislam, dessen jeder zweite Satz mit “haram“ (verboten) und “kufr“ (Unglauben) gekoppelt wird, zumal das nicht die Sprache unseres Propheten (s.) zu den Menschen war. Der Prophet der Wahrheit (s.) war bekannt als “al-Amin“ (der Zuverlässige) unter den damaligen Götzendienern! Und sein Auftreten erzeugte Respekt bei Freund und Feind! Ich mag auch keine Übertreibungen und die Anmaßung, dass bestimmte Menschen glauben, sie würden die Paradiesplätze stellvertretend für Gott verteilen. Ich mag die gesamte Ungerechtigkeit nicht, für die Salafisten (und vor allem ihre Geldgeber) in dieser Welt mitverantwortlich sind. Meine Vorstellung vom Islam ist eine Liebesreligion. Ich verstehe den Heiligen Qur’an als Liebesbrief an die Menschheit und den Islam als das größte Geschenk. Doch bei aller Abneidung, die ich und meinesgleichen gegenüber den Salafismus empfinden, so sind diejenigen, die derzeit in deutschen Einkaufzonen Qur’ane verteilen, Menschen, die – wie jeder Mensch – zumindest gerecht beurteilt werden müssen. Sie sind zudem zumeist Muslime, gegenüber denen ein Muslim besonders respektvoll umgehen muss. Nicht jeder, der Qur’ane verteilt, kennt alle Details des Salafismus. Nicht jeder, der die Qur’ane verteilt, weiß, welche Geldgeber dahinter stecken und welche Absichten. Er verteilt den Qur’an, weil es Gottes Wort ist, dass dem Propheten der Barmherzigkeit (s.) offenbart wurde. Und wenn ich lese, was derzeit die Politiker dieses Landes, ihre hetzerischen Hofschreiber und so mancher Dachverbandsfunktionär in den letzten Tagen von sich gegeben hat, empfinde ich es als unsere Pflicht, differenzierter an das Thema heranzugehen.
Zunächst einmal sei die Frage erlaubt, warum jene “Aktion“ gerade jetzt so sehr in den Vordergrund gestellt und von den Medien “gepuscht“ wird. Jene Qur’an-Verteilungsaktion ist mindestens seit zweieinhalb Jahren im Gange. Schon auf der vorletzten Frankfurter Buchmesse wurde genau jene Übersetzung in genau jener Aufmachung am Stand von Saudi-Arabien kostenlos verteilt. Warum wurde es “plötzlich“, wie aus dem Nichts, zu solch einem Skandal? Es fällt auf, dass jene Aktion genau zum richtigen Zeitpunkt “hochgekocht“ wurde, um eine von Günter Grass losgetretene Diskussion über den menschenverachtenden Zionismus zu ersticken und den “Hass“ der Bevölkerung wieder auf die Muslime zu lenken.
Da sprießt die unglaubliche Zahl von 25 Millionen Qur’anen in der Medienlandschaft, von der mir niemand sagen kann, woher jene Zahl eigentlich stammt. Ist das eine orientalische Übertreibung gewesen? Welcher Verlag in Deutschland hat denn solche Kapazitäten? Und wer bezahlt das? Da taucht dann ein angeblich besonders berühmter “Salafist“ auf, der das finanziert haben soll, aber woher hat der Mann so viele Millionen?
Warum wird z.B. in der Hofberichterstattung nicht dieser Aspekt ein wenig mehr beleuchtet? So handelt es sich bei denjenigen, die den Qur’an auf der Straße verteilen, um zumeist finanziell sehr minderbemittelte Bürger. Gleich mehrere Bittmailaktionen wurden von Teilgruppen in den letzten Jahren gestartet, weil zahlreiche eigene Räumlichkeiten nicht mehr finanziert werden konnten! Einige Räumlichkeiten mussten wegen fehlender Geldmittel geschlossen werden. Wie also kann ausgerechnet jene Gruppe jetzt über 25 Mio. EUR verfügen, wenn man vereinfacht annimmt, dass die Herstellung solch einer gebundenen Ausgabe bei solch einer Auflage nur 1 EUR kostet.
Die Antwort darauf dürfte den Geheimdiensten bekannt sein. Die aber können und dürfen das nicht an die große Glocke hängen, denn das Geld stammt von den Saudis. Das Geld stammt von jenen korrupten Königen und Prinzen, die das Eigentum aller Muslime der Welt in den Casinos Europa verprassen! Das Geld stammt von jenen Königen und Prinzen, die sich selbst König nennen lassen, obwohl es im Islam nur einen König gibt, und die das Heiligste Land der Erde nach einer Familie benannt haben, und die in Saus und Braus leben, obwohl in ihrer unmittelbaren Nähe so viele Menschen an Hunger sterben. Das Geld stammt von denjenigen, die das Eigentum der Muslime (auch der Salafisten) gestohlen haben und in den Dienst der Unterdrückermächte dieser Welt stellen. Das Geld stammt von denjenigen, die an der gleichen Seite wie USA, Israel und Al-Qaida überall in der muslimischen Welt Terror verbreiten! Es sei an dieser Stelle einmal offen gelassen, ob nicht solch ein Geld “haram“ ist.
Aus deutscher Sicht stammt das Geld von denjenigen, die reichlich mit deutschen Waffen und Panzern ausgestattet wurden, damit sie ihr eigenes Volk und dasjenige einiger Nachbarvölker brutal unterdrücken können, weil die Völker sich gegen die Despoten wenden. Hierbei blieb offen, in wie weit eine Art “Subvention“ des deutschen Steuerzahlers vorliegt, oder ob “nur“ eigene ausgemusterte Panzer geliefert werden. Der Hofjournalismus hat nach allen diesen Aspekten nie gefragt. Würde in irgendeiner Form irgendeine Art der Subvention für jene Unterdrückungswaffen bestehen, so könnte man getrost die Behauptung aufstellen, dass Deutschland Panzer nach Saudi-Arabien geliefert und im Gegenzug Qur’ane erhalten hat. Ist das nicht eine moderne Version von “Panzer zu Pflugscharen“? Hier wären es dann Panzer zu Flugscharen, wobei ein Paradiesflug winkt.
Bei den Interviews, die mit Spitzenfunktionären der Muslime geführt wurden, haben die Hofjournalisten sehr auffällig und deutlich darauf bestanden, dass der Interviewte sich immer wieder von den Salafisten zu distanzieren habe. Nur der Vorsitzende des Islamrats hat zumindest versucht, jenem Bestreben auszuweichen, denn er weiß, welche Motivation dahintersteckt. Die gleichen Hofschreiberlinge haben noch vor Kurzen andere dazu gedrängt, sich vom Islamrat zu distanzieren. Teile und Herrsche, das ist die Devise, völlig unabhängig davon, worum es geht. Und ein zu einheitlicher und damit zu großer islamischer Sündenbock für alles Böse in dieser Welt muss eben aufgespalten werden.
Ja, sogar der Koordinierungsrat der Muslime in Deutschland musste sich zu dem Thema äußern. Und die sogenannte Islamkonferenz soll sich an erster Stelle mit der Verteilung der Qur’ane beschäftigen, als wenn die Muslime in Deutschland keine wichtigeren Probleme hätten! So “treibt“ man ja geradezu viele Jugendliche in die Arme der Salafisten, denn die fragen sich ernsthaft, was denn der Koordinierungsrat in letzter Zeit für die Muslime erreicht hätte, dass sie sich jetzt damit beschäftigen muss, dass eine unliebsame Gruppe Qur’ane verteilt. Und noch deutlicher geht natürlich die Frage an die Islamkonferenz, bei der der größte islamische Verband nach wie vor ausgeschlossen ist. Was haben jene Teilnehmer für den Islam und die Muslime in Deutschland erreicht? Was haben sie dafür getan, dass die größte muslimische Gruppe ebenfalls vertreten ist, dass sie sich jetzt damit beschäftigen eine kleine Splittergruppe – wie sie es selbst nennen – öffentlich anzuprangern? Und wofür sollen sie eigentlich angeprangert werden?
Da kommt dann das ultimative Argument: An der Qur’an-Verteilung sei nichts auszusetzen, aber auf den Absender komme es an. Welchen “Absender“ hat denn eine Qur’an-Übersetzung? Schlimmstenfalls sind es die Übersetzer oder der Verlag bzw. die Herausgeber. Zugegeben, ich erachte die verteilte Übersetzung nicht als die beste, aber ist sie nicht immer noch besser als keine? Und nehmen wir einmal an, dass die katholische Piusbruderschaft 25 Millionen Exemplare des Grundsgesetzes verteilen würden, wäre das Grundgesetz deshalb weniger wert und weniger gültig in Deutschland?
Noch mehr aber kann ich mich darüber aufregen, wenn irgendwelche Innenminister jetzt plötzlich sogar ihre Achtung vor der Würde des Islam “entdecken“ und davor warnen, was denn passieren würde, wenn jener kostenlos verteilte Qur’an im Mülleimer wiederzufinden wäre. Ein wirklich an Heuchelei kaum noch zu überbietendes Argument! Da schweigen die Innenminister jahraus jahrein zu jeder noch so absurden und entwürdigenden “künstlerischen“ Aktion gegen den Islam und die Muslime, da hyperventiliert ein Budensinnenminister bei nahezu jedem Atemzug, den er im Zusammenhang mit Islam einatmet und macht keine Hehl aus seinem Islamhass, und genau jene Leute sollen ausgerechnet jetzt zu besorgten Qur’an-Verteidigern mutiert sein? Welche eine Farce!
Wenn man unvoreingenommen an die Geschehnisse herangeht, so könnte man von Außen betrachtet den Gesamteindruck gewinnen, dass unter Führung der Bild-Zeitung hier eine Kampagne am laufen ist, die den “saudischen Islam“ hoffähig machen soll (zumindest unter jungen Muslimen). Denn natürlich wissen auch die Journalisten und Politiker, welche Wirkung solch eine übertriebene Reaktion hat. Kann es sein, dass nach dem aktuell verlorenen “heißen Krieg“ gegen die Islamische Republik Iran während der Neuaufstellung der “kalte Krieg“ durch das “Aufbauschen“ jener saudischen Pervertierung des Islam erfolgen soll. Wir sollten niemals vergessen, dass Saudi-Arabien der engste Verbündete der Westlichen Welt in der Region ist: So viel zu Menschenrechten und dem lügnerischen Anspruch der Westlichen Welt Menschenrechte vertreten zu wollen.
Die hiesigen als Salafisten bezeichneten Bürger – darunter viele gutherzige einfache Muslime, die sich über solch umfassende weltpolitische Zusammenhänge wenige Gedanken machen – sind zu einem Spielball der Imperialisten geworden und werden missbraucht, um eine “Vorreiterrolle“ in dem muslimischen Welt beanspruchen zu können. Wie sagte doch jemand zu der Aktion, dass man den Qur’an nicht instrumentalisieren solle. Die Westliche Welt würde alles und jeden instrumentalisieren um ihrem unmenschlichen Imperialismus und Kapitalismus am Leben zu erhalten, auch den Heiligen Qur’an.
Wir Muslime aber müssen lernen, mit dieser extremen Form der zunehmenden Feindschaft besser umzugehen. Die Anbiederung an die Mehrheitsgesellschaft und/oder irgendwelche Innenminister hilft den Muslimen nicht! Wir müssen lernen “al-Amin“ für die Menschen zu werden, angefangen von der eigenen Familie über die Nachbarschaft, zuverlässige Mitbürger, die sich für die Belange der “kleinen Leute“ einsetzen. Das sind weder irgendwelche Politiker noch deren Hofjournalisten. Das sind aber deine Nachbarn!
Ich persönlich glaube nicht, dass die Verteilung der Übersetzung des Heiligen Qur’an eine sinnvolle Maßnahme zur Einladung zur Wahrheit darstellt. Der Heilige Qur’an macht selbst am Anfang der zweiten Sure deutlich, dass zunächst die Gottesehrfurcht da sein muss, damit dieses Buch eine Rechtleitung für den Leser sein kann. Und ein Gottesehrfürchtiger, der wirklich sucht, wird nicht an einigen Euros scheitern, für die man die Übersetzung bei jedem Buchhändler kaufen kann. Aber wenn irgendwelche andere Muslime diesbezüglich zu einem anderen Schluss kommen, so habe ich Respekt davor und beanspruche nicht, dass meine Meinung die absolut richtige ist! Ich empfehle nur den gütigen Glaubensgeschwistern, die aus einem reinen Herzen die Übersetzung des Buches Gottes an ihre Mitbürger verteilen, weil sie diese zur Wahrheit einladen mögen, sich nicht zum Diener jener Mächte machen zu lassen, die im missbrauchten Namen des Islam sämtliche islamische Güter, das Öl und das heiligste Land unter die Stiefel amerikanischer Soldaten legen.
Uns Muslimen empfehle ich, bei solchen Medienkampagnen nicht immer eine defensive Rolle einzunehmen. Zuweilen kann es auch sinnvoll sein zu schweigen. Und wenn wir etwas zu dem Thema zu sagen haben, dann nicht weil die Kampagnenführer uns dazu auffordern, sondern weil es geboten ist; auch ohne jene Kampagne!
In den letzten Tagen und Wochen – das muss man neidlos anerkennen – haben die Salafisten viele Herzen von jungen Muslimen erreicht! Und wenn die Politiker, die jede Aktion einer radikal-zionistischen Presse nachäffen, vorgeben, ein anderes Ziel erreichen zu wollen, so ist das unglaubwürdig. Die muslimische Gemeinschaft aber muss noch lernen, differenzierter zu urteilen und sich differenzierter zu äußern.
Ich distanziere mich von dem unmenschlichen Salafismus, der eine absolute Pervertierung des Islam ist und in meinen Augen keine Sekte des Islam sondern eine unmenschliche Religion außerhalb des Islam. Aber ich distanziere mich auf keinen Fall von jedem Menschen, der in den Medien als Salafist hingestellt wird, denn möglicherweise hat er sich mit einem reineren Herzen, als ich es habe, für den Islam eingesetzt, selbst wenn ich seine Methode nicht teile. Jemand, der aus einem reinen Herzen die deutsche Übersetzung des Heiligen Qur’an verteilt, um Menschen zur Wahrheit einzuladen, steht mir sicherlich näher, als ein Innenminister, der meint, das der Islam nicht zu Deutschland gehört und als Medien, die Muslimen mit jeder nur erdenkliche und unerdenkliche Lüge überziehen würden, nur um den Zionismus zu schützen.
Wenn tatsächlich 25 Mio. Qur'ane verteilt werden sollten – was ich nicht glaube – dann müsste mit den ohnehin in muslimischen Haushalten bestehendem Qur’an und den seit Jahren bereits verkauften Exemplaren praktisch bald in jedem deutschen Haushalt ein solches Exemplar stehen. Dann wäre Deutschland das erste Land in der Westlichen Welt mit vollständiger Qur’an-Versorgung. Klingt zumindest spannend.