Zum Todestag von Ayatollah HAERI SCHIRAZI
Der folgende Text wurde dem Muslim-Markt von einem Bekannten Ay. Haeri Schirazis zur Verfügung gestellt.
Über Herrn Haeri Schirazi zu sprechen ist für andere sicher angebrachter als für mich, da ich ihn erstens nur seit relativ kurzer Zeit kennengelernt hatte und zweitens mit ihm nur immer nur knapp zusammen war, wenn wir einander trafen. Seine Familie, Schüler und Kollegen haben sicher viel mehr zu sagen. Außerdem kenne ich seine Laufbahn und Ausbildung nur wenig, weiß über seine Tätigkeiten vor und nach der Islamischen Revolution kaum Bescheid, weiß nur, dass er in der Schahzeit auch im Gefängnis war und schließlich danach zum Freitagsimam von Schiraz wurde. Trotz dieser Unkenntnis möchte ich mich nicht dem Wunsch verweigern, aus gegebenem Anlass meine Sicht der eindrucksvollen Persönlichkeit dieses Gelehrten kurz darzulegen und möchte mich allerdings darauf beschränken, drei Seiten seiner vielfältigen Persönlichkeit hervorzuheben
1. Mensch und Natur
Es dauerte nicht lange, wenn man mit diesem Gelehrten zusammen war, zu sehen, dass er eine besondere Beziehung zur Natur hatte, und zwar nicht bloß in dem Sinn, dass er sich selbst sehr gerne in der Natur aufhielt, was ja für viele Menschen zutrifft. Es ging ihm vielmehr auch darum, möglichst natürlich und naturverbunden zu leben und damit in gewisser Weise einen Gegenentwurf zur neuen modernen Lebensweise zu probieren. Er sah natürlich, wie sehr das moderne, von der Technik beeinflusste Leben den Menschen auch negativ beeinflusste, ja ihn vielfach krank machte. Die Art, wie die Menschen vor allem in den großen Ballungszentren lebten und leben, war natürlich das Ergebnis der gesellschaftlichen Entwicklungen auf der ganzen Welt, sie unterschiedlich sie auch ausgeprägt sein mochten. Sie war vielfach auch das Ergebnis der Landflucht, weil viele Menschen auf dem Land, d.h. in Verbindung mit der Natur zu überleben mochten, und deshalb gezwungen waren, vom Land zu flüchten, sich den Zwängen einer städtischen Lebensweise zu unterwerfen und sich dadurch auch der Natur zu entfremden.
Ohne auf dieses Phänomen hier genauer einzugehen, war auf der anderen Seite natürlich zu beobachten, dass in den Umgebung der Städte die Verwüstung der Landschaft im ursprünglichen Sinn des Wortes voranschritt, und zwar gleichsam mit Naturgesetzlichkeit, weil das Verschwinden der Menschen natürlich auch den Rückgang der Bearbeitung des Bodens zur Folge hatte und demgemäß jede landwirtschaftliche Tätigkeit erlahmte und der Boden selbst scheinbar unfruchtbar wurde, ob das nun wirklich der Fall war oder nur eine Folge der Nichtnutzung war. In Verbindung mit der Trockenheit ging natürlich eine gewisse Verwüstung bzw. Versandung einher, welche negativen Folgen das für den Boden haben mochte.
Infolge der genauen Beobachtung des städtischen Lebens mit all seinen täglichen Auswirkungen besonders auf die Jugend, ihre wachsende Arbeitslosigkeit in verschiedenen Gebieten, ihre monotone Freizeitgestaltung, die zunehmende Entfremdung vieler Menschen von der Natur kam Herr Haeri auf die glänzende, ja geniale Idee, durch Fruchtbarmachung von Teilen der Wüste in der Umgebung von Schiraz nicht nur lebenswerten Raum für verschiedene Menschen zu gewinnen, sondern auch andere Probleme zu mildern oder gar zu beseitigen. Dieser Gedanke beschäftigte Herrn Haeri seit längerer Zeit, und er machte sich schließlich daran, ihn den gegebenen Umständen gemäß in der wichtigsten Stadt seines Wirkens als führender Geistlicher in die Tat umzusetzen. So gelang es ihm, ein wichtiges und neues Kapitel des Natur- und Umweltschutzes, wie man im Westen sagen würde, aufzuschlagen. Die Realisierung eines solchen geradezu revolutionären Projekts bedürfte natürlich umfassender Vorbereitung, wissenschaftlicher Untersuchungen und Forschungen, politisch-gesellschaftlicher Überzeugung, der Schaffung von rechtlichen Rahmenbedingungen und der Bildung eines Teams von Wissenschaftlern unterschiedlicher Fachrichtung, Managern, Finanzfachleuten Aktivisten und schließlich von Interessenten, welche eine solches Unternehmen langfristig in die Tat umsetzten und den immer wieder neuen Herausforderungen und Lernprozessen anpassten.
Ehrlich gesagt, ist es angesichts der verschiedenen Vorurteile, Gerüchte, Widerstände durch Behörden, enorme Schwierigkeiten bei der Umsetzung (etwa bei der Wasserversorgung etc.), den unglaublich harten Arbeiten etwa bei der Aufbereitung der Böden schon bei der bloßen Sammlung und Entfernung der Steine etc. , dem Anpflanzen der jeweils günstigsten Früchte, Kräuter, Gemüsearten etc., dem Verkauf des Überschusses durch Bildung von Kollektiven und Genossenschaften usw. usf. ein gar nicht so kleines Wunder, dass hier mehrere Projekte entstanden und zunehmend mehr Menschen nicht nur jeweils ein Stück Wüstenbodens erwarben, um ihn zu bearbeiten, fruchtbar zu machen, vom Ertrag nach vielen Mühen nicht nur selbst teilweise zu leben, sondern auch den Überschuss so zu vermarkten, dass alle Beteiligten inkl. der Konsumenten davon profitierten. Sie sind aber auch ein Zeichen der ungemeinen Hartnäckigkeit, Ausdauer und Weitsicht des Initiators und geistigen Leiters H. Sch. dieses Projekts in der sicheren Überzeugung, dass davon nicht nur viele verschiedene Menschen materiell und geistig profitierten, wichtige Erfahrungen sammelten, individuell und kollektiv auf neue Weise zu arbeiten lernten, eine tiefe Beziehung zur Natur aufbauten und Pionierleistungen vollbrachten, die für Teile des Landes und ihre Bevölkerung in wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und persönlicher Hinsicht neue Perspektiven eröffneten. Ich habe es selbst erlebt, wie etwa Kriegsverletzte akademisch-wissenschaftlicher Provenienz mit einem guten Posten in der Stadt mir versicherten, sie würde ihr neues Leben in der Natur, umgeben von Bäumen mit unterschiedlichen Früchten (Trauben, Nüssen, Pfirsichen etc.) nicht mehr vertauschen, selbst wenn die das Doppelte verdienen würden.
Im Grunde waren und sind diese sowie ähnliche Projekte nicht nur von nationaler Bedeutung, auch wenn Herr H.-Sch. die Leitung inzwischen anderen überantwortet und deren Weiterentwicklung anvertraut hat, sondern sogar von internationaler Bedeutung, wenn man es den jeweiligen Bedingungen anpasst und verhindert, dass gierige Profiteure solche Projekte in bloße kapitalistische Unternehmen umwandeln und ihrem ursprünglichen Geist entfremden.
2. Intuition und Inspiration
Ein anderes Merkmal seiner vielschichtigen Persönlichkeit, wie ich sie auch selbst kennen gelernt und davon wiederholt profitiert habe, war das unglaubliche Einfühlungsvermögen, mit dem er verschiedenen Menschen begegnet ist und mit einer Art von Intuition erfasst hat, wo bei dem betreffenden Mensch der Schuh gerade drückt, wo und wie er Hinweise und Hilfe braucht, um aus einer geistigen und seelischen Sackgasse herauszukommen, welche Gedanken er benötigt, um Vorgänge im eigenen religiösen und gemeinschaftlichen Leben besser zu verstehen, und schließlich selbst inspiriert wird, über Probleme und Lösungen gründlicher nachzudenken, die anderen Menschen eine Hilfe für Orientierung und Weiterentwicklung geben können. Das galt natürlich gerade für Menschen wie mich, die infolge ihres persönlichen Spannungsfeldes durch den Wechsel ihrer Religion in ständiger Auseinandersetzung mit ihrer gesellschaftlichen Umgebung stehen und immer wieder auf Fragen stoßen, deren Beantwortung nicht leicht sind und genaue Überlegungen erfordern. Hierbei ist es natürlich von besonderer Bedeutung, sowohl mit jenen Geschwistern gut zurecht zu kommen, die in muslimischen Familien aufgewachsen sind und meistens ein selbstverständlicheres Verhältnis zu ihrer Religion und Kultur haben als jemand, der durch eine bewusste Entscheidung in der Mitte des Lebens sich für eine neue Perspektive mit allen Schönheiten , aber auch Gefahren und Risiken entschieden hat. Hier nicht in eine ungesunde Isolation zu geraten, weil man sowohl mit den traditionellen Geschwistern schwer zurechtkommt als sich auch von den ehemaligen Angehörigen, Freunden und Wegbegleitern kaum mehr verstanden fühlt, ist und bleibt eine dauernde Aufgabe. Hier war Herr H.-Sch. immer wieder nicht nur eine gedankliche und seelische Hilfe, sondern auch einer, der Türen in neue Dimensionen des Denkens und Handelns aufgestoßen und dadurch maßgeblich zur Erweiterung des Horizonts beigetragen hat, und zwar nicht nur durch freundlich-liebevolle Anstöße, sondern auch durch kritische Hinweise, an denen man durchaus langfristig zu knabbern hatte, bis sie richtig verstanden wurden, aber gerade deshalb wichtig waren.
Diese feinfühlige Intuition des Gelehrten zeigte sich auch im Gespräch mit Andersgläubigen, wenn es etwa um den Unterschied zwischen der Einheit bzw. Einzigkeit Gottes und die Dreifaltigkeit ging. Durch die richtige Verwendung von mystischen Zitaten aus dem heiligen Qur’an, passender Hadithe und Versen von Hafez wurde etwa ein christlicher Gesprächspartner, ein Kollege von mir, dazu gebracht, über solche Aussagen gründlicher nachzudenken, dem Geheimnis der Eigenschaften Gottes näher zu kommen und von innen her den Widerspruch des ‚drei in eins‘ besser zu erfassen und zu transzendieren. Er war so beeindruckt vom Gespräch mit Herrn Haeri, dass er sich auch zur Feier von Daheye Fadschr einladen ließ. Die Bindung an die soziale und familiäre Umgebung ließen aber eine weitere Entwicklung nicht zu.
Viele andere Gespräche ließen mich auch die Windungen und Wendungen der Islamischen Revolution in Iran besser verstehen, vor allem den Umstand, dass auch die Eliten selbst immer wieder den Dschihad-un-nafs auszufechten hatten und dabei nicht davor gefeit waren, sich selbst und ihre Fraktionen in die Irre und Sackgasse zu führen, weshalb er den Gehorsam gegenüber der geistlichen Führung des Landes als umso wichtiger bezeichnete und er selbst diesen Gehorsam strikt praktizierte und die Linie dieses Gehorsams verständlich machte.
3. Beobachter, Denker und Analytiker
Lange dachte ich darüber nach und fand keine überzeugende Antwort darauf, warum die Islamische Erhebung im Iran so wenig Widerhall bei den führenden Intellektuellen Europas fand. Die geschlossene mediale Feindschaft gegenüber dieser Freiheitsbewegung und damit einhergehende Dämonisierung und Verteufelung war für mich leichter durch den fast allgegenwärtigen Einfluss der zionistischen Mafia zu erklären; dass aber nicht wenigstens einzelne Intellektuelle Kapazitäten individuell oder in kleinen Kollektiven aus dieser geschlossenen Front ausbrachen, blieb mir unverständlich, speziell im deutschsprachigen Raum. Was war da der tiefere Grund? Die Mängel in der Art des Exports der Revolution durch die Organe der Islamischen Republik selbst, lieferten keine hinreichende Erklärung, auch nicht die große Abhängigkeiten von den Zentren bzw. Agenturen der Kommunikation und Kultur, auch wenn sie totalitäre Züge anzunehmen begannen. Die Unwissenheit allein konnte nicht der Grund sein, war es doch möglich direkte Kontakte aufzunehmen und die Quellen selbst zu konfrontieren. Ein Gespräch mit Herrn Haeri selbst brachte mich schließlich auf die Spur der Erkenntnis und ich begann erst richtig wesentliche Merkmale der europäischen Kultur besonders seit der Moderne vor und nach dem 20. Jahrhundert zu erfassen.
Herr Haeri betonte in diesem Gespräch, dass die tief verwurzelte Arroganz und lange zurückreichende Hybris gerade der europäischen Kultur und ihrer Eliten auch in der Neuzeit und der sog. Aufklärung die wesentliche Ursache für die ablehnende Haltung der europäischen Intellektuellen gegenüber dem Islam und seiner Renaissance ist. Zunächst stellten diese mit Erstaunen fest, dass die geistigen Wurzeln dieser Revolution nicht aus Europa kamen wie so viele andere vom Sozialismus bis zum Marxismus. Diese (islamischen) Wurzeln waren autochthon, also kein Importgut, an das die europäische Intelligenz leicht andocken konnte. Ihre Ablehnung war jedoch tiefer und stolzer als sogar in Amerika, sie war nicht nur politischer, sondern ideologischer Natur und hatte gleichsam drei Wurzeln: im Anschluss an die Kreuzzüge war die Überheblichkeit kolonialistisch, allerdings nicht mehr unter religiösen Vorzeichen, sondern wirtschaftlich-national; dann war sie im Ganzen antireligiös-säkularistisch, weshalb das Schlagwort von der Rückkehr zum Mittelalter so einprägsam und durchschlagskräftig wurde. Und schließlich war sie geprägt von der Einstellung, dass Europa die höchste und letzte Stufe der Zivilisation erreicht habe, u. a. durch die Etablierung des Sozialstaates, der auch die soziale Frage gelöst habe, während in Amerika die Kluft zwischen der Elite und der zum Teil schwarzen Unterschicht nach wie vor viel größer war.
Auf dieser Grundlage wurde natürlich mein Blick schärfer und ich merkte, dass hier der innere Kern der hochmütigen Ablehnung der Islamischen Renaissance grundgelegt war. Deshalb gab es nicht einmal eine gründlichen Auseinandersetzung, geschweige denn ein ernsthafter Versuch, sie zu verstehen und den Ursprung ihres Erfolgs zu analysieren. Von links bis rechts wurde diese ignorante Haltung common sense, aus der sich kaum einer auszubrechen getraute. Abwertung und Denunziation wurde zur Parole, Verunglimpfung und Manipulation war das Mittel der Konfrontation, wobei jedes Mittel recht schien, um diese Bewegung zum Verschwinden zu bringen, vom Boykott bis hin zu Terrorismus und Krieg; keinerlei Verteidigung gegen die Aggression, geschweige Solidarität und Sympathie. Das war für mich der Durchbruch der Analyse und erklärte, warum die Symapathisanten der islamischen Renaissance bei den Intellektuellen so wenig Erfolg hatten.
Dabei blieb es aber bekanntlich nicht. Weil diese Bewegung nicht mit Terror und Krieg nicht einzudämmen war, wurde eine neue Strategie entwickelt: Die Spaltung der Muslime und die Erfindung des sog. „islamischen Terrorismus“. Aber das ist nicht mehr unser Thema.
Mit diesen wenigen Hinweisen, soll das geistig-intellektuelle Profil des Herrn H-Sh. umrisshaft skizziert werden, was sicherlich fragmentarisch und ungenügend ist, für mich aber die Begegnungen mit ihm sehr lehrreich machten. Was sonst noch hervorzuheben wäre, haben andere wohl schon getan und kommt z. T. auch in kleineren Videos heraus (s. Muslim-Markt).
Das und anderes zeigt: H.-Sch. ist nicht tot; er und seine Bewegung leben weiter nicht nur in den Köpfen seiner Schüler und Weggefährten, der Hörer und Zuseher in den zahlreichen Sendungen, sondern auch bei jenen in Europa, welche die Ehre hatten, ihm zu begegnen und von seiner Persönlichkeit und ihren Facetten zu profitieren.
Siehe auch Ajatollah Muhyiddin Hairi Schirazi