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Wer will die Türkei in einen Krieg drängen?

#1 von Yavuz Özoguz , 12.10.2012 10:01

Wer will die Türkei in einen Krieg drängen?

Das jüngste Eingreifen der Türkei in die zivile Luftfahrt erscheint bei einer sachlichen Betrachtung, die nicht nationalistische gefärbt ist, absurd. Aber wessen Interessen dient die Eskalation des Konfliktes?

Eines sei vorweg festgestellt: Die Bevölkerung in der Türkei will mit überwältigender Mehrheit keinen Krieg mit dem Nachbarland Syrien. Und die meisten Türken wollen auch keine feindschaftlichen Beziehungen zu Russland. Umso erstaunlicher erscheint es, dass ein syrisches Flugzeug, dass in Russland gestartet war, von den türkischen Luftstreitkräften zu einer Landung in der Türkei gezwungen wurde. Dabei spielt es keine Rolle, ob einige wenige Gegenstände an Bord waren, die als waffentaugliche Gegenstände deklariert werden können oder nicht. Wer könnte den Wahrheitsgehalt der sich widersprechenden Behauptungen beider Seiten in dieser Propagandawelt prüfen? Schließlich unterstützt die Türkei die bewaffneten Kräfte gegen die syrischen Regierung ganz offen (was durchaus als versteckte Kriegserklärung gedeutet werden könnte), und Russland hätte sicherlich hinreichend andere Kanäle, um viel effektiver erheblich größere Mengen an Kriegsmaterial nach Syrien zu schaffen,als in einer Passagiermaschine, legen doch russische Kriegsschiffe regelmäßig an syrischen Häfen an, ohne dass irgendjemand sie vorher kontrollieren könnte!

Eine sehr entscheidende Frage in dem Fall wurde von den eingebetteten Hofjournalisten der westlichen Imperialstreitkräfte bisher vollständig ausgeklammert! Wer hat der Türkei den "Tipp" gegeben, ausgerechnet jenes Flugzeug zur Landung auf türkischem Boden zu zwingen? Es ist davon auszugehen, dass es keine russischen oder syrischen Kanäle waren. Auch ist kaum zu vermuten, dass der türkische Geheimdienst über die hinreichende Infrastruktur in Russland verfügt, um über den Inhalt der dort eingeladenen Diplomatenladung (darin sollen sich jene Teile ja angeblich befunden haben) Kenntnis zu erhalten. So muss die Türkei also allem Anschein nach von einem westlichen Geheimdienst eine Info erhalten haben, wobei davon auszugehen ist, dass es die USA waren, die jene Information weitergaben. Jene Information dürfte an eine Art Nötigung an die Türkei gekoppelt worden sein, darauf zu reagieren. Denn damit konnte die USA gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen. Zum einen wurde Russland kurz vor dem Besuch Putins in der Türkei düpiert. Man achte auf den Zeitpunkt der Geschehnisse! Außerdem wurde die Türkei dadurch näher an die Nato gebunden. Eine diplomatische Lösung des Konfliktes - welche die USA gar nicht wünschen - wurde erschwert. In der Türkei wurden nationalistische Gefühle geschürt, welche die Türkei als Flaggenträger des Islam in Stellung bringen sollen gegen die Islamische Republik Iran, welches das eigentliche Ziel der Angriffe ist. Und altosmanische Gefühle sollen zudem Erdogan stärken, der sich zunehmend als treuer Westverbündeter outet.

An dieser Stelle stehen auch innertürkische Fragestellungen im Blickfeld. Die Türkei hat in den letzten Jahren einen zunehmend "islamischen" Anstrich erhalten. Doch jener Anstrich konzentrierte sich vor allem auf Äußerlichkeiten (Kopftuch wird nicht mehr verboten an den Unis aber nach wie vor an den Schulen, es werden mehr Moscheen gebaut, man darf wieder über Islam reden, die Türkei hat die Gaza-Flotte unterstützt). Aber auch in einigen substantiellen Dingen hat Ministerpräsident Erdogan einige beachtliche Ergebnisse erzielen können. So wurden große Teile der türkischen Generalität, die für den Putsch 1979 verantwortlich waren, zur Rechenschaft gezogen, wie auch aktuell putschträchtige Offiziere abgesetzt wurden. Die Machtfülle des Erdogan ist gekoppelt an eine personelle Schwäche der Opposition im Land. Selbst Nichtwähler von Erdogans AKP werden ihm bescheinigen, dass es derzeit keinen Politiker im Land gibt, der es auch nur annähern mit ihm aufnehmen könnte! Diese Situation ist stets eine extrem “gefährliche“ Prüfung für die Seele eines Menschen. Es gibt nur sehr wenige hinreichend selbsterzogene Menschen, die solch eine Lebenssituation meistern, ohne größenwahnsinnig zu werden. Wenn dann der Größenwahn auch noch auf sehr wackeligen Füßen steht, dann wird es erst recht gefährlich.

Erdogans Politik hat nach Außen hin den Anschein erweckt, als wenn sie islamisch orientiert ist. Aber in einem sehr wesentlichen und für die wahre islamischen Entwicklung eines Landes bedeutsamen Aspekt der politischen Entscheidungen, hat Erdogen eine absolut anti-islamische Haltung eingenommen: Seine gesamte Wirtschaftspolitik kann zweifelsohne als turbokapitalistisch eingestuft werden. Mit einer Rekordverschuldung der Türkei ist es ihm gelungen, die Wirtschaft über acht Jahre lang anzukurbeln. Der Aufschwung hat zu einer Steigerung des Wohlstandes im Land geführt, von dem auch die ärmeren Schichten durchaus profitieren konnten, sei es beim Gesundheitswesen und den Krankenkassen für alle oder sei es im Ausbau der Infrastruktur auch in vorher infrastrukturell schwächeren Regionen. Doch die Schere zwischen Reich und Arm ist dadurch nicht kleiner geworden, sondern größer! Genau wie in Deutschland und jeden anderen turbakapitalistischen Land sind trotz Rekordsteuereinnahmen die Schulden der öffentlichen Hand immer weiter gestiegen, weil es sich um ein künstlich erzeugtes Wachstum handelt. Jenes Wachstum dient den Reichen viel mehr als den Armen und zeigt sein wahres Gesicht, wenn es zum Zusammenbruch kommt, sei es durch eine extreme Inflation oder Zustände, wie heute in Griechenland.

Die “reichen“ Jahre der Türkei neigen sich dem Ende zu. Das weiß auch die Regierung Erdogans. Und er wäre nicht der erste Politiker, der in der Ablenkung eines äußeren Konfliktes eine passende Gelegenheit dazu sieht, von bevorstehenden extremen inneren Problemen abzulenken, bzw. jene Probleme auf die äußeren Umstände zu verschieben.

Wie aber muss man sich vorstellen, wenn die USA einen “Tipp“ geben? Es ist nicht das erste Mal, dass die USA durch einen “Tipp“ einen Krieg angezettelt haben, an dem am Ende Hunderttausende von Zivilisten ermordet wurden. Saddam erheilt einstmals einen “Tipp“, dass er Kuwait angreifen könne, ohne dass die USA das verhindern würden. Als Saddam auf jenen “Tipp“ hereingefallen ist, schlugen die USA zu und bereiteten eine spätere Besatzung des Irak vor. Als die Truppen Saddams zurückgedrängt wurden, erzielten die Schiiten in Kerbela den “Tipp“, dass sie sich jetzt befreien könnten. Als sie es versucht haben, hat Saddam sie massakriert, und die USA haben zugesehen! Die ganze westliche Welt erhält tagtäglich den “Tipp“, dass der Iran eine Atombombe bauen würde (seit 20 Jahren!), und nach jeder neuer Sanktionsrunde, ergaunern sich Tochterunternehmen der USA aus Indien und Malaysia die frei gewordenen Kunden. Die meisten “Tipps“ bekommt die Westliche Welt von Israel, die im Windschatten jener “Tipps“ ihre verbrecherische Besatzungspolitik ausbauen kann, ohne dass überhaupt noch darüber geschrieben wird!

Nun hat also die Türkei ein Tipp bekommen, ohne dass den Bevölkerungen der Welt erklärt wird, dass die Türkei nicht “zufällig“ zu einer ganz bestimmten Zeit ein ganz bestimmtes Flugzeug heruntergeholt hat. Und wie wird die Türkei reagieren?

Ziel bestimmter Kräfte ist es ganz offensichtlich die Türkei – und zwar allein – in einen Krieg gegen Syrien zu schicken. Dabei kommt es den Tippgebern gar nicht darauf an, wer jenen Krieg gewinnen kann. Hauptsache die Kräfte sind dort gebunden, möglichst viele Muslime werden gegenseitig massakriert und die Islamische Republik Iran steht weiter unter Druck. Nachdem man sich das Treiben eine Weile angesehen hat, könnte man dann immer noch entscheiden, ob man z.B. einen Kurdenstaat entstehen lässt oder nicht, denn auch der so lange besetzte Irak wird langsam aber sicher aufmüpfig und hört nicht auf jeden Befehl vom Westen. Und mit einem Kurdenstaat könnte man auch sie etwas schwächen. Doch selbst wenn das nicht gelingt, wären die nationalistischen Gefühle für viel Feindschaft geschürt, was die Herrschaft des Imperiums sichern soll.

Die USA und Israel wünschen eine durch und durch nationalistische Türkei. Es wird wirklich eine Ironie der Geschichte, dass ausgerechnet Briten, Russen, Detusche, Ukrainier, Marokkaner, Chinesen, Japaner usw. sich unter dem Banner USA oder Israel vereinigen – obwohl sie so unterschiedliche Kulturen haben – und den Rest der Welt zu Nationalgefühlen drängen (die NPD in Deutschland dient jenen Gefühlen hervorragend!), um sie zu beherrschen. Der Islam aber wünscht befreite Menschen, die sich auch von dem Nationalgefängnis befreien und wahre Brüderlichkeit und Nächstenliebe leben. Das aber ist unter der Herrschaft des Imperiums nicht möglich! Araber, Kurden, Türken, Iraner usw. haben eine gemeinsame Religion, die sie zur Einheit aufruft, aber es gelingt ihnen (noch) nicht. Die Bürger der USA, getrieben von Israel, glauben vor allem an das Goldene Kalb und vereinigen sich darunter. Die biblischen Geschichten leben auch heute noch!

Insofern steht die Türkei heute vor einer wirklich großen Aufgabe und schweren Prüfung. Gelingt es ihr, sich im Zuge dieser Krise vom Würgegriff des Imperiums zu befreien, kann es zu einer Regionalmacht aufsteigen in Brüderlichkeit mit den jungen Nachbarländern, kann eine wahre Wirtschaftsmachtmacht werden, deren Reichtum nicht auf einem künstlichen Wachstum aufbaut, sondern auf wahrem Bedarf, und für wahren Frieden und wahre Freiheit in der Welt eintreten auf Basis von Gerechtigkeit. Wird aber die Türkei weiter in den Strudel dieses Krieges hineingezogen, dann kann die Bevölkerung alles verlieren, was sie in den letzten Jahren glaubt aufgebaut zu haben. Die Entscheidung, in welche Richtung es geht, liegt in der Hand der türkischen Bevölkerung, die auch die Verantwortung darüber trägt.

Im Verlauf dieser Ereignisse bekommt aber auch Deutschland einmal mehr die Gelegenheit, über seine Militärbündnisse nachzudenken. Will Deutschland wirklich auch in den dritten Weltkrieg mit hineingezogen werden? Den Zweiten hat Deutschland mit seinem Verbündeten Japan – wie es in den letzten Tagen deutlich wurde – nunmehr endgültig verloren. Deutschland und Japan haben die zwei vergreisesten Bevölkerungen der ganzen Welt! Dabei sind sie nach wie vor die wirtschaftsstärksten Nationen. An welche Länder denkt man bei Automarken? Aber an welche Länder denkt man gleichzeitig, wenn man die Länder benennen soll, die ihre eigenen Kulturen aufgegeben und sich vollständig der US-Kultur unterworfen haben? Wer hat die in ihren Kulturen prägenden Elemente der Gerechtigkeit aufgegeben, um die Freiheit der USA und Israels, jedes Verbrechen in der Welt begehen zu dürfen, zu unterstützen? Und wer hat seine eigenen Familien zerstört im Namen von USraels Freiheit?

So ist die Syrienfrage nicht nur eine Frage zwischen den Ländern der Region. Sie ist auch eine Frage, an der sich die neue Weltordnung entscheiden kann. Wird es eine Weltordnung, in der Gerechtigkeit ein Maßstab sein wird, oder eine Weltordnung, in der imperialistische Kräfte die Menschheit weiterhin versklaven? Wird es eine Weltordnung, in der Juden, Christen und Muslime unter gegenseitigem Respekt im besten Weg zur Nächstenliebe konkurrieren, oder eine Welt in der im missbrauchten Namen der Religionen Menschen unterdrückt werden? Und das ist nicht nur eine Frage der türkischen Bevölkerung, sondern betrifft uns alle in der Welt, auch uns Deutsche!

Yavuz Özoguz  
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