Warum lässt Gott das Gaza-Massaker zu?
Ein Massenmord historischen Ausmaßes spielt sich vor unseren Augen ab. Über 20.000 Zivilisten innerhalb von nicht einmal drei Monaten im Bombenhagel massakriert, davon die Meisten Frauen und Kinder. So viele Krankenhäuser wie nie zuvor in solch kurzer Zeit brutal zerstört. So viele Journalisten wie nie zuvor in solch kurzer Zeit ermordet. So viele Kriegsverbrechen einer Besatzungsarmee gegenüber dem besetzten Volk und viele andere Grausamkeiten. Doch warum lässt Gott das zu?
Die Frage nach dem Eingreifen Gottes hat seit dem Glauben an Gott die Menschheit beschäftigt. Warum hat Gott die Ausrottung der sogenannten Indianer zugelassen? Warum hat Gott zugelassen, dass über acht Millionen Iraner von den britischen Besatzern ausgehungert wurden [1]? Warum hat Gott den Holocaust zugelassen? Warum lässt Gott zu, dass die USA weltweit die mit Abstand meisten Militärstützpunkte unterhält und die mit Abstand meisten Zivilisten seit dem Zweiten Weltkrieg ermordet hat? Warum darf Israel so ungestraft besetzen? Israelis fragen mit umgekehrten Vorzeichen, warum Gott den Widerstandsangriff der Hamas am 7. Oktober zugelassen habe.
Die Fragen hören nicht auf und klingen wie eine Anklage gegen Gott. Teilweise sind es sogar klar formulierte Anklagen. Eine der berühmtesten israelischen Sängerinnen war wütend auf Gott, weil er die Hamas-Invasion zugelassen habe [2]. Der Schweizer Bestsellerautor Martin Suter will mit Gott ein Hühnchen rupfen, weil er Ansprüche an ihn stellt [3]. Generationen von christlichen Theologen und Philosophen haben sich mit der Anklage beschäftigt. Kant lädt im „Gerichtshof der Vernunft” zur Hauptverhandlung „Menschheit gegen Gott” ein. Und die ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) Margot Käßmann spricht Gott das Eingreifen in das Geschehen ab: „Gott ist nicht Spiderman, der in das Geschehen eingreift.“ [4]
Was die Christenheit seit über 2000 Jahren nicht befriedigend erklären kann – was mit dazu führt, dass die Westliche Welt zunehmend gottlos wird – ist im Islam leicht verständlich. Gott hat den Menschen im Akt der absoluten selbstlosen Liebe erschaffen, um ihm die höchste Stufe der Liebe zu schenken. Wie eine Mutter, die bereit ist für ihr Kind „alles“ zu geben, will Gott uns „alles“ geben, wozu auch die göttliche Freiheit gehört. Als einziges Wesen in der Schöpfung ist der Mensch in der Lage Gott zu verleugnen. Kein Atom, kein Sternensystem, kein Berg oder Tier, kein Engel und kein Teufel kann das. Alle beneiden den Menschen um diese besondere Gabe der Gnade! Und alles ist für den Menschen erschaffen. Nimmt der Mensch diese Gnade dankbar an und entscheidet sich in dieser Freiwilligkeit für Gott, für Gerechtigkeit, für wahre Liebe (und nicht das, was aktuell als Liebe verkauft wird), so kehrt er eines Tages in seine Heimat Paradies zurück und hat die höchsten Stufen der Liebe und des damit verbundene Genussfähigkeit geschenkt erhalten. Ist er hingegen undankbar und lehnt er Gott ab, so kehr er auch zurück und zündet sein eigenes mitgebrachtes Höllenfeuer an.
Im Rahmen dieses Menschen- und Weltbildes ist der Tod im genannten Zusammenhang kein Leid für den Verstorbenen, sondern lediglich für den Mörder. Jeder irdische Schmerz ist in der Gesamtschau des Sinns des Lebens kein Drama für den Leidenden, sondern für denjenigen, der das Leid erzeugt hat. Außerdem wer ist dieser kleine Fliegenschiss namens Mensch, dass er den Schöpfer eines Universums von unvorstellbaren Ausmaßen für irgendetwas anklagen wollte? Welch ein Hochmut beherrscht ihn, dass er seinen eigenen Schöpfer, der ihm überhaupt die Fähigkeit gegeben hat, zu leben, für irgendetwas zur Rechenschaft ziehen wollte?
Daher ist die als Anklage formulierte Frage „Warum lässt Gott das Gaza-Massaker zu?“ nur ein Zeichen, dass der Fragende ganz offensichtlich seinen Schöpfer nicht kennt. Aber die Frage ließe sich auch bei gleicher Schreibweise und anderer Betonung auch anders stellen: „Warum lässt Gott das Gaza-Massaker zu?“ Was also ist der Sinn hinter dem Gaza-Massaker? Welche Gnade steckt dahinter, nicht nur für die erlösten Ermordeten, sondern auch für die Überlebenden und sogar für völlig Unbeteiligte, die mehrere tausend Kilometer entfernt in ihren warmen Stuben hocken und solche Zeilen in die Tastatur tippen?
In dem Gaza-Massaker stecken viele Aspekte, die hier wertungsfrei wiedergegeben werden sollen. Ob sie als besondere Gnade oder Fluch angesehen werden, dürfte vom jeweiligen Standpunkt abhängen.
1. Seit mindestens 40 Jahren gibt es auch in Palästina Schiiten, die sehr gerne das Vorbild von Imam Husain [5] gerade im Kontext von Palästina bekannt gemacht hätten. Sie konnten es aber nicht, denn Schiiten waren in Palästina Verfolgte. Sie mussten ihren Glauben verstecken. Jeder Christ lebte in Palästina seinen Glauben freier als ein Schiit. So sehr waren die Schiiten bei den Palästinensern und ihrer Führung verhasst. Der berühmte Palästinenser Jassir Arafat hatte einstmals seine Truppen gegen „Osten“ (und damit gegen Iran) aufgestellt anstelle eines Kampfes gegen die Besatzer seines Landes. Der Palästina-Platz in Teheran ist ein Zeuge für diese traurige Entwicklung, zumal dort die ehemalige Botschaft Israels stand. Die Botschaft Israels wurde nach dem Sieg der Islamischen Revolution im Iran enteignet und den Palästinensern übereignet, der Platz vor der Botschaft wurde umbenannt in „Palästina-Platz“. Jassir Arafat nahm damals das Angebot Imam Chomeinis dankend an, um es dann wenige Jahre später abzulehnen mit Hinweisen seiner Ablehnung der Islamischen Revolution [6]. Seit nunmehr drei Monaten sehen alle Palästinenser – und auch alle anderen – wer die Palästinenser tatkräftig unterstützt? Es sind die schiitischen Jemeniten, es sind schiitische Libanesen, es sind schiitische Iraker (die US-Basen angreifen) und die schiitischen Syrer und Iraner. Aus dem Rest der muslimischen Welt ist außer einigen markigen Reden kaum etwas zu spüren.
2. Seit 75 Jahren hat sich die ganze Welt damit abgefunden, dass die Palästinenser systematisch vertrieben worden sind [7]. Ihnen wurde jeden Tag neues Land geraubt, die sogenannten Siedler haben das Leben der Palästinenser terrorisiert und Gaza wurde zum größten Freiluftgefängnis der Welt umgebaut. Die Westliche Welt hatte sich damit arrangiert, dass Israel machen durfte, was immer es wollte. Jetzt sieht die Welt, dass 75 Jahre Unterdrückung irgendwann explodieren kann und die Auswirkungen weit über die Region hinausreichen können.
3. Die Behauptung, dass israelische Lobbys die Welt beherrschen, insbesondere das Finanzwesen, die Medien und damit Nachrichtenberichterstattung und damit die gesamte westliche Politik galt neutral als Verschwörungstheorie und für die israelische Lobby als Antisemitismus. Kleine Ausrutscher wie das Buch „Die Israel-Lobby und die US-Außenpolitik“ von John J. Mearsheimer und Stephen M. Walt aus dem Jahre 2006 [8] galten als Ventil, um behaupten zu können, man habe jene Meinung immerhin nicht unterdrückt. Jetzt sieht die Welt, wie einseitig und menschenverachtend die westlichen Medien und die westliche Politik handeln und dem Besatzer ein maßloses Verteidigungsrecht gegenüber dem Besetzten zubilligen, während jeder Widertand der Besetzten als Terrorismus gebrandmarkt wird.
4. Das Gerede von Menschenrechten, Meinungsfreiheit und Demokratie galten als Markenzeichen des Westlichen Welt. Im Zuge des Gaza-Massakers ist das gesamte Propaganda-Kartenhaus in sich zusammengebrochen. Heute steht die Westliche Welt im Rest der Welt für die größten Verbrechen unserer Zeit. Zionisten kündigen Massaker im Namen der deutschen Staatsräson an [9]. Und der gesamte sogenannte globale Süden wirft nach und nach die Fesseln der Unterdrückung ab und steht auf der Seite der Palästinenser.
5. Viele Parolen wie „Zionisten sind Rassisten“ oder „Kindermörder Israel“ wurden jahrzehntelang in allen westlichen Staaten gerufen, und im Rahmen der Meinungsfreiheit problemlos geduldet, da man der Meinung war, die Wahrheit würde ohnehin das Gegenteil beweisen. Jetzt werden diese Parolen immer weiter strafrechtlich verfolgt. Die Schlussfolgerung sei jedem selbst überlassen.
6. Die westlichen Journalistenverbände haben sich bei jedem inhaftierten pro-westlichen Journalisten die Hände Wund geschrieben, um angeblich die Meinungsfreiheit zu schützen. Bei dem weltweit größten Massaker an Journalisten in unserer Zeit aber schweigen sie alle! Kann es sein, dass es gar nicht um Meinungsfreiheit geht?
Und so gäbe es sicherlich noch Dutzende anderer Aspekte, die als große Gnade des Gaza-Massakers erkannt werden können. Auch das Mitgefühl für 7000 ermordete Kinder ist eine Gnade. Denn jetzt „outen“ sich weltweit alle menschenverachtenden Nimmersatten, die keinerlei Mitgefühl für die ermordeten Babys zeigen. Auch alle Heuchler werden entlarvt.
Doch eines der wichtigsten Aspekte des Gaza-Massakers könnte im Zusammenhang mit der Heiligkeit unserer Zeit stehen, denn die Heiligkeit muss immer wieder aufs Neue erkennbar sein. In seinen vielen Reden zum Gaza-Massaker hat er immer wieder auf seinen Jahrzehnte alten Friedensvorschlag hingewiesen, dass die Bevölkerung Palästinas selbst über ihr Schicksal entscheiden sollte. Aber da gibt es einen anderen Aspekt, der nicht in Vergessenheit geraten sollte. Es gibt einen indirekten Wortwechsel zwischen Imam Chamenei und Netanjahu der in die Israel-Restzeituhr mündete [10]. Sie steht auf dem Palästina-Platz in Teheran und zählt die vermutete maximale Restlaufzeit der Existenz Israels im Tagesrhythmus herunter. Hintergrund für den Countdown ist eine Rede Imam Chameneis vom 9.9.2015 nach dem Abschluss des Atomabkommens zwischen der Islamischen Republik Iran auf der einen Seite und den sogenannten fünf Veto-Mächten plus Deutschland auf der anderen Seite. In dieser Rede hat Imam Chamenei im Rahmen einer längeren Betrachtung zum Thema gesagt: „Ich möchte ein paar Dinge über das zionistische Regime sagen. Nach Abschluss der Atomverhandlungen hörten wir, wie die Zionisten im besetzten Palästina sagen: „Mit diesen Verhandlungen werden wir in den nächsten 25 Jahren keine Sorgen über Iran haben und danach werden wir darüber nachdenken.“ Ich möchte sagen, dass Sie als Antwort darauf 25 Jahre ab heute gar nicht miterleben werden! Durch Gottes Gnade und Segen wird das „zionistische Regime“ in 25 Jahren nicht mehr existieren. Zweitens, auch während dieser Zeit werden dich der revolutionäre, epische, dschihadistische und islamische Geist nicht einen einzigen Augenblick in Ruhe lassen! Sie sollten das wissen. Nationen sind erwacht. Sie wissen, wer der Feind ist. ...“. Daraufhin haben die Anhänger Imam Chameneis im Jahr darauf auf dem Palästina-Platz in Teheran jene Uhr enthüllt. Der Begriff „Heiligkeit unserer Zeit“, wie ihn der weltberühmte katholische Geistliche Ernesto Cardenal einstmals verwendete [11], muss trotz extrem feindlicher Propaganda für jeden Wahrheitsliebenden erkennbar und erreichbar sein. Durch die Ereignisse in der Welt muss die Wahrheit von der Falschheit unterscheidbar sein. Sonst könnte niemand dafür verantwortlich gemacht werden, dass er es nicht unterscheiden konnte.
Aber es sind nicht nur Heilige, die etwas vorhersagen. Auch andere versuchen es, nur dass es dann schief geht. Im Kampf der Kulturen [12] wurde bereits 1996 darauf verwiesen, dass für den Sieg der Westlichen Welt über den Islam es notwendig sei, die orthodoxe Kirche auf die eigene Seite zu gewinnen. Das ist ganz offensichtlich misslungen. Und während der amtierende westliche Papst homosexuelle Paare halbherzig zu segnen erlaubt, steht die orthodoxe Kirche Seite an Seite mit dem Islam für ein Menschenbild, in dem jedem Mann, der denkt er sei eine Frau und jeder Frau, die denkt sie sei ein Mann, psychologisch geholfen werden muss und nicht der Klempner-Medizin und Pharma-Industrie, die daran verdienen will. Die Entwicklung steht symptomatisch für die Westliche Welt, die glaubt Weltherrscher zu sein. Dafür sollen alle anderen umoperiert oder bevormundet werden. Aber der Rest der Welt spielt nicht mehr mit und will gesund bleiben.
Die Welt befindet sich im Wandel und in diesem Wandel ist das Gaza-Massaker eine Gnade für die Menschheit. Am Ende wird es in Palästina weder einen Judenstaat noch einen Christenstaat noch einen Muslimen-Staat geben, sondern einen Staat, in dem alle Bürger gleichberechtigt sind. Und dann werden sie der Westlichen Welt Menschenrechte lehren. Mag sein, dass er schon bald kommt. Mag auch sein, dass es noch lange dauert. Aber der Mensch glaubt, die Zeit vergeht, während die Zeit weiß, dass der Mensch vergeht, wenn er nichts Bleibendes mitnimmt. Der Friede sei mit allen, die der Wahrheit folgen.
[1] http://www.eslam.de/begriffe/i/irans_grosse_hungersnot.htm
[2] https://www.israelheute.com/erfahren/isr...zugelassen-hat/
[3] https://chrismon.de/artikel/2010/2131/ei...en-martin-suter
[4] https://www.bild.de/politik/inland/margo...02740.bild.html
[5] http://www.eslam.de/begriffe/h/husain_ibn_ali.htm
[6] http://www.eslam.de/begriffe/p/palaestina-platz_teheran.htm
[7] http://www.eslam.de/begriffe/d/die_ethni...palaestinas.htm
[8] https://de.wikipedia.org/wiki/The_Israel..._Foreign_Policy
[9] Zionisten kündigen Massaker im Namen der deutschen Staatsräson an
[10] http://www.eslam.de/begriffe/i/israel-restzeituhr.htm
[11] http://www.eslam.de/begriffe/h/heiligkeit_unserer_zeit.htm
[12] https://de.wikipedia.org/wiki/Kampf_der_Kulturen