Brief an die in Gaza ermordete kleine Fatuma
Liebes kleines Mädchen in Gaza,
Gottes Friede sei mit Dir und Seine Gnade und vor allem Seine Liebe, für die er Dich erschaffen hat. Ich weiß nicht, wie Du heißt, denn es gibt so viele von Dir. Daher nenne ich dich Fatuma, oder kleines Fatimalein. Fatima ist der heiligste weibliche Name, den ich kenne, und keinen geringeren Namen hast du verdient. Die verniedlichte Form Fatuma möge Dir Freude bereiten. Aus den Aussagen des Besten aller Menschen weiß ich, dass die Dahingeschiedenen die Welt besser wahrnehmen als die scheinbar Lebendigen. Daher hoffe ich, dass dieser Brief Dich erreichen wird und Du mir vergeben kannst für meine Hilf- und Nutzlosigkeit zum Schutz Deinergleichen. Gottes Gnade ist unübertreffbar, aber er wird mir nicht vergeben, wenn Du mir nicht vergibst, denn dieses Recht hat Dir Dein Dich liebender Schöpfer gewährt!
Mit Tränen in den Augen sitze ich vor dem Heiligen Quran und lese einige Verse in der Sure „das Einrollen“ (81:8-9):
„und sobald die Lebendig-Begrabene gefragt worden ist, wegen welcher Sünde sie getötet worden ist“
Wie einfach war das Lesen dieser Verse, als ich dachte, diese Verse würden sich auf die kleinen Mädchen beziehen, die vor 1400 Jahren in einem ignoranten Volk auf der arabischen Halbinsel lebendig begraben worden sind, weil sie Mädchen waren, und erst der Islam die Mädchen befreit hat. Aber jetzt merke ich, dass die Verse mich direkt ansprechen, mir direkt ins Herz stechen. Wegen welcher Sünde bist Du kleine Fatuma lebendig begraben worden? Was hast Du getan, dass so viele Bomben und Raketen auf dich wie ein unaufhörlicher Hagel abgeworfen werden und die ganze Welt dabei zuschaut? Große Teile der Westlichen Welt, allen Voran mein Heimatland, unterstützen sogar den Raketenwerfer.
Wirst Du meine Tatenlosigkeit verstehen, wenn ich Dir schildere, in was für einem Land und mit was für einem Volk ich lebe? Ich lebe in einem Land, dessen Bevölkerung vergreist ist und nur noch wenige Junge Menschen vorhanden sind. Selbst viele dieser jungen Menschen haben bereits vergreiste Herzen durch die Dekadenz des untergehenden Kapitalismus und die Unersättlichkeit eines Imperialismus, bei dem Deutschland Vasall eines Hegemonen geworden ist, der selbst seine engsten Verbündeten opfern würde, nur um noch reicher und mächtiger zu werden. Ich lebe unter einem Volk, bei dem die meisten Bürger denken, dass ein Unterdrücker und Besatzer, der ein anderes Volk seit acht Jahrzehnten schlimmsten Grausamkeiten ausgesetzt hat, ein „Selbstverteidigungsrecht“ gegen den Besetzten hätte. Gleichzeitig wird den Menschen tagtäglich von morgens bis abends eingetrichtert, dass die unterdrückten Palästinenser keinerlei Recht auf Widerstand gegen den Besatzer hätten, da sie sonst Terroristen wären. Ich lebe in einem Staat, zu dessen Staatsräson es gehört sämtliches Völkerrecht und alle Menschenrechte dem Schutz eines Apartheid- und Besatzungsstaates unterzuordnen. Wir haben keine Verfassung, die vom Volk demokratisch legitimiert wäre, aber eine Staatsräson, die noch über unserem Grundgesetz steht. Jede Einzelperson, jede Organisation, jede Partei, die sich wirksam gegen die Staatsräson äußern würde, würde hier in dem Grad verfolgt, wie sie der Staatsräson gefährlich werden könnte. Sämtliche im Bundestag vertretenen Parteien stehen an der Seite der Unterdrücker und Besatzer. Jeder wird in Deutschland dazu aufgefordert das Existenzrecht Israels anzuerkennen, während die Verantwortlichen bis heute Palästinas Anerkennung kategorisch verweigern. Jeder Mensch, der auch nur ein Minimum an Gnade und Gerechtigkeitssinn in seinem Herzen bewahrt hat, weiß, welcher Komplize eines so grausamen Verbrechens Deutschland durch seine Politiker geworden ist. Aber selbst wenn ein Besatzer sich gegen den Widerstand der Besetzten wehren dürfte, welches Gesetz dieser Erde erlaubt 36.000 Menschen zu ermorden, darunter vor allem Frauen und Kinder – Kinder wie Du liebe Fatuma – um 1200 eigene Verluste zu rächen? Welches Menschensystem erlaubt es, ganze Krankenhäuser mit tausenden schwer verwundeten Patienten dem Erdboden gleich zu machen, weil sich darin einige „Terroristen“ verschanzt haben könnten. Solche Verbrechen töten Dich und Deine Familie, aber sie töten auch meine Seele und die Seele meines Volkes, die wir das mittragen! Du lebst jetzt in Glückseligkeit. Wir aber müssen auf Deine Güte und Liebe hoffen, dass die Liebe Gottes durch dich überfließt zu uns.
Liebe Fatuma, viel könnte ich Dir über mein Land erzählen und viele Argumente könnte ich Dir auflisten, warum Meinesgleichen so schweigsam ist. Du würdest mir deshalb wohl vergeben in Deiner Güte, aber ich selbst kann mir nicht vergeben! Denn in jener so heftigen Sure im Heiligen Quran steht kurz nach obigen Versen:
„und sobald die Höllenglut angefacht worden ist, und sobald der Garten angenähert worden ist, hat eine Seele gewusst, was sie bereitet hat.“
Du bist unter jener irdischen Höllenglut dahingeschieden und unsterblich und jetzt nahe dem Garten, dessen Name „Paradies“ als „Firdaus“ im Heiligen Quran so eindrücklich beschrieben ist. Meine Wenigkeit aber hat durch seine Tatenlosigkeit und Kaltblütigkeit seine eigene Höllenglut angefacht und meine Seele weiß, was ich mir damit bereite. Meine einzige Hoffnung ist die Gnade des Allmächtigen und Deine Liebe, die Du von Ihm erhältst und weitergibst.
Eines Tages wird auch in diesem Volk eine Jugend aufwachen, die erkennt, dass Menschlichkeit nicht käuflich ist und Frieden nicht mit Waffenlieferungen an Verbrechersysteme zu erreichen ist. Dann werden wir beschämt auf das Heilige Land schauen. Dort wird es eines Tages Frieden geben zwischen Juden, Christen und Muslimen. Und all jene, die mit ihren Verbrechen diesen Frieden so lange hinausgezögert haben, werden zur Rechenschaft gezogen werden. Doch was kümmert mich die Bestrafung der blutrünstigen Monster in Politiker-Kleidern, wenn doch meine eigene Seele das Heil sucht.
Und so kniee ich barfuß vor Deinem kleinen zerbrechlichen Leichnam in einem unbekannten Grab im Herzen von Kerbela, das heute Gaza heißt. Mein geliebter Imam, der heute ein echter al-Hussaini ist (Nachkomme von Imam Husain aus Kerbela), hält die Leiber der jungen Mädchen und Jungen in die Höhe und fragt: Will niemand diesen Babys etwas zu trinken geben? Die Antwort der Tyrannen unserer Zeit ist unzweifelhaft und für jeden laut und deutlich hörbar: Wir werden sie aushungern, wir werden sie verdursten lassen, bis sie sich unterwerfen! Doch Deinesgleichen unterwirft sich nur Gott! Die Welt spaltet sich in die kleine Schar der Anhänger Imam Husains und die Welt der unzähligen Söldner des Imperiums. Es gibt einige Überläufer zu Imam Husain.
Liebe Fatuma, bitte betrachte mich als einen dieser Überläufer. Ich habe dich in Gaza oder Kerbela im Stich gelassen und die Umstände meiner Heimat erlauben es mir nur, diesen Brief zu schreiben. Aber mit meinem Herzen bin ich an Deiner Seite wie so viele in diesem Land, die sich aber nicht trauen, das auszusprechen. Verzeih uns! Als Überläufer bin ich bereit die harmlosen Peitschenhiebe der Unterdrücker und Besatzer zu ertragen. Sie nennen mich Antisemit, Extremist, Islamist und vieles andere mehr. Aber wenn an Deiner Seite zu stehen mit diesen Titeln bedacht wird, dann bin ich dankbar für diese Titel. Und glaube mir, ich kenne in diesem Land eine ganze Reihe von gutherzigen Juden, Christen und selbst Menschen, die glauben nicht an Gott zu glauben, die auch dankbar sind, dafür beschimpft zu werden, weil sie sich für Menschlichkeit einsetzen.
Mögest du in der Gemeinschaft der besten aller Menschen aufgenommen werden zusammen sein mit den lichterfüllten Gesichtern, die Gottes Licht widerspiegeln. Mögest du an der Seite der wahren Fatima, dem Licht Gottes am Festmahl der Zufriedenheit Gottes teilnehmen. Wir alle hoffen auf Deine Fürsprache an dem Tag, an dem es kein Entrinnen geben wird. Gott schenke Dir die höchsten Stufen der Glückseligkeit und meiner Wenigkeit und Meinesgleichen die Gnade, Dir eines Tages Deine edlen Füße salben und Dich bedienen zu dürfen.
Der Friede Gottes sei mit dir, mit allen Märtyrern Gazas, Palästinas und der ganzen Welt, seien sie Juden, Christen, Muslime oder Andersgläubige. Der Friede sei mit allen, die an der Seite der Unterdrückten stehen und furchtlos gegen die Unterdrücker aufgestanden sind. Der Friede sei mit denen, die der Wahrheit folgen. Der Friede sei mit Dir, o Fatima, die Du die Fatuma aufnehmen mögest, so Gott will.