Offener Brief an Bundesinnenminister Dr. de Maizière in Dankbarkeit für ein Vereinsverbot
Gleich zu Anfang dieses Briefes, Herr Dr. de Maizière, verzichte ich auf jegliche Ehrungsformel, denn es wäre angesichts der Verachtung, die ich für Ihre Arbeit spüre, reinste Heuchelei. Dennoch handelt es sich um einen Dankbarkeitsbrief für Ihren aus meiner Sicht gestrigen gravierenden Fall von Amts- und Machtmissbrauch.
Gestern haben Sie den Verein „Waisenkinderprojekt Libanon e.V.“ mit der Begründung verboten, der Verein würde sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten. In Ihren offiziellen Verlautbarungen dazu heißt es: „Der Verein unterstützt seit Jahren mit Millionen-Beträgen die "Hizb Allah"-eigene "Shahid-Stiftung" ("Märtyrer Stiftung") ….“
Ich bin dankbar, dass Sie einmal mehr den in Ihrem Haus offensichtlich vorherrschenden antidemokratischen Geist derart bloßlegen. In einer wahren Demokratie gibt es eine Gewaltenteilung zwischen den drei Gewalten. Sie aber maßen sich an gleichzeitig Ankläger, Richter und Vollstrecker zu sein! Allerdings wird diese Anmaßung offensichtlich zu einem gravierenden Fall von Amts- und Machtmissbrauch, wenn man berücksichtigt, dass Sie genau die gleiche Vorgehensweise mit exakt der gleichen Begründung bereits vor vier Jahren gegenüber dem damals von Ihnen propagandistisch als „Hamas‑Spendenverein“ bezeichneten Verein durchgezogen haben. Der Verein hat damals geklagt, und Sie haben die erste Instanz verloren. Der Fall liegt inzwischen beim Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung. Obwohl das Bundesverfassungsgericht noch nicht entschieden hat, haben Sie nicht gewartet und haben die gleiche Vorgehensweise, die von deutschen Gerichten bereits zurückgewiesen wurde, erneut praktiziert. Ist das nicht eine eklatante Missachtung der eigenen Gerichtsbarkeit durch einen Bundesinnenminister? Der Vorsitzende des Vereins, den Sie damals verboten haben, ist Mitunterzeichner des Staatsvertrags, den das Bundesland Hamburg mit den Muslimen geschlossen hat. Noch deutlicher lassen sich die Absurditäten und der unterdrückerische Charakter Ihrer damaligen Maßnahme kaum darlegen.
Ihre aktuellen Begründungen in den Medien verheimlichen, dass die Hizbullah als Widerstand gegen die Besatzer gegründet wurde während der Jahrzehnte andauernden Besatzung des Libanon durch israelische Soldaten. In Deutschland gibt es zahlreiche zionistisch orientierte Vereine, die jene Besatzung gut geheißen haben und es heute noch tun. In Deutschland gibt es im Kabelkanal Sender, die unter Israel das sogenannte Groß-Israel verstehen und ganz offen für Besatzung werben. Es gibt Vereine, die Israel finanziell und mit Soldaten unterstützen. Alle in Deutschland ansässigen, zionistisch orientierten Vereine befürworten die andauernde völkerrechtswidrige Besatzung, die völkerrechtswidrige Annektierung Jerusalems und die Strangulierung des Gaza. Jene Vereine treten offen für die Vernichtung Palästinas ein und unterstützen diejenigen, die das praktizieren. In allen jenen Handlungen sehen Sie überhaupt kein Problem bezüglich des Gedankens der Völkerverständigung. Aber wenn Menschen in Deutschland Gelder sammeln, um den Opfern jener zionistischen Aggression zu helfen, die Waisenkinder zu ernähren und ihnen eine Schulausbildung zu ermöglichen, dann soll das gegen die Völkerverständigung gerichtet sein?! Auch Ihren Geheimdiensten wird wohl bekannt sein, dass mit den Geldern vor allem elternlose Kleinkinder großgezogen wurden, die sonst kaum eine Chance gehabt hätten auf eine vernünftige Schulausbildung; darunter auch Christen. Ich bin zwar traurig, aber gleichzeitig dankbar, dass Sie sich offen auf die Seite der Besatzer stellen und die Seite der unterdrückten unschuldigen Kinder mit Füßen treten. Denn selbst, wenn jemand so etwas über Sie behauptet hätte, wäre es nie so glaubhaft gewesen, wie Sie es jetzt selbst offen gelegt haben.
Ich bin dankbar, dass Sie das Vereinsrecht missbrauchen, um Ihre offen pro-zionistische Gesinnung, die jeden friedliebenden Juden, Christen oder Muslim beleidigt, offen zu legen. Sie schreiben: "Organisationen, die sich unmittelbar oder mittelbar von deutschem Boden aus gegen das Existenzrecht des Staates Israel richten, können sich nicht auf die Vereinigungsfreiheit berufen. Daher habe ich heute den Verein Waisenkinderprojekt Libanon e.V. mit sofortiger Wirkung verboten". Obwohl der Verein „Waisenkinderprojekt Libanon e.V.“ sich niemals in irgendwelche politischen Fragestellungen eingemischt hat, haben Sie diese Maßnahme ergriffen. Ehrlicherweise sollten Sie hinzufügen: "Organisationen, die sich unmittelbar oder mittelbar von deutschem Boden aus gegen das Existenzrecht eines Staates Palästina richten, können sich nicht nur auf die Vereinigungsfreiheit berufen, sondern werden auch von der Bundesregierung gefördert.“
Dieses neuerliche Unrecht aus Ihrem Haus gehört mit zu den größten Sünden im Islam, die jemals im Heiligen Qur’an erwähnt wurden. „Siehst du (nicht) denjenigen, der das Gericht für Lüge erklärt? Das ist derjenige, der die Waise zurückstößt“ (107:1-2). In zahlreichen Versen wird die Unterdrückung von Waisenkindern als schwerste Sünde gebrandmarkt. Haben Sie keine „Islamwissenschaftler“, die Sie auf diesen wiederholten Tabubruch aus Ihrem Haus hingewiesen haben? Zahlreiche Muslime in diesem Land hatten die naive Vorstellung, dass Sie eine faire Grundeinstellung gegenüber dem Islam und den Muslimen haben würden. Mit dieser neuerlichen Aktion werden sie aus ihren Illusionen aufgeweckt. Dafür bin ich dankbar.
Der EU-Rat setzte im Juli 2013 beschwichtigend „nur“ den militärischen Teil der Hizbullah auf seine Terrorliste. Als bereits damals mahnende Stimmen darauf hingewiesen haben, dass das nur ein Kompromiss zwischen unterschiedlichen EU-Ländern war, wobei einige nicht nur die Hizbullah, sondern jeglichen Widerstand gegen den unaufhörlichen Expansionsdrang Israels als terroristisch einstufen, wurden Ihre mahnenden Worte überhört. Ich bin dankbar, dass Sie nunmehr bewiesen haben, wie wahr die mahnenden Worte waren, wenngleich ich als Deutscher darüber traurig bin, dass Deutschland an der Seite der israelischen Expansion steht.
Der von Ihnen verbotene Verein war weder der einzige muslimische Verein auf deutschem Boden, der für Waisenkinder und Opfer zionistischer Besatzungspolitik Spenden sammelt, noch war er der größte. Alle anderen ähnlichen Vereine wissen jetzt, dass Ihre Willkür unberechenbar ist, und werden dafür sorgen, dass Ihre nächsten Beschlagnahmungsaktionen noch weniger Geld in die Staatskassen spülen wird. Zudem wird letztendlich jeder in Deutschland ansässige muslimische Verein einmal mehr spüren, was von der Annäherung eines deutschen Innenministers zu halten ist. Dafür bin ich dankbar, wenn auch traurig als deutscher Bürger.
Viele Libanesen, darunter auch Christen, die auf der Seite des Widerstandes gegen die zionistische Besatzung des Libanon standen, haben sich in den letzten Jahren zunehmend in Deutschland integriert und ihre Kinder haben die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen in der Hoffnung, dass sie hier fair behandelt werden. Niemand kann froh darüber sein, dass Sie mit ihrer neuen kriegerisch anmutenden Politik diese Menschen von Deutschland ein Stück weiter entfernt haben, aber ich bin dankbar für diese Menschen, dass Sie sie nicht weiter irreleiten können.
Fast zwei Jahrzehnte haben die Bürger in diesem Land über ganz reguläre Konten Gelder an die Waisenkinder überwiesen und Patenschaften übernommen. Die bundesdeutschen Geheimdienste konnten zusammen mit Ihren Freunden vom NSA und Mossad jeden dieser Bürger registrieren und hatten somit einen Überblick über die Unterstützungslage. Ich bin dankbar, dass sie diesen Überblick in Zukunft nicht mehr so einfach haben werden.
In den letzten Jahren hat sich in Deutschland ein Dachverband von Schiiten etabliert, der für rund eine Million Schiiten in Deutschland sprechen kann. Der noch unerfahrene Vorstand hatte das Streben zum Dialog mit Ihnen für angebracht gehalten. Nun wurden Sie von Ihnen schockiert und können Ihre falsche Ausrichtung korrigieren. Dafür bin ich dankbar.
Deutschland galt lange Zeit im Libanon als fairer Vermittler. Selbst die Hizbullah hat eine Reihe von Streitigkeiten mit Israel (z.B. Gefangenenaustausch) über Deutschland geregelt. Dabei beruhte das Vertrauen darauf, dass man die Vorstellung hatte, Deutschland würde aufgrund des historischen Drucks bestimmte Dinge tun und sagen, würde aber im Herzen ein neutraler Vermittler sein. Ihr Handeln beweist das Gegenteil. Damit haben Sie der deutschen Außenpolitik einen schweren Schaden zugefügt. Dafür kann ich mich als deutscher Staatsbürger nicht freuen. Aber ich bin dankbar, dass das Deutschland unter der Führung von Menschen wie Ihnen jetzt anderen Völkern nicht mehr so viel Schaden zufügen kann, weil Ihnen niemand vertrauen wird.
In der Islamischen Republik Iran ist ein neuer Präsident denkbar knapp gewählt worden mit der Parole, dass vernünftige Gespräche mit dem Westen auch zu vernünftigen Ergebnissen führen würden. In der ersten Runde der Gespräche wurden, nachdem Iran extrem viele Zugeständnisse gemacht hat, ca. 4 Milliarden Euro, der von der Islamischen Republik Iran entwendeten 100 Milliarden Euro freigegeben. Allerdings ist merkwürdigerweise bisher noch kein einziger Cent davon im Iran angekommen. Vielmehr muss jetzt der Iran dafür einspringen, die Waisenkinder im Libanon zu versorgen, deren Versorgung Sie verhindert haben. Im Iran gab und gibt es eine ganze Reihe von jungen Leuten, die die Vorstellung hatten, dass Gespräche mit dem kapitalistisch-imperialistischen Westen möglich seien. Ihr Ministerium hat bewiesen, dass Sie die Politik eines auf Ausgleich bedachten iranischen Präsidenten mit Füßen treten. Auch darüber kann ich mich als Deutscher nicht freuen, aber ich bin dankbar, dass die jungen Iraner das jetzt immer besser erkennen werden, um dann die einzige Politik zu betreiben, die Leute wie Sie verstehen.
Das Waisenkinderprojekt Libanon gab es seit sage und schreibe 1997, also nunmehr 17 Jahre! Die Vereinsziele, die Ausrichtung, die Finanzen und die Verbindungen in den Libanon sind seit dem ersten Tag unverändert. Gerade in den letzten Jahren gab es eine Art „Waffenstillstand“ zwischen Israel und dem Libanon, auch wenn israelische Kampfflugzeuge tagtäglich, das internationale Recht brechend, Grenzverletzungen verüben. In den letzten 17 Jahren gab es sicherlich Zeiten, in denen Ihre fadenscheinigen Begründungen für das Vereinsverbot weniger heuchlerisch geklungen hätten. Insofern stellt sich die Frage, was Sie ausgerechnet jetzt dazu bewogen hat, das Verbot auszusprechen? Die Antwort gibt die politische Landkarte. Derzeit führt die Westliche Welt einen brutalen Vernichtungskrieg in Syrien und unterstützt derart grausame Gestalten, sowohl finanziell als auch mit Waffen, dass sich selbst eigene Verbündete angeekelt davon abgewandt haben. Seitdem die Hizbullah gegen die Westliche Allianz und deren Söldner in Syrien mitkämpft, stehen die pro-westlichen Soldaten in der Defensive. Die aktuellen Waisen im Libanon sind nicht auf die zionistische Kriegsführung zurückzuführen, sondern auf die Söldner der Westlichen Welt in Syrien. Und genau in dieser Situation verbieten Sie die weitere Unterstützung der Waisen. So traurig ich darüber bin, dass das Volk Deutschland in solch ein miserables Licht gerückt wird, bin ich dennoch sehr dankbar dafür, dass deutlich wird, auf welcher Seite Sie und Ihresgleichen stehen.
Alle Dankbarkeit gebührt dem Herrn der Welten. Sie kommt von Ihm und kehrt zu Ihm zurück, wie jeder von uns an einem Tag zu Ihm zurückkehren wird, vor dem es kein Entrinnen gibt. Gott bewahre mich an jenem Tag davor, mit Ihresgleichen zusammenzukommen.
Ich habe diesen Text in keiner meiner Positionen und keinem Amt verfasst, sondern als freie Meinungsäußerung eines Staatsbürgers der Bundesrepublik Deutschland. Und als solcher drücke ich hiermit öffentlich meine tiefe Verachtung dafür aus, dass Sie die Waisenkinder im Libanon und Palästina durch Vereinsverbote unterdrücken. Und ich bin mir sicher, dass sich viele anständige Bürger dieses Landes meiner Verachtung gegen das von Ihnen ausgehende Unrecht anschließen werden.
Dr. Yavuz Özoguz
PS: Dieser offene Brief wurde am 9.4.2014 an die Poststelle des Bundesinnenministers gemailt