Darf ein Muslim für einen Nichtmuslim beten?
Eine sehr häufig unter Muslimen gestellte Frage ist, ob ein Muslim für einen Nichtmuslim beten darf, insbesondere, wenn dieser schon verstorben ist und sein Leben – zumindest nicht im Diesseits – in die richtige Bahn lenken kann.
Die Frage zeugt oft von Liebe. Denn z.B. deutsche Muslime, die den Islam angenommen haben, möchten zuweilen für ihre Eltern beten. In vielen Fällen hat die Erziehung der Eltern einen Anteil daran, dass die Kinder Muslime geworden sind, auch im positiven Sinn. Es gibt aber auch Fälle von Berühmtheiten (wie z.B. Prof. Annemarie Schimmel – Gott habe sie selig), die zwar nie öffentlich den Islam angenommen haben, aber deren Einsatz für den Islam um ein Vielfaches den Einsatz so vieler Muslime übertrifft. Unabhängig davon, ob es auch Verwandtschaftsgründen geschieht oder aus anderen nachvollziehbaren Gründen, steht immer wieder die Frage im Raum: Darf man das überhaupt? Erlaubt der Islam das? Manche Verse aus dem Heiligen Qur’an werden von manchen Personen derart gedeutet, dass es eine Art generelles Verbot diesbezüglich gäbe. Diese Geisteshaltung läuft Gefahr in Richtung der Geisteshaltung der Salafisten abzudriften, die sich offenkundig vor allem durch Verbote definieren und das Wort „Liebe“ kaum kennen.
Als meine Wenigkeit einstmals mit einer Gruppe westlicher Intellektueller im Iran bei einem wirklich hoch angesehenen Großayatollah in Qum war, der mit seinen damals 78 Jahren mit uns auf Englisch kommuniziert hat, stellte einer der sich als Atheist betrachtenden Mitreisenden die Frage darüber, wie es denn mit einen Atheisten sei, wenn sie sie dennoch aufrichtig für Gerechtigkeit einsetzt. Die Antwort des Großayatollahs war für mich überraschend wie faszinierend zugleich, spiegelte sie doch die Liebe wieder, die der Islam ausstrahlt. Er sagte sinngemäß: Wenn jemand glaubt nicht an Gott zu glauben (was für eine Formulierung!) aber sich für Gerechtigkeit einsetzt, dann setzt er sich für ein Attribut Gottes ein und wird dafür vergolten werden. Mit meinen Worten bedeutet es, dass es nicht wesentlich ist, dass jemand verbal Gott ablehnt oder nicht, denn wir wissen nicht, welches Gottesbild er ablehnt. Möglicherweise lehnt er ja eine Gottheit ab, die wir Muslime auch ablehnen würden. Und wenn er sich aufrichtig für Gerechtigkeit einsetzt, dann setzt er sich im Glauben an Gerechtigkeit für die Menschen ein. Das aber ist genau der Gottesdienst eines Gläubigen. Solche – hier nur extrem verkürzt – wiedergegebene Zusammenhänge sollte jeder berücksichtigen, bevor er leichtfertig irgendjemanden verbieten will, für einen Nichtmuslim zu beten.
Als Anhänger der Ahl-ul-Bait sind wir angehalten bei solchen Fragen geeignete Gelehrte aufzusuchen und diese zu fragen. Nun gibt es zu dieser Frage unzählige verbale Aussagen von Ay. Ramezani, dass es unter Umständen eben sehr wohl erlaubt ist, für einen Nichtmuslim zu beten, auch wenn er bereits verstorben ist. Bei noch lebenden gütigen Menschen ist es ohnehin angebracht für deren Rechtleitung zu beten. Und Ayatollah Ramezani ist kein geringerer als der Ranghöchste schiitische Geistliche in Europa und direkter Vertreter Imam Chamene’is. Aber wem selbst das nicht reicht, der kann ja eine Mail an das Büro von Imam Chamene’i selbst senden und dort nachfragen. Sie antworten auf in Englisch gestellte Fragen meist innerhalb von 48 Stunden.
Das genau hat der Muslim-Markt getan. Für die englische Originalfrage und Originalantwort siehe:
http://www.khamenei.de/fatwas/fatwas08.htm
Hier die deutsche Übersetzung:
Frage: Mit den besten Wünschen für unsere Imam-ul-Umma Imam Chamenei habe ich eine Frage. Ist es erlaubt, Dua für einen toten Nichtmuslim zu machen? Macht es einen Unterschied, ob diese Person ein Christ, Jude oder Nicht-Gläubiger ist?
Antwort: In der Regel gibt es kein Problem von sich aus, Allah um Vergebung für eine verstorbene Person zu ersuchen oder für Rechtleitung und Gnade für eine lebende (Person), unabhängig davon, ob es für einen Muslim oder Nichtmuslim erfolgt.
Die Antwort lässt kaum Fragen offen und ist an Klarheit beeindruckend. Nun ist es möglich, dass ein Anhänger der wahrhaftigen Führung in der Vergangenheit – aus welchen Gründen auch immer – diesbezüglich eine irrtümliche oder missverständliche Ansicht vertreten hat. Aber welch eine Gnade Gottes soll denn noch aufgezeigt werden, dass er seinen Irrtum durch Korrektur beheben kann, indem er die neu gewonnen Erkenntnisse sofort umsetzt, sich bei falsch informierten Geschwistern entschuldigt und dankbar ist für solch eine gelebte Liebe des Imam-ul-Umma.
Ich wünsche uns alle aufrichtige segensreiche Bittgebete, bei denen wir immer daran denken, dass es nicht Allah ist, der diese Bittgebete benötig!
Im Namen Eures Muslim-Markt-Teams
Euer Bruder Yavuz