Gehört Deutschland zum Islam?
Es wird viel darüber diskutiert, ob Islam zu Deutschland gehört oder nicht, aber wie wäre es einmal mit der umgekehrten Frage?
Die Debatte hat zweifelsohne der ehemalige Bundespräsident Wulff angestoßen, als er erklärte, dass Islam zu Deutschland gehöre. Der aktuell amtierende Bundespräsident Gauck, der vor allem durch seine militaristisch anmutenden markigen Worte zur „Verteidigung“ des kapitalistischen Imperialismus aufgefallen ist, hat da schon eher Bedenken, dem Islam einen Deutschlandbezug zu gewähren. Umso überraschter waren sicherlich alle Muslime im Land, als ausgerechnet die als extrem pro-zionistische geltende Bundeskanzlerin Merkel den Satz wiederholte: „Der Islam gehört zu Deutschland.“ Kurios wurde es dann, als daraufhin ausgerechnet der sächsische Ministerpräsident Tillich und Parteifreund Merkels verkündete, dass der Islam nicht zu Sachsen gehöre. Das bewegte die Süddeutsche Zeitung zu der Schlagzeile: „Gehört Sachsen zu Deutschland?“
Es würde den Rahmen eines kürzeren Artikels sprengen, wenn man hier detailliert nachweisen wollte, dass der Islam durchaus zu Deutschland gehört, und selbst mehrbändige Bücher würden kaum ausreichen, deshalb nur einige wenige Anhaltspunkte zur Auflockerung: Von einem Goethe mit seinen Islamanwandlungen hat jeder, der sich intensiver mit der Thematik auseinandersetzt, sicherlich gehört. Aber kennt man auch Theodor Bibliander? Er war ein Theologe und Orientalist, dem die erste Qur’an-Übersetzungen ins Deutsche zugesprochen wird. 1543 wurde seine Übersetzung gedruckt, zu einer Zeit, als in der muslimischen Welt noch nicht einmal das Original gedruckt wurde. Und von wem könnte folgender Satz stammen: „Ich getraute mir, wenn dieses mein Hauptabsehen wäre, das vornehmste der natürlichen Religion aus dem Alkoran gar deutlich und zum Teile gar schön ausgedrückt darzutun, und glaube, dass ich bei Verständigen leicht darin Beifall finden werde, dass fast alles Wesentliche in Mahomets Lehre auf natürliche Religion hinauslaufe.“ Er stammt von Hermann Samuel Reimarus, der Anfang des 18. Jh. Gymnasialprofessor in Hamburg für orientalische Sprachen war. Die beiden unter Denkmalschutz stehenden osmanischen Gräber inmitten Hannover aus dem 17. Jh. kennt wahrscheinlich nicht jeder. Die kuriose Geschichte des Grabsteins in Brake (heute Lemgo) in unmittelbarer Nähe der Evangelisch-Reformierten Pfarrkirche kennen noch nicht einmal die Bürger der Stadt. Und dass Anfang des 19. Jh. errichtete Tatarengrab von Kleinbeucha mitten auf einem völlig abgelegenen Acker mit Ausrichtung nach Mekka, das bis heute noch gepflegt wird, kennen sicherlich noch weniger Bürger. Wo liegt denn Kleinbeucha?
Neben all jenen Spuren islamischer Geschichte in Deutschland ließe sich auch die „Prägung“ Deutschlands durch den Islam sicherlich wissenschaftlich nachweisen, sei es die Aufklärung mittels Studium altgriechischer Schriften, die ohne Muslime nie erhalten geblieben wären, oder seien es die vielen Fachbegriffe der Wissenschaften, die direkt aus den islamischen Wissenschaften übernommen wurden, nicht nur inhaltlich, sondern auch namentlich wie z.B.: Alchemie, Algebra, Alkali, Alkohol, Amalgam, Chemie, usw. Selbst den Begriff „Ziffer“ und das damit verbundene Zahlensystem verdanken wir letztendlich den Muslimen.
Doch so sehr der Islam Deutschland geprägt haben könnte, so sehr ist doch die Diskussion darüber, ob Islam zu Deutschland gehöre oder nicht, mit der Variante, dass immerhin Muslime zu Deutschland gehören sollen, eine Ablenkung von der Wahrheit. Denn nicht Deutschland ist der größere Wert, sondern der Islam. Nach der Vorstellung des Islam erreicht der Mensch Frieden (salam, abgeleitet von Islam) im Herzen nur durch die Erbebung (taslim, abgeleitet von Islam) in die Wahrheit.
Das Auftreten vieler Muslime in diesem Land in unserer heutigen Zeit ist eher ein Hindernis für viele Nichtmuslime, das zu erkennen. Dennoch ist die Attraktivität des Islam so groß, dass jetzt fast alle großen Kräfte des Imperiums mit allen ihnen möglichen Waffen gegen den Islam schießen. An den militärischen Fronten lassen die kapitalistischen Imperialisten im missbrauchten Namen des Islam vor allem Muslime ermorden und muslimische Länder zerstören. An den Propagandafronten in Europa (und damit auch Deutschland) sind inzwischen alle Masken gefallen. Alle jene, die zuvor behauptet haben, dass ihr Unmut sich lediglich gegen „Islamisten“ richten würde, schreiben jetzt ganz offen und unverblümt direkt gegen den Islam und die Muslime. Genau in jener Zeit schreibt das religiöse Oberhaupt von 400 Millionen muslimischen Schiiten, der zudem auch von vielen muslimischen Sunniten geehrt wird, einen Brief an die Jugend in Europa und Nordamerika. Eine Passage aus dem Brief passt hervorragend zu dem vorliegenden Thema:
„Warum ist das heutige internationale Machtsystem bestrebt, das islamische Denken an den Rand und in die Passivität zu drängen? Welche Sinngebungen und Werte gibt es denn im Islam, die dem Konzept der Großmächte in die Quere kommen, und welche Interessen werden durch die falsche Darstellung des Islams denn gedeckt? Meine erste Bitte lautet daher, dass Ihr nach den Motiven dieser groß angelegten Schwarzmalerei über den Islam forscht.“
In Ergänzung zu der allgemein verbreiteten Theorie, dass der Islam und die Muslime nach dem Wegfall des kommunistischen Blocks als neuer Sündenbock und Feindbild des kapitalistisch-imperialistschen Westens herhalten müssen, erwähnt Imam Chamene’i Aspekte des Islam, die für jedes Land, jeden Staat und jede Einzelperson von großer Anziehungskraft sein können, wenn sie sich befreien wollen. Denn der Islam ist gekennzeichnet durch seinen Beistand an der Seite der Armen, der Bedürftigen, der Hungernden und gegen die Unterdrücker dieser Welt. Der Islam ist die einzige verbliebene Bewegung, die dem Machtstreben von Unterdrückern die Stirn bietet! Genau das ist der Grund dafür, warum derzeit ein so grausames Bild vom Islam gezeichnet wird in der westlichen Welt! Aber nicht einmal das konnte verhindern, dass der Islam nach wie vor die am schnellsten wachsende Religion in Deutschland ist, und zwar auch bei Deutschstämmigen. Der Inhalt des Briefes von Imam Chamene’i, wie auch die totale Informationsblockade der deutschen Medien gegen diesen epochalen Brief hat viele Muslime aufgeweckt und aktiviert.
Und so wird es an der Zeit auch unsere Gedanken neu zu ordnen! Der einfache Deutsche hat Angst, dass er in unten offenen Pyjamas herumlaufen muss, falls der Islam hier an Einfluss gewinnt. Schuld daran sind diejenigen, die glauben dass man die Air-Kondition-Kleidung aus der arabischen Wüste in das frostige Deutschland einführen müsse. Der einfache Deutsche hat Angst, dass seine Frau verschleiert sein muss und er sich fünf Mal am Tag in Richtung Mekka auf den Boden werfen muss, wenn der Islam hier mehr Einfluss gewinnt. Und auf sein Bier will er wirklich nicht verzichten!
Aber wir Muslime müssen den Islam zuerst in seinem Kern vorstellen und nicht in irgendwelchen Detailregeln! Der Kern des Islam ist eine Befreiungstheologie! Der Kern des Islam ist, dass der Mensch seinen eigenen Ursprung kennt und weiß, wozu er fähig ist. Der Kern des Islam ist Liebe, eine Liebe, die immer mehr in der Gesellschaft verloren geht. Der Kern des Islam ist Gnade und Wahrheit, Werte, die wir Muslime viel intensiver vorleben müssen, als wir es bisher getan haben. Und wir Muslime müssen uns von dem betrügerischen Gedanken befreien, dass wir „besser“ seien, weil wir Muslime sind. Woher wissen wir, dass viele Deutsche nicht evtl. den Islam viel besser leben als wir, selbst wenn sie es selbst nicht wissen? Vielleicht sind sie viel wahrhaftiger, ehrlicher, aufrichtiger, demütiger, gnadenvoller usw. Vielleicht setzen sie sich viel intensiver für die Armen ein und spenden mehr. Vielleicht setzten sie sich viel mehr für Gerechtigkeit ein, und ist Gerechtigkeit nicht ein Name Gottes? Vielleicht sind sie sauberer und fleißiger. Und vielleicht sind sie gebildeter! Sind das nicht die Werte des Islam, die wir vorleben müssten, bevor irgendwelche Detailregeln angesprochen werden?
Der Gedanke, der manche Muslime hindert, die eigene Selbsterziehung viel intensiver zu betreiben, ist der Gedanke, dass der Islam den Muslimen gehöre. In dem Sinn, dass die Deutungshoheit des Islam ausschließlich den Muslimen gehört, ist das sicherlich richtig! Aber in dem Sinn, dass die Wohltaten und die Gnade Gottes nur den Muslimen gehören, ist es falsch. Wie sagte Goethe doch so schön:
„Närrisch, dass jeder in seinem Falle
Seine besondere Meinung preist!
Wenn Islam Gottergeben heißt,
Im Islam leben und sterben wir alle.“
Genau das lehrt der Islam, denn selbst derjenige, der den Glauben an Gott verweigert, ist doch letztendlich „Gottergeben“. Sein Leid besteht darin, dass er sich hilflos versucht dagegen zu wehren.
Wenn wir aber alle im Islam leben und sterben, dann gilt das auch für Deutschland und dann gehört auch Deutschland zum Islam. Wir leben in einer epochalen Zeit! Mir fällt kein intensiveres Wort für die Geschehnisse der Zeit ein. Der Brief Imam Chamene’is ist ein Fanal für die Eröffnung einer neuen Zeitepoche. Er ist vergleichbar mit dem Aufruf an die ersten Muslime – die sich aufgrund der Unterdrückung verstecken mussten – in die Öffentlichkeit zu treten, ohne Angst zu haben. Was haben diese ersten Muslime nicht alles danach noch ertragen müssen von den Unterdrückern? Aber sie sind standhaft und vor allem gnaden- und liebevoll geblieben. Sie haben ihre Herzen immer weiter gereinigt und wurden zum Vorbild für alle Menschen. Es stehen noch sehr, sehr große Aufgaben vor uns, und wir müssen uns selbst erziehen, um diesen Aufgaben gerecht werden zu können. Und die Glückseligkeit ist mit allen Herzen, die im Gottesdienst Erfüllung finden. Und der beste Gottesdienst ist der Dienst am bedürftigen Menschen.