Ist es sinnvoll deinen Gott zu beleidigen, wenn du meinen Gott beleidigst?
Manche skurrile Vergeltungsmethode muss nicht von jedem befürwortet oder gar unterstützt werden, aber die vorurteilsfreie Betrachtung der Ereignisse kann helfen, die Welt besser zu verstehen.
Die so genannten Karikaturen gegen den Islam, insbesondere gegen den Propheten den Islam, den Heiligen Qur’an, die Gläubigen und letztendlich auch die Karikaturen gegen Allah haben in der muslimischen Welt zu großen Empörungen geführt, nicht erst seit „Charlie Hebdo“. Dieser Streit um Massenbeleidigung oder Meinungsfreiheit tobt schon seitdem der Kommunismus als Feindbild ausgefallen ist. Fast bekommt man dabei den Gedanken, dass eine gewisse „Kreuzrittermentalitäten“ in vielen Westlern schlummern würden. Zu einer gleichwertigen Vergeltung sagt der Islam im Heiligen Qur’an:
Die Vergeltung für eine böse Tat ist etwas gleich Böses. Wer aber verzeiht und Besserung bringt, dessen Lohn obliegt Allah. Er liebt ja nicht die Ungerechten. (42:40)
Und Wir haben ihnen darin vorgeschrieben: Leben um Leben, Auge um Auge, Nase um Nase, Ohr um Ohr, Zahn um Zahn; und (auch) für Verwundungen Wiedervergeltung. Wer es aber als Almosen erlässt, für den ist es eine Sühneleistung. (5:45)
In beiden Versen wird deutlich, dass der Heilige Qur’an zwar das natürliche Recht der Vergeltung anerkennt (einmal sogar mit Bezug auf die Thora), aber gleichzeitig mehr als nur deutlich macht, dass die Vergebung besser ist. Und ein Muslim, der den Heiligen Qur’an studiert und versucht sein Leben danach auszurichten, versucht immer sich am Besseren zu orientieren.
Mein persönliches "Problem" bei den Karikaturen besteht darin, dass selbst wenn ich es den Satirikern vergeben würde, es ja andere Muslime geben könnte, die nicht vergeben. Und ich kann mir nicht anmaßen, für die Gesamtheit der Muslime zu sprechen. Im Iran gibt es offensichtlich einige Muslime, die diese Tat nicht vergeben wollen. Es ist nicht der Imam, es ist nicht die Regierung und nicht einmal eine Regierungsorganisation, sondern eine private Stiftung. Das so genannte „Haus der Karikaturen“ in Teheran habe zu einem internationalen Wettbewerb mit Zeichnungen aufgerufen, die sich über den Missbrauch des Holocaust lustig machen. In der Sprache der Westlichen Welt heißt das: „Die den Holocaust leugnen“. Sollte die westliche Lesart der Nachricht stimmen, könnte man sehen, wie „liberal“ der Iran ist, denn die Regierung hat klar gestellt, dass sie den Holocaust nicht leugnet, selbst wenn sie mit dem Missbrauch als Rechtfertigung für heutige Unterdrückung ihre Probleme hat. Die Sieger des Wettbewerbs sollen Preise mit viel Geld erhalten. Und die Zeichnungen sollen in einer Ausstellung gezeigt werden.
Meine Wenigkeit – als jemand, der in Deutschland groß geworden ist – würde zu dem Schluss kommen, dass das keine besonders gute Idee ist. Ich finde es keine gute Idee sich lustig über das Leid von Menschen zu machen, selbst wenn das Leid schon sieben Jahrzehnte zurückliegt und kaum ein Leidtragender noch lebt. Ich finde die Verfolgung von Menschen – aus welchen Gründen auch immer – grausam und verachte jegliches Denken, dass auf dem Rassegedanken beruht, selbst wenn man es heute „Ethnie“ nennt. Für mich sind alle Menschen Geschwister in Menschlichkeit, unabhängig davon, woran sie glauben, wie es Imam Ali (a.) im Regierungsauftrag an Malik al-Aschtar formuliert hat. Und ich finde Spott als eine sehr unmenschliche Methode des Umgangs miteinander.
Selbstverständlich habe ich gelernt, dass in der hiesigen geschichtlich gewachsenen Narrenkultur eben nur der Narr den absoluten Herrscher angreifen durfte, wie heute die Polit-Kabarettisten manche Dinge über unsere heutigen Politiker sagen dürfen, für die ein Normalbürger, wenn er es nicht im Rahmen einer Kabarettsendung sagen würde, Gefahr läuft angezeigt zu werden. Und Satiriker dürfen Dinge malen, für die man sicherlich ins Gefängnis wandern würde, wenn man das Gleiche als weniger „lustige“ Verleumdung verbreiten würde.
Da wollen also jetzt im Iran einige Satiriker Vergeltung üben für die Satire-Aktivitäten der Westlichen Welt gegen den Islam und die Muslime nach dem Motto: Wenn Du meinen Gott beleidigst, beleidige ich Deinen Gott.
Eigentlich würde jenes Motto nicht funktionieren, denn Muslimen ist es grundsätzlich verboten irgendeinen Gott zu beleidigen bzw. deren Anhänger (einmal abgesehen dass es nur einen Gott aller Menschen gibt). Weder darf ein Muslim einen Christen aufgrund seines Glaubens beleidigen noch den am Kreuz hängenden Jesus, selbst wenn der Anblick für einen Muslim unwahr erscheint. Auch darf er nicht das Judentum als Solches oder gar die Propheten des Judentums wie z.B. Moses beleidigen. Tatsächlich leben wir in Deutschland in einem Land, in dem die Ehre von z.B. der Heiligen Maria von vielen Muslimen erheblich mehr geschützt und verteidigt wird, als von manchen Christen, die nicht einmal mehr an die wundersame Jungfrauengeburt glauben wollen (darunter auch Theologien). Umso erstaunlicher ist es, dass jene „Gegenmaßnahme“ solch ein „Volltreffer“ zu sein scheint. Die westliche Welt, oder zumindest Deutschland, scheint voll getroffen worden zu sein:
Das Flaggschiff der westlichen Meinungsfreiheit und Meinungsvielfalt namens Bild titelt: „Die Rache der irren Mullahs“. Dabei ist gar nicht klar, ob überhaupt irgendein hochrangiger Geistlicher an jenem skurrilen Wettbewerb beteiligt ist. Die beiden obersten Geistlichen des Landes sind es definitiv nicht! Der Stern schreibt: „Iraner provozieren mit Holocaust-Karikaturen“. Nur wie soll das möglich sein? Zum einen werden die hiesigen Medien jene Karikaturen sicherlich nicht bringen (im Gegensatz zu den Charlie-Karikaturen) und außerdem wurde doch in der Werteskala der Westlichen Welt festgelegt, dass Satire alles darf! und wir haben gelernt, dass man sich gefälligst nicht provozieren lassen darf. „Bizarrer Holocaust-Wettbewerb“ schreibt die taz, was halbwegs seriös klingt aus der Feder einer Zeitung, die sich sonst an vorderster Front derjenigen einreiht, die sich über Allah lustig machen. Die geradezu bizarrste Überschrift hat aber das Kunstgebilde namens Huffington Post: „Cartoon-Wettbewerb im Iran: Zeichner müssen Holocaust leugnen.“ Als wenn irgendwer an der Teilnahme an jenem Wettbewerb verpflichtet wäre?! Eine was Gerechtigkeit angeht grausame Verleumdung und Irreleitung der eigenen Leser stellt die Tatsache dar, dass viele Blätter die Wettbewerbsnachricht mit einem Bild von Imam Chamene’i koppeln. Der hat definitiv nichts damit zu tun. Aber aus westlicher Hasspropagandasicht gegen die Befreiungstheologie des Islam ist das natürlich eine journalistische „Meisterleistung“.
Jedenfalls stellt die Westliche Welt mit allen ihren Artikeln klar, dass solch eine Satire nicht geht! Auch Satire hat Grenzen! Und ein Angriff auf den Holocaust ist eine Überschreitung dieser Grenzen. Dabei vergisst die Westliche Welt, dass Iraner mit dem Holocaust nichts zu tun haben, außer dass sie damals selbst viele jüdische Flüchtlinge aufgenommen haben. Auch ist in der Westlichen Welt nahezu völlig unbekannt, dass die Iraner bereits im ersten Weltkrieg viel mehr Opfer eines Genozids geworden sind. Während des Ersten Weltkrieges hatte die Kolonialmacht Großbritannien weite Teile des Iran besetzt. Als es zu Ernteausfällen ab 1917 kam, wurde der Hunger durch die Besatzungsmacht verstärkt, indem die Briten große Teile der Ernte für sich konfiszierten, den Zahlungsverkehr des Iran mit dem Ausland unterbanden und dadurch die Lebensmitteleinfuhr aus dem Ausland, z.B. aus Indien, verhinderten. Auch konnte Iran kein Öl ausführen, da die britischen Besatzer das Öl plünderten. Zwischen 8 und 10 Millionen Iraner, was damals ca. 40% der Bevölkerung war, verhungerten während der britischen Besatzung. Bis heute hat sich die Westliche Welt dafür weder ernsthaft entschuldigt noch jemals eine Entschädigung gezahlt. Auch sind die Iraner nicht schuld an den Massakern an Juden und noch weniger daran, dass die Briten als nächstes Massaker an Palästinensern mitgetragen haben, damit Juden sich in Palästina ansiedeln konnten. Und am wenigsten sind Iraner daran Schuld, dass die Westliche Welt seit 70 Jahren jedes Verbrechen Israels mitträgt und unterstützt und dadurch einen Frieden für Juden, Christen und Muslime in Jerusalem verhindert.
Und in dieser Ausgangslage malen einige Iraner (oder auch Nichtiraner) einige Karikaturen über den Missbrauch der so genannten Ausschwitz-Keule und das führt zum Riesenskandal in Deutschland. Dass zuvor sämtliche Heiligkeiten des Islam und der Muslime nunmehr mehrere Jahrzehnte lang auch in Deutschland im Rahmen der Satirefreiheit, die noch eine Steigerung der so genannten Meinungsfreiheit ist, mit Füßen getreten wurden, spielt für den sich christlich fühlenden Bürger keine Rolle.
Aus muslimischer Sicht stellt sich die Frage, was ist heiliger, der Schöpfer allen Seins oder die Geschöpfe? Aus der Sicht von Atheisten ist die Frage klar beantwortet. Es ist das Geschöpf, da es aus seiner Sicht den Schöpfer nicht gibt. Aus muslimischer Sicht hat das Gedenken an den Holocaust geradezu religiöse Züge angenommen. Es gibt sogar Juden, die den Holocaust als unbedingten Bestandteil des Judentums sehen. Das wiederum ist für den Muslim eher unverständlich.
Provokation steht gegen Provokation, Unverständnis gegen Unverständnis. Gibt es keine Lösung daraus? Ein halbwegs gerechter Richter würde jetzt fragen: Wer hat damit angefangen? Die Frage erübrigt sich, denn der so genannten Provokation aus dem Iran stehen mehrere Jahrzehnte übelster Propaganda und „Satire“ der Westlichen Welt gegen den Islam und die Muslime gegenüber. Daher muss der Mensch in der Westlichen Welt lernen, dass die Welt sich nicht um den Westen dreht. So sehr ich solche Anklagen verachte, so wenig komme ich Drumherum einer gewissen Gruppe von Bürgern in der Westlichen Welt ein offenes Herrenmenschendenken vorzuwerfen. Jener Herrenmensch will selbst festlegen, dass Satire frei zu ein habe, aber die möglichen Grenzen will er auch festlegen, Grenzen die die Heiligkeiten des Westens betreffen. Er will festlegen, was Demokratie ist, aber in welchen Fällen schlimmste Diktatoren zu unterstützen ist, behält er sich vor. Er will bestimmen, dass sich niemand in seine inneren Angelegenheiten einzumischen hat, aber maßt sich an, ganze Landstriche in Schutt und Asche zu bomben in seiner unaufhörlichen Einmischung. Er will Atomenergie frei nutzen, aber andere sollen das nicht dürfen. Er will sogar ganz offen atomar aufrüsten, wobei er schon jetzt die Welt mehrfach zerstören könnte, aber andere sollen Atomenergie noch nicht einmal für medizinische Zwecke nutzen. Er will, dass andere ihre Schulden zurückzahlen und missbraucht diese Waffe als Schraubstock der Unterrückung, maßt sich aber an für eigene Zwecke, so viel Geld zu drucken, wie er will. Er lässt 30.000 Menschen jeden Tag des Herrn an Hunger elend krepieren, aber kann nicht satt werden mit seinen Fleischbergen, Tomatenbergen und Milchbergen, so dass er immer mehr und immer mehr Wachstum verlangt. Imam Chamene’i nennt diese Ideologie „Arroganz der Macht“.
Frieden und wahre Freiheit in der Welt sind nicht möglich ohne Gerechtigkeit. Die Westliche Welt wird sich daran gewöhnen müssen, dass nicht der Westen Maßstab für Gerechtigkeit ist. Das wird ein sehr schmerzhafter Prozess sein. Es wird zum Auseinanderbrechen der Westlichen Welt führen (Anzeichen dafür sind in der Unkraine unübersehbar). Aber am Ende könnte eine Welt mit dem Wunsch nach Gerechtigkeit, Frieden und Freiheit für alle stehen (nicht nur für Westler). Und dann wird niemand mehr die Heiligkeiten eines anderen verletzten – so Gott will.