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Welcher Scharia sollen wir in Deutschland folgen?

#1 von Yavuz Özoguz , 19.02.2015 14:42

Welcher Scharia sollen wir in Deutschland folgen?

Eines der neuen Kampfbegriffe der westlichen Propaganda gegen den Islam und die Muslime ist der Angst einflößende Begriff „Scharia“. Dabei bedeutet er nichts anderes als „Wegweisung“ bzw. „Ritus“. Die aktuelle deutsche Übersetzung heißt: Leitkultur.

Muslime im Land werden aufgefordert, sich der hiesigen Leitkultur (Scharia) anzupassen. Dabei gibt es enorm viele Missverständnisse bis hin zu totalem Unverständnis der Position des Gegenüber, die darauf gründet, dass man völlig unterschiedliche Voraussetzungen ansetzt und teilweise absurde Vorstellungen vom Gegenüber hat. Klar ist, dass alle Bürger in Deutschland das Grundgesetzt und sämtliche untergeordnete Gesetzte einhalten müssen. Muslimische Theologien können sogar fundiert begründen, dass die Einhaltung der deutschen Gesetze eine religionsrechtliche Pflicht für jeden Muslim ist. Aber damit ist es nicht getan, denn die deutsche Scharia beinhaltet erheblich mehr als die Einhaltung der Gesetze. Das Problem dabei ist, dass die Vertreter einer deutschen Scharia dies mit einer christlichen-jüdische geprägten Leitkultur begründen. Der naive Muslim, der möglicherweise nicht hinreichend hinter die Kulissen der Gesellschaft schauen kann, versteht dabei nicht, warum er deswegen bei Veranstaltungen mit Alkoholkonsum teilnehmen soll bzw. muss, um „dazu“ zu gehören. Er nimmt tatsächlich an, dass die Gesellschaft irgendwie christlich geprägt sei und wundert sich, warum er denn auch den Weihnachtsmann und den Tannenbaum ehren und respektieren soll. Ja selbst die kollektive Massenverschwendung in Form von Neujahrsböllern soll er mitmachen, wobei die Raketen selbstverständlich aus Sektflaschen starten. Er muss ja nicht mittrinken.

Viele Muslime wissen nicht, dass die allermeisten Menschen in Deutschland mit dem Christentum so gut wie gar nichts mehr zu tun haben. Sie gehen nicht in die Kirche – wenn sie es überhaupt noch tun – weil sie sich zum Christentum bekennen. Sie feiern nicht Weihnachten und laufen nicht Eier legenden Osterhasen hinterher, weil sie an Jesus und Maria glauben. Nein, sie sind Christen, weil sie in jene Kultur hineingeboren sind! Sie sind Christen, wie sie eine bestimmte Augenfarbe haben. Sie „bekennen“ sich nicht dazu, sondern „sind es einfach“. Und daher fällt es ihnen schwer zu verstehen, dass jemand ein „Bekenntnis“ haben könnte. Noch schwerer fällt es ihnen zu verstehen, dass jemand ein neues, weiter entwickeltes Bekenntnis hat. Sie nennen ihn „Konvertiten“ und haben Angst vor ihm oder ihr! Denn es gehört zu der deutschen Scharia, dass man gefälligst bei dem bleibt, was man schon immer war. Der Protestant bleibt Protestant, der Katholik bleibt Katholik, der Jude bleibt Jude und der Muslim bleibt Muslim, und deshalb gehört er hier nicht her, weil es hier nun einmal per Definition der deutschen Scharia christlich-jüdische geprägt ist. Selbst wenn er zum Christentum konvertieren würde, würde er nicht so richtig dazu gehören, denn er kann das ja nicht in sein Blut einflößen lassen.

Diese Denkweise ist übrigens nicht nur bekennenden Muslimen ein Gräuel. Auch bekennende Christen können damit wenig anfangen. Denn die Hinwendung zur Wahrheit ist ein bewusstes Bekenntnis und niemals auf dem Niveau der Augenfarbe. Wenn der Weg zur Wahrheit eine beständige Weiterentwicklung ist, müssten wir uns dann nicht alle bemühen, uns weiter zu entwickeln und niemals stehen zu bleiben? Müsste nicht die Mehrheit der Menschheit „Konvertit“ sein? Übrigens gilt das auch für uns Muslime mit der eigenen Entwicklung innerhalb des Glaubens!

Aber die Mehrheit bleibt lieber stehen, weil das bequemer ist. Auch das ist Bestandteil der deutschen Scharia. Und wenn dann jemand konvertiert, und sei es aus einem evangelischen Elternhaus zum Katholizismus, dann wird er von allen Seiten beäugt, von Protestanten wie Katholiken zugleich. So etwas ist nicht vorgesehen in der deutschen Scharia! Jeder, der sich bewegt, zeigt anderen, dass sie sich nicht bewegen. Jeder, der aktiv ist, zeigt Nichtaktiven, dass sie träge sind. Und wer will sich das schon sagen lassen, noch dazu von einem Muslim?!

Also zurück zur Anpassung an die Leitkultur: Der normale nichtmuslimische Arbeitskollege lädt seinen muslimischen Arbeitskollegen zum Bier ein, oder zu einem Skatabend, oder zu einem Fußballnachmittag vor der Bundesligaglotze. Aber der muslimische Arbeitskollege sagt ab. Wie soll man da eine Freundschaft aufbauen? Er hat es doch gut gemeint. Warum ziert sich der Muslim so? Er muss doch nicht mit Bier trinken, aber er ist doch auch Schalke-Fan!? Aber jenem praktizierenden Muslim ekelt der Gedanke, dass Menschen Bier trinken, was für ihn auf dem Niveau von Urin steht, und er möchte nicht dabei sein, wenn Leute Urin trinken. Das traut er sich aber seinem Arbeitskollegen nicht so direkt zu sagen, weil er ihn eigentlich für einen anständigen Kerl hält. Wie wäre es mit offener Kommunikation? Kann man nicht am Nachmittag gemeinsam Kaffee trinken und Kuchen essen, und zu einer vereinbarten Zeit geht der Muslim, und die anderen können dann die Bierflaschen rausholen, wenn es unbedingt sein muss? Ist das unmöglich?

Ähnliche Probleme treten beim gemeinsamen Grillen auf. Der Muslim möchte seine mitgebrachten Halal-Würstchen nicht mit den Schweinewüstchen auf dem gleichen Grill haben. Was nun? Ist das wirklich so unlösbar? Kann man nicht – wenn man es wirklich will – Wege finden, gemeinsam solche läppischen Probleme zu lösen? Entweder er bringt sich seinen eigenen kleineren Grill mit oder aber Alupapier und legt seine Würstchen gesondert auf Alupapier auf den Grill in eine Ecke. Ist das alles so schwer? Auch gegenüber Vegetariern würde man doch Lösungen finden. Dann soll der Muslim eben einmal Vegetarier sein, na und? Ermöglicht die deutsche Scharia nicht solche Problemlösungen, wenn selbst die islamische Scharia es ermöglicht?

Und da ist da noch das Problem des Handgebens. Viele praktizierende Muslime geben dem anderen Geschlecht zur Begrüßung nicht die Hand. Aber ist das so ein Drama? Unsere Nachbarn wissen das und wir kommen dennoch sehr gut mit ihnen aus. Ohnehin ist das Problem dabei zumindest von Seiten deutscher Männer auch darin begründet, dass man die eigene Scharia nicht kennt bzw. nicht mehr für gültig hält. Gemäß Knigge darf ein Mann niemals einer Frau zuerst die Hand reichen. Und wenn hier so gerne gesungen wird: „1000 Mal berührt, 1000 Mal ist nichts passiert“ dann können Muslime antworten, dass bei uns nie etwas aus versehen „passiert“, weil wir eben ganz bewusst nicht berühren bzw. bewusst berühren und uns der Wirkung von Berührung bewusst sind. Wenn der orthodoxe jüdische Rabbiner die Hand einer fremden Frau nicht reicht, wer das doch auch kein Drama in der christlich-jüdischen Kultur, oder?!

Es gibt keine unüberwindlichen Hindernisse zwischen den unterschiedlichen Scharias! Das Zusammenleben von Muslimen und Nichtmuslimen in einer Mehrheitsgesellschaft ist zweifelsohne möglich, wenn von allen Seiten etwas guter Wille mitgebracht wird. Dann gibt es auch immer eine Lösung für mögliche Probleme und Missverständnisse. Wichtig dabei ist, dass niemand sich über den anderen erhebt, weder in Worten und Taten, noch im Herzen! Das wird der Muslim dann nicht tun, wenn er weiß, dass jeder Mensch in seine Herzen Träger von Geist Gottes ist. Und der Nichtmuslim wird es dann tun, wenn er die Unantastbarkeit der menschlichen Würde wirklich verinnerlicht. Und dann werden sie sehr schnell merken, dass ihre „Scharias“ zumindest in den Grundsätzen möglicherweise gar nicht so unterschiedlich sind. Und über die Details können sie dann ja bei einem zünftigen Schluck Tee diskutieren.

Yavuz Özoguz  
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