Gibt es zwei verschiedene Atomvereinbarungen?
Von einer Vereinbarung wird in der Regel angenommen, dass beide Seiten der Vereinbarung etwas „vereinbaren“ und nicht „verzweibaren“. Doch bei der so genannten Atomvereinbarung scheint das anders zu sein.
Letzten Montag hat der Generalsekretär der Hizbullah Sayyid Hasan Nasrullah die Atomvereinbarung sinngemäß gelobt als einen Weg zum Frieden und zur Vermeidung eines Weltkrieges. Die westlichen Kommentatoren überschlagen sich darin, dass die Atomvereinbarung der erste außenpolitische Erfolg des US-Präsidenten Obama sein könnte, der als Friedensnobelpreisträger bisher vor allem durch blutrünstige Kriege aufgefallen ist, zuletzt in Jemen. Und selbst der Anführer des Zionistenregimes scheint die Atomvereinbarung hinnehmen zu wollen, garniert das Ganze aber mit der zusätzlichen Forderung nach Anerkennung Israels. Letzteres trägt schon Züge eines politischen Kabaretts, denn das zionistische Regime hat zuletzt ja klar gemacht, dass es niemals irgendeine Form von Palästina anerkennen will. Das Letzte, was von Imam Chameen’i zum Thema gehört wurde, stammt vom 23.3. als Imam Chamene’i klar gemacht hat, dass ein vernünftiges Abkommen nur mit Aufhebung der Sanktionen unmittelbar nach Vertragsabschluss möglich sein würde. Genau das sei erfolgt, behauptet Ruhani, und genau das sei nicht erfolgt, behauptet die Westliche Welt.
Schaut man sich die vorliegende Informationslage an, dann stimmt offensichtlich irgendetwas nicht, denn es ist nicht vorstellbar, dass Obama, europäische Vasallen, der iranische Präsident und der Hizbullah-Generalsekretär zu der gleichen Sache gleichzeitig jubeln bzw. gratulieren, der Zionisten-Chef seine Anerkennungsspielchen treibt und Imam Chamene’i vorerst schweigt, wenn alles mit rechten Dingen zugeht. Imam Chamene’is Schweigen könnte man damit begründen, dass der ohnehin derzeit schwerste Last auf Erden tragende Imam (nur noch übertroffen von dem erwarteten Erlöser) heute nach Medienberichten ausgerechnet auch noch den türkischen Präsidenten Erdogan empfangen soll, der bezüglich Syrien und Jemen auf der Seite derjenigen steht, die Krieg gegen den Imam führen.
Kurz: Die Geschichte passt hinten und vorne nicht zusammen und es scheint keine plausible Begründung zu geben. Einzige denkbare Erklärung wäre, dass Iraner und Westler unterschiedliche Versionen des Abkommens vorliegen haben und jede Seite aufgrund seines eigenen Textes urteilt. Genau das scheint aber der Fall zu sein. Denn sobald sich der Nebel um die Inszenierung der Erklärung von so genannten Schlüsselparametern lichtet, wird es möglich, sich die jeweiligen Erklärungen genauer anzusehen.
Es gibt eine ausführliche englischsprachige Version der Parameter, auf die man sich geeinigt haben will, die vom State Department der USA veröffentlicht worden ist und eine persischsprachige vom iranischen Außenministerium. Und selbst wenn man des Persischen kaum mächtig ist, fällt auf, dass sie sich sehr stark voneinander unterscheiden. Welche Version ist aber bindend bei einer Vereinbarung, die niemand unterzeichnet hat? Oder besteht gar die einzige Vereinbarung darin, dass jede Seite ihre eigene Klientel bedient, um Zeit zu gewinnen in einem Machtkampf, den auf diesem Weg niemand gewinnen kann? Handelt es sich womöglich nur eine abgesprochene Verzweibarung?
Zunächst einmal fällt auf, dass die amerikanische Version der Vereinbarung sehr detaillierte Parameter für diverse Einzelheiten im Anhang festgelegt hat, die in der persischen Version gar nicht vorkommen. Gemäß iranischer Lesart gilt nur die Erklärung, die von beiden Seiten am Donnerstag von Sarif und der EU-Außenpolitiksprecherin Federica Mogherini als Sprecherin der Fünf-plus-Eins-Gruppe auf einer Pressekonferenz zum Abschluss der Lausanner Gespräche zunächst auf Englisch und dann auf Persisch verlesen wurde.
Der Text war knapp verfasst und die bisherigen Analysen meiner Wenigkeit beruhten genau auf jenem englischen Text allein, war ich doch davon ausgegangen, dass es gar nicht möglich ist, dass beide Seiten öffentlich Unterschiedliches verlesen. Doch inzwischen stellt sich heraus, dass die verlesenen englischen und persischen Texte gar nicht übereinstimmen. Und die Unterschiede sind sicherlich keine Kleinigkeiten. Ein wesentlicher Aspekt der Unterschiede betrifft die Sanktionen und deren Aufhebung, ein anderer Unterschied die Beschränkungen des iranischen Atomprogramms für Jahrzehnte. In der englischen Version ist immer wieder von nuklearbezogenen Sanktionen die Rede, die ggf. aufgehoben werden. In der persischen Version geht es um alle Sanktionen. Die englische Version geht davon aus, dass zunächst die IAEO die Umsetzung der Maßnahmen durch den Iran bestätigen muss, die persische Version behauptet, dass die Sanktionen am Tag des Inkrafttretens der Vereinbarung aufgehoben werden.
In den Westlichen Medien wird immer wieder betont, dass die iranische Seite der englischen Verlesung bis heute nicht widersprochen hätte, obwohl der iranische Außenminister gut Englisch spricht. Merkwürdigerweise wird dabei übersehen, dass auch die westliche Seite der persischen Version bis heute nicht widersprochen hat. Zwar sprechen die westlichen Delegationsleiter kein Persisch, aber es wird sich ja wohl bis heute ein Übersetzer gefunden haben. Es steht meiner Wenigkeit, der diesen Sachverhalt nur neutral feststellen kann, nicht zu, daraus zu schließen, dass die Verzweibarung beschlossen worden wäre, aber etwas merkwürdig mutet das Ganze schon an.
Die Behauptung der iranischen Delegation, dass mit dem Inkrafttreten der Vereinbarung (also nach iranischem Verständnis mit der Unterzeichnung des Vertrages) alle Sanktionen aufgehoben werden, erscheint zumindest aus Sicht der westlichen Sachlage unmöglich. Denn einige der US-Sanktionen sind nicht etwa vom UN-Sicherheitsrat beschossen, was durch eine neue Resolution aufgehoben werden könnte, sondern von den USA selbst und haben dort einen rechtlichen Gesetzescharakter. Zwar hat der US-Präsident die Vollmacht ein Gesetz zeitweilig (bis zu sechs Monate) auszusetzen, aber er hat nicht die Macht, das Gesetz aufzuheben. Das kann nur der Kongress, und der wird zurzeit von extrem zionismushörigen Republikanern dominiert, die ganz sicher solch ein Gesetz nicht aufheben werden. Wenn die Sanktionen aber nur jeweils sechs Monate ausgesetzt werden können und dann vom Präsidenten (auch einem zukünftigen) die Aussetzung wieder um sechs Monate erneuert werden müsste, dann wirkt das für Langzeitinvestoren wie eine Nichtaufhebung und ist zu unsicher.
Etwas infam erschien mir die öffentliche Erklärung von Rafsandschani, der zum Ergebnis der Atomverhandlungen gratuliert und die Unterstützung des Imams „bis zuletzt“ gelobt hat. Es ist schwer vorstellbar, dass der Imam der westlichen Version der Vereinbarung zustimmen würde. So lange aber beide Seiten nicht das Gleiche vertreten, gibt es keine Vereinbarung!
Ging es letztendlich dann nur darum auf beiden Seiten Zeit zu gewinnen? Wozu? Die USA könnten mal wieder die Vorstellung haben, in drei Monaten ihre Verbrechen im Jemen zu einem für sie erfolgreichen Abschluss zu führen, und so lange solle der Iran sich zurückhalten. Dass die USA in solchen Fällen schon lange nicht mehr richtig rechnen können, ist kein Geheimnis. Warum aber die iranische Delegation diese Spiel mitspielt, ist mir ein Rätsel. Allerdings erklärt die Situation, warum Menschen über etwas gemeinsam jubeln, über das sie normalerweise gar nicht gemeinsam jubeln könnten!
Es ist nicht möglich, dass im weltweiten Krieg reich gegen arm alle Seiten gleichzeitig glücklich gestellt werden. Die Armen werden erst dann glücklich, wenn die Verteilung der Güter in der Welt gerechter erfolgt. Die Superreichen hingegen sind deshalb so superreich, weil sie ihre Menschlichkeit in ihrer Unersättlichkeit ersoffen haben. Solch ein Mensch kann niemals glücklich werden, wenn es gerechter auf Erden zugeht. Insofern ist immer Vorsicht geboten, wenn völlig unterschiedliche Pole dieser Erde gemeinsam jubeln. Wenn eine vom Imam so geehrte Persönlichkeit wie Sayyid Hasan gratuliert, dann will er damit eine Seite stärken. Auch er wird wissen, dass im Gesamtbild etwas nicht stimmt, aber er hat in seiner großen Erfahrung und seiner Einschätzung von Zukunftsszenarien immer viel Weisheit bewiesen. Wenn meine Wenigkeit hingegen in einem vorangehenden Text den iranischen Präsidenten harsch kritisiert hat, dann nur deshalb, weil meine Weitsicht durch meine Sünden getrübt ist. Dafür entschuldige ich mich. Gott sei Dank aber ist der Verbreitungsgrad meiner Texte sehr begrenzt, so dass der dadurch bewirkte Schaden auch begrenzt ist Inschaallah. Gott vergebe mir.