Folgender Text wird mit freundlicher Genehmigung von Knut Mellenthin (freier Journalist in Hamburg) veröffentlicht.
Islam-Hasser im Blutrausch
von Knut Mellenthin, freier Journalist in Hamburg
Mindestens drei Verletzte und ein Toter. Die antimuslimischen Hassprediger standen vor Freude Kopf. Denn der Täter, der am Dienstag auf einem Bahnhof in der Nähe Münchens mehrmals mit dem Messer zustach, soll dabei „Allahu akbar“, Gott ist groß, gerufen haben.
Tatsachen sind angesichts eines so hocherfreulichen Ereignisses nur sekundär und brauchen gar nicht erst abgewartet zu werden. „Der Islam-Terror ist endgültig in Deutschland angekommen!“ jubelte die Neonazi-Kloake „PI“, obwohl es allerhöchstens der dritte Vorfall dieser Art wäre: Bei etwa vier Millionen Muslimen, die in Deutschland leben, und deren kollektive Nicht-Zugehörigkeit zu „unserem Land“ der rechtsradikale Mob durch den Vorfall wieder einmal bestätigt sah.
Zu den am stärksten Berauschten gehörte, durchaus nicht überraschend, Jürgen Elsässer. Der Ex-Stuttgarter bildet mit seiner Zeitschrift „Compact“ eine der wichtigsten Schaltstellen zwischen der trotz Rechtsruck immer noch Biederkeit simulierenden AfD und deren mehrheitlich viel weiter rechts angesiedelten Anhänger- und Wählerschaft. Elsässer hetzte am Dienstagvormittag seine Anhänger mit den von ihnen geliebten Stichworten auf: „Islamistischer Terror in Grafing bei München? Davon will die Lügenpresse nichts wissen. Dabei heißt der Täter Rafik Yousssef...“
So berichte jedenfalls „die ausländische Presse“, schrieb Elsässer, und wer das nicht glaube, möge doch „einfach mal googeln“. Dass die Polizei den Namen des Täters eindeutig ganz anders mit „Paul H.“ angab, wusste Elsässer zu diesem Zeitpunkt schon, denn er erwähnte es ausdrücklich. Aber „das wird offensichtlich in unserer Lügenpresse verfälscht, um von der arabischen Herkunft des Täters abzulenken“.
Die Annahme, die Polizei könnte den Namen eines nicht nur verdächtigen, sondern am Ort des Geschehens sofort gefassten Täters völlig falsch angeben, setzt eine verfestigte hysterische Denkweise voraus. Eine solche Lüge müsste zwangsläufig innerhalb weniger Stunden platzen. Es ist äußerst unwahrscheinlich, dass das seit Gründung der BRD 1949 jemals passiert ist. Kennt jemand ein Gegenbeispiel? Doch die Klientel der rassistischen Hassprediger zeichnet sich dadurch aus, dass sie sich zwar für außergewöhnlich klug, wachsam und misstrauisch hält, aber begeistert jeden Blödsinn aufschnappt und weiterverbreitet, der ihrer dumpfen „Weltanschauung“ und ihren Vorurteilen zupass kommt.
Wer Elsässer Empfehlung folgt, „einfach mal zu googeln“, findet unter dem Namen „Rafik Youssef“ an oberster Stelle einen Wikipedia-Eintrag zu einem „irakischen islamistischen Terroristen“, der vom 27. August 1974 bis zum 17. September 2015 lebte, also definitiv seit über einem halben Jahr tot ist. Er wurde in Berlin von einem Polizisten erschossen, nachdem er mehrere Menschen mit einem Messer bedroht und schließlich eine Polizistin schwer verletzt hatte. Die Annahme, dass zufällig zwei Mal eine Person mit genau dem selben Namen in Deutschland messerschwingend Amok gelaufen sei, kann man wohl ebenso verwerfen wie die Hypothese, dass der im September 2015 Getötete wiederauferstanden sei.
Einige ausländische Medien, überwiegend italienische und französische, aber keineswegs die gesamte ausländische Presse, hatten den Namen des Amokläufers am Dienstag zunächst wirklich mit Rafik Youssef angegeben. Wahrscheinlich lag dem Fehler der Irrtum einer Nachrichtenagentur zugrunde, die den teilweise ähnlichen Fall vom Vorjahr mit dem aktuellen durcheinandergebracht hatte. Viele Journalisten arbeiten unter Zeitdruck oberflächlich und prüfen kaum noch nach, was sie irgendwo abschreiben. In der Praxis richtet das sogar mehr Schaden an, als der bewusste Vorsatz, die Unwahrheit zu schreiben.
Aber wenn es das Weltbild der Hassprediger zu bestätigen scheint, wird sofort gierig und bedenkenlos auf den Nachrichtenschrott der „Lügenpresse“ zugegriffen. Unter dem Druck der eindeutigen Nachrichtenlage, die auf einen deutschen Geisteskranken ohne jeden „Migrationshintergrund“ hinweist, musste Elsässer schon am Dienstagnachmittag seinen ersten Text und dessen Überschrift abändern. Der Name Rafik Youssef kam nun gar nicht mehr vor.
Stattdessen hatte der wendige Rechtspopulist plötzlich einen Link zu einem Text der gleichfalls muslimfeindlichen Webseite „Delgardo TV“ eingebaut. Dort hatte jemand geschrieben: „Wie bereits schon oft bewiesen verfüge auch ich über sehr gute Kontakte in Polizeikreise und von dort wurde auf Rückfrage zum Täter folgendes gesagt: 'Der Täter ist 27 Jahre alt, Hartz-IV-Empfänger aus dem Raum Gießen und verfügt über einen Deutschen Pass. Er hat jedoch einen muslimischen Migrationshintergrund und er heißt nachweislich nicht Paul H.. Angeblich soll der Täter Rafik Y. heißen!'“
Nachprüfen lässt sich an dieser Darstellung nichts. Sie könnte auch frei erfunden sein. Angesichts der Tatsache, dass der Messerstecher von Grafing sicher nicht Rafik Y. heißt, ist jedenfalls unwahrscheinlich, dass irgendein Bekannter bei der Polizei dem Delgardo-Autor wirklich diese Lügengeschichte aufgetischt hat. Macht aber auch nichts: Ihren Zweck, wahrnehmungsgestörte Muslim-Hasser noch weiter aufzuputschen, haben die Gerüchte jetzt schon erfüllt.