Im Fasten das Gefängnis des Nationalstolzes überwinden
Eines der vielen Gefängnisse, in der die Menschen heute stecken, ist der Nationalstolz. Er ist ein Machtinstrument der Unterdrücker, damit die Menschen gespalten werden und reiche immer reicher und arme immer ärmer werden. Bedauerlicherweise sind Muslime von diesem Gift sehr stark infiziert.
Wer kennt nicht folgenden Witz unter Muslimen: Warten drei Männer voller Erwartung vor dem Kreissaal: ein Kurde, ein Türke und ein Nigerianer. Die Krankenschwester kommt voller Freude heraus uns sagt: „Meinen Glückwunsch an alle drei Väter, sie haben alle drei gesunde Söhne bekommen, die alle gleichzeitig geboren sind. Bedauerlicherweise aber ist uns bei dem Chaos der gemeinsamen Geburten ein kleiner Fehler unterlaufen, und wir wissen nicht so genau, welches Kind zu wem gehört. Da meldet sich der Kurde und sagt: „Kein Problem, ich gehe da rein und finde sofort mein eigenes Kind.“ Gesagt getan, der Kurde verschwindet und kommt aber nicht wieder raus. Die anderen warten gespannt. Es vergeht viel Zeit, da kommt er endlich mit dem kaffeebraunen Kinde auf dem Arm heraus. Daraufhin fragen ihn die anderen beiden: „Bist Du sicher, dass ausgerechnet das dein Kind ist?“ Da antwortet der Kurde: „Nein, natürlich nicht, aber das Risiko ein türkisches Kind großziehen zu müssen, war zu groß!
Bei dem Witz kann man leicht die Rollen zwischen Kurde und Türke vertauschen. Auch kann man Syrer und Libanesen, Iraner und Iraker, Afghanen und Iraner, Inder und Pakistani, Sunniten und Schiiten, X-Anhänger und Y-Anhänger einsetzen und der Schmunzeleffekt wird immer der Gleiche sein. Das Bedauerliche aber ist, dass dieser Schmunzeleffekt einen wahren Hintergrund hat. Eigentlich müsste es so sein, dass wir den Witz gar nicht verstehen. Doch die Realität ist, dass die Kolonialisten uns nicht nur den Islam geraubt, sondern zudem ihre rassistisch-nationalistische Denkweise eingeimpft haben. Wie ein fürchterliches Gift fließt dieser Nationalstolz in unseren Blutbahnen und vergiftet unsere Gedankenströme. Zuweilen genügt nicht einmal das Land, da wird noch unterschieden zwischen Regionen und dem Dorf.
Der große deutsche Philosoph Schopenhauer hat einstmals gesagt: „Die wohlfeilste Art des Stolzes hingegen ist der Nationalstolz. Denn er verrät in dem damit Behafteten den Mangel an individuellen Eigenschaften, auf die er stolz sein könnte, indem er sonst nicht zu dem greifen würde, was er mit so vielen Millionen teilt. Aber jeder erbärmliche Tropf, der nichts in der Welt hat, auf das er stolz sein könnte, ergreift das letzte Mittel, auf die Nation, der er gerade angehört, um stolz zu sein.“ [1] Aus einem islamischen Blickwinkel heraus müsste man in der Aussage den Begriff „Stolz“ durch „Dankbarkeit“ ersetzen und würde verstehen, was gemeint ist.
Dieses Gift des Nationalstolzes ist ein Element der weltweiten Unterdrückung und dient dazu, die Menschen zu spalten, damit sie gegeneinander stehen und nicht gemeinsam gegen die internationalen Unterdrücker aufstehen. National aufgeputschte Europameisterschaften gehören genau so zu den immer wieder verabreichten Giftspritzen wie auch Ideologien, die jene Nationalgrenzen „verteidigen“. Dabei sind die Grenzen in der muslimischen Welt fast ausschließlich von den Kolonialisten gezeichnet! Warum akzeptieren wir diese? Warum fragen wir nicht nach, mit welcher Legitimation es Grenzen zwischen Muslimen geben soll? Und in einem weiteren Schritt kann man nachfragen, warum es überhaupt Grenzen zwischen den Menschengruppen geben soll?
Der Nationalismus wird durch sehr viele Machtelemente geschürt. Z.B. war die Völkermordsresolution des deutschen Bundestages gegen die Türkei solch ein Machtmittel. Es gibt keine einzige Volksgruppe, die einen Vorteil von jener Resolution hat. Weder nützt jene Resolution den Deutschen, noch den Türken, noch den Armeniern. Genau das Gegenteil ist der Fall. Türken werden gegen Deutsche mobilisiert wie auch umgekehrt, und das ohnehin angespannte Verhältnis zwischen Türken und Armeniern wird noch mehr belastet. Da nützt es auch wenig, dass der armenische Patriarch sich gegen die Resolution stellt [2]. Im Getöse des Nationalwahns geht seine Stimme unter. Sofort werden alle nationalen Gefühle „aktiviert“. Den „türkischstämmigen“ Abgeordnete im Bundestag wird vorgeworfen, dass sie das eigene Volk verraten hätten, ohne darauf zu verweisen, dass jene deutschen Abgeordnete dem deutschen Volk zu dienen haben und nicht dem türkischen. Von Bluttests ist da die Rede und anderen unsäglichen Dingen. Sehr rasch verbindet sich der Nationalstolz mit Rassismus. Die Krönung jenes Rassismus bieten Analytiklabors an, die für bis zu 1000 Euro herausfinden, ob man „mit großer Wahrscheinlichkeit“ ein Jude ist oder nicht [3]. Vernünftige Fragen, wie warum denn eine Legislative neuerdings Aufgaben der Justiz übernimmt und Urteile fällt, ohne jemals dem Angeklagten eine hinreichende Chance zur Verteidigung gegeben zu haben, verpuffen im Nationalwahn und dem nationalistisch geprägten Angriff darauf.
Der Nationalstolz beinhaltet – ganz nebenbei – auch den Begriff Stolz. Die Tatsache, dass diese Art von Stolz sowohl im Christentum als auch im Islam zu den schwersten Sünden gehört (im Christentum heiß es sogar Todsünde), wird in der ach so christlich-jüdisch geprägten Gesellschaft genau so unterdrückt wie unter Muslimen weltweit. Jene Sünde geht auf die Aussage des Satan zurück: „Ich bin besser“ [4]. Sein einziges Argument dabei ist seine Herkunft!
Dieser Nationalstolz ist in unserer Zeit mitverantwortlich dafür, dass z.B. der Irak bis heute nicht befreit ist. Als große irakische Gelehrte wie Muhammad Baqir Sadr an der Seite Imam Chomeinis aufgestanden sind, haben die allermeisten irakischen Gelehrten die Unterstützung verweigert. Ein Kampf gegen Saddam hätte damals möglicherweise bis zu 100.000 irakische Opfer kosten können, und das wollte kein großer irakischer Gelehrter mitverantworten. Jetzt sind jene Personen für über eine Millionen irakische Opfer seither mitverantwortlich und der Tatsache, dass der Irak immer noch nicht befreit ist. Auf Bagdads Straßen werden von Turbanträgern zuweilen Bilder von Imam Chamene’i verbrannt, zumeist nicht aus religiösen Gründen, sondern aus nationalistischen! Der Dauerkonflikt von Kurden gegen Türken, Kurden gegen Araber usw. sind weitere Elemente der kolonialistischen Unterdrückungspolitik, bei der stets beide Seiten verlieren und nur die Neo-Kolonialisten siegen. In Deutschland agierende und gekaufte salafistische Abstammungsfanatiker haben hier bereits kuriose Geschichten geschrieben, als es den Begriff „Salafismus“ noch gar nicht gab. [5]
Dabei ist das islamische Konzept gegen dieses Gift sehr einfach: Ihr seid alle Geschwister, zumal ihr alle die gleichen Urahnen habt! Um solch ein Konzept zu verstehen bedarf es keines aufwendigen Studiums. Der Blick in das eigene Herz genügt. Was unterscheidet einen Menschen von dem anderen? Sind es wirklich die angeborenen Aspekte, für die der Mensch nichts kann? Sind es Hautfarbe, Augenfarbe, Augenform, oder der Staat, dessen Staatsbürgerschaft die Eltern haben? Worin würden wir Menschen uns dann von Tieren unterscheiden, wenn die angeborenen Aspekte uns trennen würden?
Das islamische Gegenkonzept gegen die Spaltung der Menschen ist im Heiligen Qur’an sehr deutlich markiert: „Oh ihr Menschen, wir haben euch erschaffen aus Männlichem und Weiblichem und euch zu Volksbereichen und Sippen errichtet, damit ihr einander erkennt. Wahrlich, bei Allah ist der Angesehenste unter euch, welcher der Gottesfürchtigste ist…“ [6] Der Vers richtet sich nicht an Muslime oder Gläubige, sondern an die gesamte Menschheit! Und er unterscheidet zwei Begriffe der Schöpfung, die sehr bedeutsam sind: Wir haben erschaffen [chalaqna] und wir haben errichtet [dschaalna]. Die Schöpfung von Mann und Frau ist eine direkte aus der Schöpfungsgeschichte festgelegte Gegebenheit, in der die Menschen lernen sollen das „Andere“ zu lieben, um sogar am Schöpfungsakt paradiesisch beteiligt zu werden. Die Unterteilung in Volksbereiche und Sippen hingegen ist kein direkter Schöpfungsakt, sonder indirekt daraus folgende Gegebenheit. Sie dienen einem bestimmten Zweck: „damit ihr einander (an)erkennt.“ Der Begriff „Erkennen“ bzw. „Anerkennen“ ist eines des bedeutsamsten Begriffe der islamischen Handlungsanweisungen, soll doch der Muslime das „Anzuerkennende“ [amr-bil-maaruf] gebieten. Ein weiteres Derivat des Begriff steht im Zusammenhang mit dem „Erkennen“ des Heiligen Qur’an, wie man seine eigene Kinder erkennt [5]. Welcher Muslim würde sich freiwillig vom Heiligen Qur’an trennen oder seinen eigenen Kindern? Warum sollte es dann eine Trennung der Völker geben?
Der Monat des Heiligen Qur’an, der Monat Gottes, der Monat Ramadan eröffnet jedes Jahr aufs Neue intensive Perspektiven, um das Gift des Nationalstolzes zu überwinden. Am 12. Tag des Monats ist einer der Tage der Verbrüderung. Jeweils ein mekkanischer Auswanderer sollte sich mit einem medinensischen Helfer verbrüdern; einzige Ausnahme war der Prophet, der sich demonstrativ mit Imam Ali (a.) verbrüdert hat. Der Prophet (s.) und Imam Ali (a.), die beide fern von jeglichem Stammesstolz sind, verbrüdern sich als besonderes Zeichen für die Nachwelt. Der Rest soll alle „Nationalgrenzen“ überwinden, selbst wenn es jenen Begriff damals noch nicht gab. Am 17. Tag des Monats überfallen die Quraisch, die eigene Familie des Propheten, die Stadt Medina und die Anhänger des Propheten müssen sich in Badr verteidigen. Während die Angreifer die geborenen Mitbürger des Propheten waren, haben ihn „Ausländer“ verteidigt, darunter auch ein Abbesiner (Äthiopier). In der Nacht der Bestimmung ist der Heilige Qur’an herabgesandt worden, in dem es von Versen wimmelt, die alle Menschen ansprechen mit dem Satz „O ihr Menschen …“. Und in der Nacht der Bestimmung wird Imam Ali (a.) vom eigenen Volk ermordet, während auch Anhänger anderer Volksgruppen um ihn weinen. Am 20. Tag des Monats feiern die Muslime die Befreiung Mekkas als Friedensstätte für die Menschheit. Und am letzten Tag des Monats Ramadan wurde den Muslimen noch eine Verteidigungsschlacht aufgezwungen, die so genannte Schlacht von Hunain, die sogar namentlich im Heiligen Qur’an erwähnt wird. Im Vers dazu heißt es unter anderem: „…und beengt ist euch die Erde in ihrer Weite geworden“ [6]. Genau das ist das Gefühl des Nationalisten. Für ihn ist die Erde eng begrenzt, wohingegen für den Menschen, der seine menschliche Natur pflegt, die Erde sehr weitläufig ist.
Auch heute gibt es Ereignisse, die den internationalen Charakter der Menschheit betonen: Imam Chomeini hat den letzten Freitag im Monat, den so genannten Abschiedsfreitag [dschumat-ul-wida] zum Internationaler Tag von Quds (Quds-Tag) erklärt. Der Tag steht als Symbol für den Widerstand aller Unterdrückten der Welt gegen die Unterdrücker dargestellt m Kernkonflikt unserer heutigen Zeit. Weltweit demonstrieren viele Völker gemeinsam!
Der Monat Ramadan eröffnet viele Perspektiven, alle möglichen Gifte aus unserem Körper und unserem Geist zu eliminieren, dazu gehört auch das Nationalgift. Wir sind die Kinder Adams uns Evas, wenn sie Türken waren, dann sind wir es auch, wenn sie Deutsche waren, dann sind wir es auch, wenn sie Iraker oder Iraner waren, dann sind wir es auch. Und wenn sie die Ureltern von allen heutigen Nationen waren, dann sollten wir auch versuchen, so universell zu sein. Der wahre Mensch zeichnet sich durch seine vorbildliche Moral aus, die auf der Gottesehrfrucht gründet.
[1] https://de.wikiquote.org/wiki/Arthur_Schopenhauer
[2] http://www.handelsblatt.com/politik/inte...e/13720274.html
[3] https://www.igenea.com/de/juden
[4] Heiliger Qur’an 7:12
[5] http://www.eslam.de/manuskripte/buecher/...dam_und_eva.htm
[4] Heiliger Qur’an 49:13
[5] Heiliger Qur’an 2:146, 6:20
[6] Heiliger Qur’an 9:25