Der Liebesrausch von Aschura für Deutschland
Doch wie soll ich es erklären?
Das ist ein Liebesrausch, der die Herzen bewegt, ein Rausch, der nicht trunken macht, ein Rausch der die Sinne erweitert und das Herz reinigt. Das ist ein Rausch, der die Tränen über die Wangen fließen lässt und jeder Tropfen ist mächtiger als alle Atomwaffen der Welt zusammen. Das Blut ist stärker als das Schwert, die Wahrheit stärker als die Falschheit, die Liebe stärker als der Hass. Und der Rausch der Liebe ist das Licht der ewigen Wahrheit im Dunkel der entschwindenden Gegenwart. Wie gerne würde ich meinen deutschen Mitbürgern diesen Rausch erklären. Wie sehr liegt es mir am Herzen meinen Mitmenschen zu erklären, dass die betörenden Rauschzustände von Alkohol und dumpfen Rhythmen sie ihrer Menschlichkeit beraubt, aber der Rausch der Liebe sie zu wahren Menschen werden lässt.
Die letzten Tage waren im Iran die Tage dieses kollektiven Liebesrausches. Es scheint unmöglich, ihn erklären zu wollen, aber ich will mir nicht den Vorwurf machen müssen, es nicht zumindest versucht zu haben. Im Jahr 680 n.Chr. waren in der Ebene von Kerbela am Tag von Aschura eine kleine Gruppe von wenigen Dutzend Kämpfern mit ihren Frauen, Kindern, Alten Greisen und Kranken eingekesselt von 30.000 Soldaten des Kalifen des Islam. Die Eingekesselten waren die heiligsten Menschen ihrer Zeit angeführt von Imam Husain, dem Enkel des Propheten. An seiner Seite seine Schwester Zaynab, die das folgende Massaker überleben wird und Zeugnis ablegt für die Schönheit, die ein wahrer Liebesrausch, eine Himmelfahrt zur Wahrheit, haben kann. Hier steht die Gesamtheit des Lichts vor der scheinbaren Übermacht der überwältigenden Dunkelheiten. Und doch überlebt nur das Licht, denn die Dunkelheiten sind nichtig!
Ja, liebe Leser, die haben richtig gelesen, eine Frau ist die Heldin der Geschichte, die hier besungen wird von muslimischen Männern, Männer der Islamischen Republik Iran. Es sind Männer, die sich – so Gott will – keiner Supermacht mehr ergeben werden, denn sie kennen diesen Liebesrausch jetzt in ihrer wahren Form. Jahrhunderte lang hat man den Männern dieser Liebe eingeredet, sie sollten sich selbst geißeln, sich selbst verstümmeln, sich selbst blutig schlagen, damit die Energie dieses Liebesrausches wertlos verpufft und keinem Unterdrückten der Welt geholfen ist. Mit dem Sieg der Islamischen Revolution wurde die Selbstgeißelung in einen rhythmischen Herzschlag umgewandelt, der die Erde beben lässt und vor dem sich die kapitalistischen Machthaber so sehr fürchten, dass sie jedes Jahr immer üblere Massaker unter den unbewaffneten Trauernden anrichten lassen, wie diese Jahr im Jemen, Afghanistan, Nigeria und vielen anderen Orten. Doch dieser Liebesrausch ist nicht zu ersticken. Mit jedem Bluttropfen unschuldiger Menschen wird der Ruf nach wahrer Freiheit immer lauter! Inzwischen nehmen auch Christen im Iran und Irak bei diesen Trauerprozessionen teil.
Im Iran findet dieser Liebesrausch unter anderem in Form von Trauergesängen statt, von denen ich hier eines beispielhaft als Video vorstellen will. Obwohl der Text vergleichsweise einfach erscheint, beinhaltet er so viel Wissen, so viel Zusatzinformationen, so viel Liebe und Schönheit, dass nur ein gebildeter Muslim die wahre Schönheit des Liedes verstehen und in den Rausch einstimmen kann. In dem Video folgen Hunderte im Saal und Tausende auf der Straße einem der berühmtesten Trauersänger des Irans namens Mahmud Karimi [1]. Aus Respektgründen werden nur die Männer gezeigt, die Frauen sind aber genau so beteiligt. Der Liedtext lautet wie folgt:
Ich bin in unserer Familie Deine Stellvertreterin
Ich mache mir Sorgen um den durstigen Ali Asghar
Ich bin sowohl Deine Schwester als auch die Vertretung unserer Mutter
Dass ich noch am Leben bin, ist, weil Du da bist
Dass ich noch atmen kann, ist, weil Du mich noch siehst
Wenn Du willst, werde ich an Deiner Stelle sterben
Und niemand wird von mir einen Ton hören
Meine Kinder warten noch im Zelt
Bitte verwehre es ihnen nicht, für dich zu kämpfen
Erinnerst Du dich noch an unsere Jugend
Unser Bruder Hassan hat immer die Schutz Ayeh (Verse) für uns verlesen
Jetzt sind unsere Kinder an der Reihe
Lies nun die Schutz Ayeh (Verse) für sie und lass sie für Dich kämpfen
Mein Herz brennt, wenn Du alleine bleibst
Mein Herz brennt, wenn Du durstig bist
Bitte akzeptiere meinen Anteil
Meine beiden Söhne sind für Dich da
Mein geliebter Bruder, ich bin noch nicht gestorben
Wir sind mit Dir gekommen, um uns für Dich zu opfern
Nur du bist unser Fürst, und wir opfern uns für Dich
Wir sind gekommen und mit leeren Händen kehren wir nicht zurück
Wir lassen es nicht zu, dass Ali Akbars Blut vergessen wird
Ich bin die Tochter von dem, der das Tor von Khaibar aufgebrochen hat
Ich bin der Spiegel von (Fatima) Zehra und Hassan
Wer für Dich stirbt, bin ich
Erlaube es mir, mein Recht einzufordern
Gib mir nur ein Zeichen und ich werde mich für Dich opfern
O Zaynab, O Zaynab
Die geschilderte Szene ist kurz vor dem letzten Opfer, das Imam Husain bringen wird, bevor er sich selbst aufopfert. Kurz nach der Szene des Liedes wird er seinen erst wenige Monate alten Säugling Ali Asghar [2] in die Luft halten und den Feinden zurufen: „Wenn ihr schon mich töten wollt, so gebt doch zumindest diesem unschuldigen fast verdurstetem Wesen etwas zu trinken.“ Als Antwort kommt ein Pfeil, der den Hals des Babys zerreißt und das Blut auf die Hände und die Augen des Vaters fließen lässt.
Kurz vor dieser Szene tritt Zaynab in diesem Lied auf und stellt sich unter anderem als „Vertreterin unserer Mutter“ vor, denn ihre Mutter ist die heiligste Frau im Islam, Fatima, die Tochter des Propheten. Sie spricht zu ihrem Bruder Husain. Sie erinnert daran, dass ihre eigenen Kinder (Aun und Muhammad) die erst 13 und 11 Jahre alt sind, sich gleich für ihren Onkel aufopfern werden. Sie erinnert an den älteren Bruder Hasan, der bereits Jahre zuvor Märtyrer geworden ist. Sie erinnert an Ali Akbar, einen der Söhne des Husain, der ebenfall Märtyrer in Kerbela wird.
Zum Ende des Trauergesangs wird sie dann heftig: „Ich bin die Tochter von dem, der das Tor von Khaibar aufgebrochen hat. Ich bin der Spiegel von (Fatima) Zehra…“. Sie verweist darauf, dass ihr Vater Imam Ali das uneinnehmbar wirkende Tor der Burg Chaibar durch wundersame Kräfte aufgebrochen hat [3].
Alle diese Details und noch viel mehr sind der mitsingenden Bevölkerung bekannt. Sie kennen die Details dieser Geschichte, denn sie lernen sie vom ersten Schuljahr an und noch viel früher. Sie stimmen in den Refrain ein, indem ein Teil ihn mitsingt und ein anderer Teil im Herzschlagrhythmus „Husain, Husain“ ruft.
Schauen Sie sich bitte dieses Video an und versuchen Sie zu verstehen, welche Kraft in diesem Epos liegt. Es mag sie zunächst verstören, aber die Kraft dieser Woche [4] bewegt immer mehr Menschen überall in der Welt, sich vom morallosen Kapitalismus, vom unmenschlichen Materialismus, vom verbrecherischen Imperialismus zu lösen.
Zaynab die Große berichtete später von den Ereignissen, dass sie nichts außer Schönheit gesehen habe [5], eine Aussage, die angesichts des unvorstellbaren Massakers zunächst verstörend erscheint. Wer aber diesen Liebesrausch einmal beginnt zu spüren, der versteht, welche Kraft in ihrer Aussage steckt.
Ja, liebe deutsche Mitbürger. Ich würde Ihnen diesen Liebesrausch gerne schenken. Aber am Ende meiner Zeilen merke ich, wie hilflos doch Worte klingen, wenn das Herz überläuft. Es ist nicht so einfach möglich, diesen Liebesrausch zu übertragen in eine Welt, in der die Beziehung zur spirituellen Welt verloren gegangen ist. Wenn Deutschland sich eines Tages wirklich von dem Wahnsinn dieser heutigen Welt befreien und seine menschliche Würde zurückgewinnen will, wird das nur möglich mit der Hinwendung zu der Quelle dieser Liebe. Da können wir von den Iranern viel lernen!
[1] http://www.eslam.de/begriffe/k/karimi_mahmud.htm
[2] http://www.eslam.de/begriffe/a/ali_asghar.htm
[3] http://www.eslam.de/begriffe/c/chaibar.htm
[4] http://www.eslam.de/begriffe/t/trauerzer...zu_muharram.htm
[5] http://www.eslam.de/begriffe/n/nichts_au...ich_gesehen.htm