"Es ist wirklich kompliziert", räumt Keller ein. PCR-Tests auf Sars-CoV-2 aus Schleimhautabstrichen eigneten sich gut für die Akutdiagnostik Erkrankter. Werde das Verfahren aber für Reihenuntersuchungen nicht symptomatischer Menschen eingesetzt, komme es bisweilen an seine Grenzen.
Dr. Christian Keller, Leiter der Virusdiagnostik und Facharzt für Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie am Institut für Virologie am Universitätsklinikum Marburg, gewährt im unten verlinkten Artikel interessante Einblicke:
"Auch wenn das alte Sars-CoV ausgestorben ist, heißt das noch lange nicht, dass wenn ein Test positiv anschlägt, es direkt Sars-CoV-2 ist. So einfach ist das leider nicht. Man muss es sich so vorstellen: In der Probe selbst ist ja nicht nur Virus-Material, sondern sehr viel anderes genetisches Material, also humanes Material mit Erbgut des zu testenden Patienten. Da kann es durchaus vorkommen, dass die Proben falsch an humanes Material binden", erklärt er. Dazu kommt: Die Tests seien zwar möglichst genau für Sars-CoV-2 konzipiert, doch das neuartige Virus gehöre dennoch zur Gruppe der Coronaviren - und davon gibt es viele verschiedene Untergattungen, die auch Grippesymptome auslösen können. Durch Ähnlichkeiten in der Viruserbsubstanz kann es deswegen zu ungenauen, nicht eindeutigen Ergebnissen kommen.
Zitat
... Es geht um 15 Corona-Tests von Patienten im Vogelsberg. 15 Tests, die erst positiv waren und in einer zweiten Testung dann doch negativ ausfielen. Wie ist das möglich? Und wer hat in dem Streit darum Recht - der Kreis oder der die Kassenärztliche Vereinigung? Eine medizinische Spurensuche von Luisa Stock.
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Auf Spurensuche in der Virologie in Marburg
Bleibt die Frage, wer in dieser ganzen Angelegenheit nun eigentlich Recht hat. Ganz so einfach lässt sich das wohl nicht beantworten, was ein Gespräch mit PD Dr. Christian Keller, dem Leiter der Virusdiagnostik und Facharzt für Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie am Institut für Virologie am Universitätsklinikum Marburg, zeigt. Kellers Labor ist zwar genau das, welches die Testergebnisse aus dem Vogelsberg im Auftrag des Kreises überprüfte - das brachte den Experten jedoch nicht dazu, sich voll und ganz auf die Seite des Landrats zu stellen.
"Der Idealzustand ist natürlich, dass ein Test in der Lage ist, die Erkrankten von den Nicht-Erkrankten eindeutig zu unterscheiden. Das heißt 100 Prozent der Erkrankten bekommen ein positives Testergebnis, 100 Prozent der Nicht-Erkrankten ein negatives. Es ist aber unrealistisch, Tests mit einer so hohen Sicherheit zu haben, besonders bei den PCR-Tests", erklärt Keller. Es gibt also immer einen kleinen Anteil an Patienten, die, obwohl sie erkrankt sind, ein negatives Ergebnis haben und immer einen kleinen Anteil, die ein positives Ergebnis bekommen, obwohl sie nicht erkrankt sind.
Bei niedriger Prävalenz fallen falsch-positive Ergebnisse mehr ins Gewicht
Besonders in Phasen, in denen die Zahl der tatsächlichen Infektionen abnimmt, schätzt Keller die Anzahl der falsch-positiven Tests höher ein - oder anders: Sie fallen deutlicher ins Gewicht.
"Ganz am Anfang der Pandemie hatten wir ein paar Probleme mit der Spezifität, weshalb eine Bestätigungstestung durch ein weiteres Gen gefordert wurde. Während der Hochphase der Pandemie hat man auf den Bestätigungstest verzichtet, weil man gesagt hat: Das Virus ist in der Bevölkerung so verbreitet, dass es relativ wahrscheinlich ist, dass bereits bei Nachweis eines einzigen Gens die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass der Patient die Infektion hat. Diesen Wert, wie oft das Virus in der Bevölkerung vorkommt, nennen wir Prävalenz. In der Hochphase waren unter den Getesteten so viele dabei, dass die falsch-positiven Testergebnisse gar nicht so sehr ins Gewicht fielen, zumal es Berichte über sehr milde bis asymptomatische Verläufe gab. Da hat man nicht nochmal genauer geschaut, ob sie korrekt positiv sind. Jetzt ist das anders, weil wir eine niedrige Prävalenz haben. Da kommen die falsch-positiven stärker heraus", erklärt Keller.
Verschiedene Einflussfaktoren führen zu uneindeutigen Ergebnissen
Dass es zu falschen Ergebnissen kommen kann, egal ob falsch-positiv oder aber falsch-negativ, kann nach Keller an vielen verschiedenen Einflussfaktoren hängen. Durch das molekularbiologische Verfahren des PCR-Tests, bei dem die Gene des Virus nachgewiesen werden, können schon gleich zu Beginn Fehler gemacht werden. "Der erste Schritt ist die Probenentnahme mit einem geeigneten Tupfer, denn die Probe wird von den Schleimhäuten entnommen. Nicht jedes Material ist aber geeignet, das Virusmaterial möglichst effizient aufzunehmen", sagt er.
In der Hochphase habe man im Labor bei den Einsendungen alles zu Gesicht bekommen: Baumwolltupfer, "irgendwelche Ersatzkonstruktionen", weil nichts Besseres verfügbar war, aber auch professionelle Tupfer mit Nylon-Beflockung, die das Material am besten aufnehmen. Auch bei Transport oder Lagerung der Proben kann der Testträger verunreinigt werden.
Dann folgt die Extraktion, also der Schritt, in dem die Erbsubstanz herauspräpariert wird - und wo ebenfalls Fehler gemacht werden können. Die unterschiedlichen Verfahren dafür sind unterschiedlich effizient und auch hier kann schlichtweg die Menge des Virusmaterials nicht ausreichend sein. Im dritten Schritt erfolgt der Nachweis der Gene. Da kann es durchaus zu schwach-positiven Ergebnissen kommen, die zunächst den Anschein erwecken, positiv zu sein, es aber nicht sind - und umkehrt. ...
So einfach ist das leider nicht - Dr. Christian Keller
"Auch wenn das alte Sars-CoV ausgestorben ist, heißt das noch lange nicht, dass wenn ein Test positiv anschlägt, es direkt Sars-CoV-2 ist. So einfach ist das leider nicht. Man muss es sich so vorstellen: In der Probe selbst ist ja nicht nur Virus-Material, sondern sehr viel anderes genetisches Material, also humanes Material mit Erbgut des zu testenden Patienten. Da kann es durchaus vorkommen, dass die Proben falsch an humanes Material binden", erklärt er. Dazu kommt: Die Tests seien zwar möglichst genau für Sars-CoV-2 konzipiert, doch das neuartige Virus gehöre dennoch zur Gruppe der Coronaviren - und davon gibt es viele verschiedene Untergattungen, die auch Grippesymptome auslösen können. Durch Ähnlichkeiten in der Viruserbsubstanz kann es deswegen zu ungenauen, nicht eindeutigen Ergebnissen kommen. Das ist zwar unwahrscheinlich - ausgeschlossen ist es aber nicht.
"Im Fall der Vogelsberger Tests haben wir es eher nicht mit einem Fehlnachweis anderer Coronaviren zu tun, weil man eigentlich bei den Tests darauf geachtet hat, dass man die Genabschnitte auswählt, die ganz typisch für das neue Coronavirus sind und keine Ähnlichkeiten mit anderen Coronaviren haben. Ich glaube eher, dass man es hier mit unspezifischen Bindungen von Testsonden an humanes Material zu tun hat, was zu schwach-positiven Signalen führt", sagt Keller.
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"Es ist wirklich kompliziert", räumt Keller ein. PCR-Tests auf Sars-CoV-2 aus Schleimhautabstrichen eigneten sich gut für die Akutdiagnostik Erkrankter. Werde das Verfahren aber für Reihenuntersuchungen nicht symptomatischer Menschen eingesetzt, komme es bisweilen an seine Grenzen.
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