#89 von
Werner Arndt
, 02.12.2022 19:55
Zitat
2. Dezember 2022
Corona-Impfung – Ungeimpfte zu Unrecht beschuldigt?
Die einrichtungsbezogene Impfpflicht soll auslaufen, denn Impfungen würden nicht mehr vor einer Ansteckung schützen, so Gesundheitsminister Karl Lauterbach. Doch einen Fremdschutz gibt es schon lange nicht mehr. Warum wurde dennoch politischer Druck auf Ungeimpfte ausgeübt? Das fragt sich MDR-Autorin Christiane Cichy.
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Ungeimpfte als Sündenböcke der Pandemie
Der Druck auf all jene, die sich nicht impfen lassen wollten, nahm im Herbst 2021 als Deutschland von der vierten Coronawelle überrollt wurde, erheblich zu. Obwohl mittlerweile mehr als zwei Drittel aller Erwachsenen geimpft waren, kletterten die Inzidenzen sogar schneller und höher als im Jahr zuvor. Auch die Intensivstationen füllten sich wieder. Das Virus hatte Deutschland erneut im Griff.
Doch statt politische Maßnahmen wie beispielsweise eine grundsätzliche Testpflicht für alle, auch für Geimpfte und Genesene einzuführen, stürzte man sich auf die Gruppe der Ungeimpften. Sie seien schuld am erneuten Pandemiegeschehen. Gäbe es nicht so viele Menschen, die sich dem Pieks verweigert hätten, wäre längst die Rückkehr zur Normalität möglich, so die Behauptungen einiger Politiker, aber auch Ärzte und Wissenschaftler. Wer sich nicht impfen lässt, verhalte sich unsolidarisch und sei nicht nur für zunehmende Infektionen, sondern auch für das überlastete Pflegepersonal verantwortlich.
Zu welchen Aussagen sich damals Politiker hinreißen ließen, zeigt folgende Auswahl:
"Tyrannei der Ungeimpften"
Der Weltärztebund-Vorsitzende Prof. Frank Ulrich Montgomery stellte im November 2021 Ungeimpfte in der ARD-Sendung "Anne Will" quasi an den Pranger: "Momentan erleben wir ja wirklich eine Tyrannei der Ungeimpften, die über das zwei Drittel der Geimpften bestimmen und uns diese ganzen Maßnahmen aufoktroyieren", erregte er sich am 8. November 2021.
"Ungeimpfte dürfen nicht als Minderheit die Mehrheit terrorisieren"
Diese Aussage stammt von Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) und wurde am 15. November 2021 von der "Welt" veröffentlicht.
Kontakte zu Ungeimpften meiden
Die damalige Berliner Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) riet der Bevölkerung in einer Twitter-Nachricht am 11. November 2021 ganz konkret, keinen Kontakt mehr zu Ungeimpften zu haben.
"Raus aus dem gesellschaftlichen Leben"
Letztlich ging es um eine klare politische Botschaft: "Ihr seid jetzt raus aus dem gesellschaftlichen Leben", wie es etwa Tobias Hans, ehemaliger Ministerpräsident des Saarlands, auf den Punkt brachte. Nachzulesen in der Saarbrücker Zeitung vom 10. Dezember 2021.
Nicht mehr genauso am öffentlichen Leben teilnehmen können
Im November 2021 erhöhte der damalige Noch-Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) den Druck auf Ungeimpfte erheblich, in dem er ankündigte, dass diese so gut wie gar nicht mehr am öffentlichen Leben teilnehmen sollen – und das am liebsten für das gesamte Jahr 2022: "Wenn Du irgendwie mehr tun willst, als Dein Rathaus oder Deinen Supermarkt besuchen, dann musst Du geimpft sein", so seine klare Ansage.
"Infektionsgeschehen rührt von den Ungeimpften her"
Und auch Olaf Scholz hatte offenbar die Schuldigen ausgemacht: "Das heute uns alle beeinträchtigende Infektionsgeschehen rührt von den Ungeimpften her. Darüber gibt es gar keinen Zweifel!", sagte er am 7. Dezember 2021 nach der Unterzeichnung des Koalitionsvertrags der Ampelparteien in Berlin.
Politische Maßnahmen ignorierten wissenschaftliche Studien zur Ansteckung
Dabei war vor rund einem Jahr schon klar: Die Wirksamkeit der Impfstoffe lässt leider schneller nach, als man das zu Beginn der Impfkampagne erwartet und den Geimpften auch versprochen hatte. ...
Die "Pandemie der Ungeimpften" war zu jenem Zeitpunkt also schon nicht mehr aktuell. Doch die Politik ignorierte weitgehend die damals aktuellen wissenschaftlichen Studien, die alle zu dem gleichen Ergebnis kamen: Seitdem die Deltavariante vorherrscht, ist auch die Zahl der Impfdurchbrüche angestiegen, darüber hinaus weisen die infizierten Geimpften eine annähernd so hohe Virenlast auf wie Ungeimpfte. Diese Erkenntnisse hielten deutsche Politiker nicht davon ab, Geimpfte zu privilegieren und Ungeimpfte teilweise vom öffentlichen Leben auszusperren – aus Schwimmbädern, Restaurants und großen Teilen des Einzelhandels.
Dabei war das sogenannte 2G-Modell, nur noch Geimpfte und Genesene hatten Zutritt, nicht nur juristisch problematisch, sondern offenbar auch aus epidemiologischer Sicht fragwürdig. Für den Virologen Alexander Kekulé war die Regelung sogar Teil des Problems und nicht der Lösung. Schon im November 2021 warnte er ausdrücklich vor einer unsichtbaren Welle der Geimpften, die in Deutschland zu dieser Zeit nahezu nie getestet wurden und so das Virus unbemerkt weitertrugen, immer in der Annahme sie seien ja geimpft und könnten niemanden mehr anstecken.
Omikron – auch Geboosterte stecken sich an und erkranken
Mit dem Auftauchen der Virusmutante Omikron haben sich die geweckten Hoffnungen, mit der Impfung das Virus ausrotten zu können, vollends zerschlagen. Die Relationen hatten sich nochmals verschoben.
Schon im Januar 2022 zeigte der RKI-Wochenbericht, dass von den dort erfassten 30.914 mit Omikron erkrankten Erwachsenen 83 Prozent geimpft und darunter 26 Prozent sogar geboostert waren. Im Krankenhaus behandelt wurden 72 Prozent Geimpfte. Und unter den gerade mal 20 Omikron-Intensivpatienten lag die Geimpften-Quote bei 68 Prozent.
In den folgenden Wochen und Monaten erlebten dann immer mehr Menschen am eigenen Leib: Geimpfte können sich und andere anstecken, sogar symptomatisch erkranken, auch dann, wenn sie geboostert sind. Lediglich der Schutz vor einem schweren Verlauf bestand nach wie vor. Der erhoffte Zusammenhang zwischen hoher Impfquote und niedrigen Inzidenzen erwies sich spätestens mit Omikron als Trugschluss.
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https://www.mdr.de/nachrichten/deutschla...impfte-100.html