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Quds-Tag neu denken – denn es geht nicht nur um Palästina

#1 von Yavuz Özoguz , 20.04.2022 10:05

Quds-Tag neu denken – denn es geht nicht nur um Palästina

Der Internationale Al-Quds-Tag ist ein weltweiter Demonstrationstag der Unterdrückten gegen die Unterdrücker verdeutlicht am Kernkonflikt der Zeit, der ethnischen Säuberung Palästinas. Genau mit dieser Absicht wurde der Tag von Imam Chomeini nach der Islamischen Revolution im Iran 1979 ausgerufen und findet jeweils am letzten Freitag des Monats Ramadan statt [1]. Da in der Westlichen Welt der Freitag kein Feiertag ist, wird in der Regel der darauffolgende Samstag gewählt, oder – wenn der darauffolgende Samstag mit dem Fest am Ende des Monats Ramadan kollidieren könnte – der Samstag vor dem weltweiten Quds-Tag am Freitag.



Dieses Jahr ist das der Samstag, 23. April 2022. Während in London mit einer Demonstration mit Zehntausenden von Teilnehmern gerechnet wird, wurde der traditionelle Demonstrationszug in Berlin zum dritten Mal in Folge abgesagt. Stattdessen finden dezentral kleinere Veranstaltungen statt, die in einer Live-Online-Schaltung zusammengefasst werden sollen [2]. In der islamischen Welt nehmen Millionen von Muslimen an den Demonstrationen teil.

Nach über vier Jahrzehnten Teilnahme an den Demonstrationen in Deutschland, erlaube ich mir angesichts der aktuellen Entwicklung der Welt und deren Auswirkungen auf meine Heimat Deutschland einen Blick in die Zukunft des Quds-Tages in und für Deutschland. Dazu müssen die bisherigen Erfolge und Misserfolge genau so realistisch eingeschätzt werden, wie das Potential, das für solch eine Veranstaltung besteht. Über 40 Jahre wird in Deutschland am Quds-Tag friedlich demonstriert. In den 1980er Jahren waren teilweise über 10.000 Demonstranten auf deutschen Straßen. Dem Staatsapparat ist es im Laufe von fast drei Jahrzehnten gelungen, die Demonstranten (und die Organisationen, die dahinterstanden) Stück für Stück zu spalten, zu zermürben und vom Quds-Tag abzubringen. Heute können sich die meisten Teilnehmer gar nicht mehr vorstellen, dass einstmals der Quds-Tag mehrheitlich von sunnitischen Geschwistern getragen worden ist. Die staatlichen Repressionsmaßnahmen gegen Organisationen wie Milli Görüsch bei gleichzeitigem „Angebot“, dass ihre Moscheen unangetastet bleiben, wenn sie sich vom Quds-Tag abkehren, hat seine Wirkung nicht verfehlt. Am Ende blieb ein Kern von guten 1000 Demonstranten – die von der „Lügenpresse“ regelmäßig auf wenige Hundert heruntergedichtet worden sind – die nach Berlin gereist sind, um am Quds-Tag mitzudemonstrieren.

Die Tatsache, dass die berühmteste Parole des Quds-Tages in Deutschland: „Juden, Muslime und Christen – Hand in Hand gegen Zionisten“ war und ist, und die Tatsache, dass regelmäßig jüdische Rabbiner mitdemonstriert haben, hat weder die deutschen Behörden noch die „Lügenpresse“, die ich gerne als Presstituierte bezeichne, interessiert. Die Demonstration wurde schlichtweg als „antisemitisch“ abgekanzelt. Und der verbliebene Rest von gut 1000 Demonstranten waren bis auf wenige Ausnahmen fast nur noch schiitische Anhänger der islamischen Befreiungstheologie, für die heutzutage Imam Chamenei steht. Der Staatsapparat hat sich nunmehr auch diesen verblieben Rest vorgeknöpft und in einer historisch einmaligen Situation zwei große schiitische Moscheen verboten und konfisziert. Es war die erste Schließung von zwei Andachtshäusern dieser Größe in Deutschland seit dem Zweiten Weltkrieg. Begründet wurde die Schließung unter anderem mit der Teilnahme von Mitgliedern am Quds-Tag. Der Dachverband der Schiiten hat auf diesen Skandal mit der sogenannten „Bochumer Erklärung der Schiitischen Gemeinden in Deutschland“ reagiert [3].

So weit ist es also in Deutschland wieder gekommen, dass zum Schutz einer rassistischen Ideologie und eines Apartheidsstaates Gotteshäuser den rechtmäßigen Eigentümern per Politikererlass ohne richterlichen Beschluss entzogen werden, und das, obwohl keine einzige Straftat vorliegt! Die Verbote und Zwangsenteignungen werden in einem späteren Deutschland große Scham hervorrufen.

Währenddessen brach in der Ukraine ein Krieg aus, den die deutschen Politiker und Medien in inzwischen gewohnter Gleichschaltung folgendermaßen beschreiben: Ein Besatzer (Russland) besetzt ein Land, das ihm nicht gehört, und muss daher sowohl mit den schärfsten Sanktionen als auch mit militärischer Unterstützung der Besetzten (Ukraine) zurückgeschlagen werden. Diese Betrachtungsweise ist deshalb so erstaunlich, weil Israel seit nunmehr sieben Jahrzehnten fremdes Land besetzt, besiedelt, annektiert, die besetzte Bevölkerung unaufhörlich drangsaliert und auch überhaupt nicht vor hat jemals irgendetwas zurückzugeben und dennoch niemals sanktioniert wird. Ganz im Gegenteil, wer Sanktionen gegen Israel verlangt, der wird mit der Antisemitismuskeule erschlagen. Der Palästinenser, der sich mit Steinwürfen wehrt, gilt als Terrorist, während die Armee Israels, die mit hochmodernen Waffen den Gaza bombardiert und im Schnitt jede Woche mehrere Zivilisten ermordet (und das seit Jahrzehnten!), als Selbstverteidiger gilt. Der Konflikt um die Ukraine hat es deutlicher denn je zuvor gemacht. Wir unterliegen einer totalen Meinungs-Gleichschaltung [4]. In einem aktuellen beachtlichen Interview, das ein bekannter Nahost-Experte einem in alternativen Medien bekannten Journalisten gegeben hat, wird die Hybris, Doppelmoral und Heuchelei bei den Themen Afghanistan und Ukraine thematisiert und die Verhinderung einer ernsthaften Debattenkultur mit gegensätzlichen Meinungen als Talkshow-Inzest beschrieben [5].

Diese Ausgangslage und die gleichzeitige Fixierung der Ursprungsidee des Quds-Tages als Tag der Befreiung aller Unterdrückten, demonstriert am Kernkonflikt Jerusalem, das auf Arabisch Quds (Heilige) heißt, sollte uns möglicherweise zu dem Gedanken führen, dass wir versuchen den Quds-Tag auch als Befreiung Deutschlands zu verstehen. Ist nicht das deutsche Volk selbst unterdrückt? Ist es nicht ein Zeichen der Unterdrückung, wenn man alle imperialistischen Maßnahmen der USA und der Nato mittragen muss, ohne dagegen aufmucken zu können, obwohl wir eine der stärksten Wirtschaften der Welt haben? Ist es nicht ein Zeichen der Unterdrückung, dass Deutschland so viel Menschenrechte und dazu das Völkerrecht mit Füßen treten muss, um als einer der wichtigsten Unterstützer eines Kolonialgebildes ein Apartheidsystem zu rechtfertigen. Ist es nicht eine Unterdrückung der Wirtschaftsleistung Deutschlands, wenn wir ständig Tributzahlungen an die USA leisten müssen [6] und unsere eigene Wirtschaft ruinieren? Ist es wirklich im deutschen Interesse das umwelttechnisch katastrophale Fracking-Gas der USA zu kaufen und Feindschaft zu Russland aufzubauen? Ist es wirklich unser Interesse die Meinungsvielfalt dermaßen einzuschränken, dass wir immer mehr Meinungen verbieten müssen?

Und so mündet alles wieder in den Kernkonflikt unserer Zeit. Alle oben genannten Aspekte hängen mehr oder weniger mit dem Apartheidstaat Israel zusammen. Auch bei Israel ist keine Meinungsvielfalt erwünscht. Die Meinung, dass die Palästinenser ein vom Völkerrecht verbrieftes Recht zum Widerstand gegen den Besatzer haben, ist genau so verboten wie die Frage, warum Urenkel für Verbrechen der Urgroßeltern zahlen müssen, wenn doch die Gelder zur Aufrüstung eines Staates genutzt werden, der damals noch gar nicht existiert hat.

Der Quds-Tag ist auch ein Tag zur Befreiung Deutschlands! Doch jene Befreiung wird nicht einfach. Deutschland kann nur befreit werden, wenn wir aus der Nato austreten und uns lossagen von einem in jeder Hinsicht dementen „Führer“ [7]. Das aktuelle westlich-dominante Weltfinanzsystem ist dem Zusammenbruch geweiht. Hegemonialpolitische Entscheidungen des Werte-Westens [8], wie der Ausschluss Russlands aus dem Swift-System, haben den Zusammenbruch beschleunigt, da jetzt ernst zu nehmende alternative System entstehen.

Der Bundesgesundheitsminister behauptet, dass wir heutzutage so viele Staatsfeinde hätten, wie nie zuvor [9]. Auf die Idee nach den Ursachen seiner Wahrnehmung zu fragen, kommt er nicht. Könnte es nicht sein, dass jene „Staatsfeinde“ einfach nur kritische Bürger sind, die sich jedes menschenfreundliche System wünschen sollte, die nicht mehr bereit sind, das willkürliche Diktat von oben kritiklos hinzunehmen. Schließlich ist der Bundesgesundheitsminister ein Paradebeispiel für willkürliches Diktat von oben. Könnte es nicht sein, dass nicht die Zahl der Staatsfeinde in der Bevölkerung zugenommen hat, sondern die Bevölkerungsfeinde in der Staatsführung?

Deutschlands Zukunft liegt nicht im Schoss einer untergehenden Supermacht, außer die Inkompetenz selbstverliebter und gleichzeitig unfähiger Politiker bemerkt nicht, dass ihre Maßnahmen uns ins Verderben stürzen. Deutschlands Zukunft ist auch keine kriegerische gegen Russland, sondern als unparteiischer Leuchtturm für eine auf Gerechtigkeit basierende Weltordnung. Der aktuelle Zustand, stets an der Seite der größten Unterdrücker unserer Zeit zu stehen und das mit Völkerrecht und Menschenrechten zu begründen, ist unerträglich. Der Quds-Tag kann hierbei einen Weg aufzeigen, der auch in Deutschland Interesse finden kann. Die dahinterstehende Befreiungstheologie wird in einer zunehmen gottlosen Gesellschaft nicht viel bewirken. Aber wenn man sich auf die wesentlichen Aspekte der Befreiungstheologie konzentriert, wie z.B. Liebe, Frieden, wahre Freiheit und Gerechtigkeit, könnten sich auch Menschen angesprochen fühlen, die weder Gott noch die Propheten kennen (wollen). Das Apartheidsystem Israel wird nicht ewig existieren. Vieles in der Welt deutet darauf hin, dass wir vor epochalen Umbrüchen stehen. Der Quds-Tag kann einen Weg aufzeigen für Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit für alle Meschen gleichermaßen. Und wir hätten dann die Gnade, bei dieser Befreiung mitwirken zu dürfen.

[1] http://www.eslam.de/begriffe/q/quds-tag.htm
[2] Live Quds-Tag am 23.4.2022 im Internet und auf der Straße
[3] http://www.eslam.de/manuskripte/erklaeru...deutschland.htm
[4] http://sicht-vom-hochblauen.de/die-total...hecht-galinski/
[5] https://www.youtube.com/watch?v=-NxvWtIUXgI
[6] Offener Brief eines deutschen Muslims an den Iran (Teil 6: Tributzahlungen und Irreführung der Jugend)
[7] Der „Führer“ des Westens verwechselt Ukrainer mit Iranern – kein Zufall!
[8] Propaganda des Werte-Westens auf Hochtouren für Ukraine
[9] https://www.bild.de/bild-plus/politik/in...Login.bild.html


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zuletzt bearbeitet 20.04.2022 | Top

RE: Quds-Tag neu denken – denn es geht nicht nur um Palästina

#2 von Dr.Josef Haas ( gelöscht ) , 23.04.2022 09:24

Ihr Text, lieber Herr Dr. Özoguz, hat mich, vor allem emotional, sehr positiv angesprochen.
Sie haben dadurch, vor allem durch Ihre Erinnerung an die Tradition der Quds-Tage, dem anti-imperialistischen
Befreiungskampf einen Dienst erwiesen. Denn es ist ja tatsächlich so, dass dieser Gedenktag "auch ein Tag zur
Befreiung Deutschlands" werden könnte. Darauf hinzuarbeiten, bleibt infolge dessen, gerade zukünftig, Aufgabe
wie Herausforderung zugleich.
Denn das von Israel so geschundene und unterdrückte palästinensische Volk schreit ja förmlich nach unserer Hilfe
und Solidarität. Mögen wir dies also niemals vergessen und entsprechend handeln!

Dr.Josef Haas

   

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