#75 von
Werner Arndt
, 22.12.2020 12:11
Zitat
19. Dezember 2020
Die formbare Wahrheit
Das Vertrauen der Gesellschaft in die Wissenschaft wird missbraucht, um bestimmte Interessen durchzusetzen.
von Rainer Johannes Klement
...
Wissenschaft unterscheidet sich von Pseudowissenschaft, indem sie Behauptungen über die Realität auf empirische Daten stützt. Im Unterschied dazu lassen sich pseudowissenschaftliche Behauptungen entweder nicht belegen beziehungsweise falsifizieren oder werden trotz eindeutiger Widerlegung aufrechterhalten. Die Wissenschaft versucht, sich der Realität sukzessive anzunähern, indem sie Theorien und Hypothesen über die Natur anhand empirischer Beobachtungen (Daten) miteinander vergleicht. So will sie diejenigen herausfiltern, die das Wesen der Natur am besten beschreiben (4, 5).
Wissenschaft, die funktioniert, ist frei von Dogmen und offen für Diskurs, ja lebt sogar davon. Sie ist damit in der Lage, sich selbst zu korrigieren. Unsere Entdeckung eines extragalaktischen Planeten im Jahr 2010 (6), die später von anderen Wissenschaftlern aufgrund einer neuen Analyse als falsch herausgestellt wurde (7), ist ein gutes Beispiel dafür.
Was wir derzeit allerdings in Verbindung mit der Corona-Krise erleben, ist extrem bedenklich und besorgniserregend. Die Wissenschaft wird missbraucht, um politische und finanzielle Interessen durchzusetzen.
In den Mainstream-Medien tummeln sich regierungsnahe wissenschaftliche Experten und Sprecher von regierungsnahen Instituten mit massiven Interessenskonflikten. Alle malen das gleiche Bild dieser Krise und erzeugen somit einen falschen Eindruck von Einigkeit der Wissenschaft, der so nicht korrekt ist.
Von Beginn an wurden Wissenschaftler oder Ärzte, welche anderer Meinung waren, nicht in den öffentlichen Medien präsentiert, zensiert oder sogar öffentlich diffamiert. ...
Missbrauch von PCR-Tests und die Infektionszahl
Ein weiteres Beispiel für politischen Wissenschaftsmissbrauch ist die Massentestung der Bevölkerung mit Hilfe des PCR-Tests, einer molekularbiologischen Standard-Methode zum Nachweis kleinster Mengen von Genabschnitten. Von Beginn der Corona-Krise an berichten die Mainstream-Medien von den neuesten Infizierten-Zahlen, ohne auch nur einmal zu erwähnen, dass es sich in Wahrheit um positive PCR-Testergebnisse auf SARS-CoV-2-Virusbestandteile handelt.
Damit werden gleich zwei Tatsachen verschleiert: Erstens, dass die PCR-Tests wie alle medizinischen Tests falsch positive und falsch negative Ergebnisse liefern. Hier hätte man sogar die Chance nutzen können, der Bevölkerung etwas über den berühmten Satz von Bayes beizubringen, welcher für die Interpretation von medizinischen Testergebnissen, zum Beispiel Mammographie-Screenings oder HIV-Tests, essentiell ist (11) — dies hätte beispielsweise über die Methode natürlicher Häufigkeiten versucht werden können (12). Zweitens, und dieser Punkt ist viel entscheidender, wurde versäumt zu erwähnen, dass der PCR-Test keine Infektion mit dem Virus nachweisen kann. Das liegt daran, dass zum einen nur bestimmte Abschnitte eines viralen Genoms, aber nie dessen volle Länge, nachgewiesen werden, und dass selbst ein positiver Nachweis keinen Hinweis auf einen aktiven Virus liefern kann.
Externer Peer Review
Nun haben wir als ein Konsortium von 22 internationalen Wissenschaftler(inne)n aus verschiedenen Bereichen der Medizin, Mikro- und Molekularbiologie einen der bekanntesten PCR-Tests heftig kritisiert (13). Es handelt sich um den von Victor Corman, Christian Drosten und Kollegen entwickelten qualitativen PCR-Test zum Nachweis von SARS-CoV-2, dessen Beschreibung am 23. Januar als Originalarbeit im Journal Eurosurveillance publiziert wurde (14). In unserem externen Gutachten dieses Artikels identifizierten wir 10 methodische oder andere, nicht dem wissenschaftlichen Standard entsprechende Probleme, die eigentlich zur Zurücknahme („Retraction“) des Papiers führen müssten.
In einem Begleitschreiben an die Editoren des Journals Eurosurveillance fordern wir deshalb diese Zurücknahme (15). Die von uns entdeckten Fehler wurden bereits in anderen Artikeln gut beschrieben, auf die ich aus Platzgründen gerne verweise (16, 17). Zu den methodischen Fehlern zählen zu hohe Konzentrationen der verwendeten Primer, ein zu großer Unterschied in der Anlagerungstemperatur der verwendeten Primer, eine ungenügende Spezifizierung der Primer, eine ungenügende Abdeckung des Virusgenoms durch die Primer und eine zu hohe Anzahl an Replikationszyklen (13).
Im Wesentlichen führen die methodischen Fehler dazu, dass der von Drosten und Kollegen entwickelte Test wahrscheinlich eine ungenügende Spezifität hat, das heißt, dass er zu häufig falsch-positive Resultate erzeugt, indem er zum Beispiel auch auf andere Coronaviren anspricht. Dazu kommt, dass das Papier ziemlich sicher keinen „Peer Review“ Prozess, also ein wissenschaftliches Gutachten durch Fachkollegen, erfahren hat. Denn die Arbeit wurde innerhalb von 24 Stunden nach Einreichen zur Publikation angenommen (Abbildung 1).
Inzwischen konnten wir noch einen weiteren Fehler identifizieren: Auf Seite 4 schrieben Corman und Kollegen, dass sie sechs Coronaviren-Gensequenzen von Fledermäusen mit ihrem E-Gen Assay korrekt identifizieren konnten: „To show that the assays can detect other bat-associated SARS-related viruses, we used the E gene assay to test six bat-derived faecal samples available from Drexler et al. und Muth et al.“ (das Wort „und“ ist wörtlich zitiert) (14). Allerdings handelt es sich bei den angegebenen Gensequenzen um RdRp-Gene, nicht E-Gene.
Gutwillig könnte man dies als Druckfehler interpretieren, indem statt „E“ einfach „RdRp“ dastehen müsste. Da dieser Fehler allerdings zu Verwirrung führt, weil er keinen Sinn ergibt, deutet auch dies auf fehlenden Peer Review hin. Der Nachweis eines fehlenden Peer Review Prozesses sollte bei einer wissenschaftlichen Originalarbeit eigentlich zu einer redaktionellen Stellungnahme und einer Zurücknahme oder erneuten Begutachtung führen — außer die Autoren haben mächtige Beziehungen.
Genau das war hier auch der Fall, da Drosten und seine Mitautorin Chantal Reusken im Editorial Board von Eurosurveillance sitzen, was sie als Interessenkonflikt hätten angeben müssen. Dies taten sie genauso wenig wie die Mitautoren Olfert Landt und Marco Kaiser, welche finanzielle Verbindungen zur Firma TIB-Molbiol besitzen, welche die ersten PCR-Test-Kits basierend auf dem Corman-Drosten-Protokoll anbot. Weitere Zusatzinformationen zu den Interessenkonflikten der Autoren hat zum Beispiel Ansgar Neuhof auf Achut.com herausgearbeitet (16).
Von Christian Drosten selbst fehlt bisher eine offizielle Gegendarstellung zu unseren Argumenten. ...
Zumindest nimmt Eurosurveillance unser Papier ernst und hat eine Untersuchung unserer Forderung nach Zurücknahme angekündigt (20). Es bleibt zu hoffen, dass hier alleine der wissenschaftliche Inhalt unseres externen Peer Reviews bewertet werden wird, ohne politische und finanzielle Einflussnahme im Hintergrund.
Weitere Beispiele zum Missbrauch der Wissenschaft
Falls wir Erfolg haben, und Drosten und Kollegen ihr Papier zurückziehen müssen, beziehungsweise selbst wenn sie es nur nachträglich noch verbessern müssten, wäre dies ein deutliches Signal, die Corona-Maßnahmen endlich anhand der wissenschaftlichen Evidenz zu hinterfragen, anstelle sie durch pseudo-wissenschaftliche „Eminenz“ festzuklopfen.
Dazu noch drei Beispiele aus der aktuellen Forschung: Erstens erschienen kürzlich die Ergebnisse der sehr sauber durchgeführten randomisierten DANMASK-19 Studie zur Wirksamkeit von medizinischen Masken im Alltag, die keinen Nutzen zeigen konnte (21). Trotzdem wird der Maskenzwang weiterhin aufrechterhalten und sogar ausgeweitet. Zweitens konnte eine Untersuchung aus Wuhan, China, anhand von 1.174 getesteten nahen Kontaktpersonen von asymptomatischen „Infizierten“ absolut keinen Anhalt dafür finden, dass asymptomatische Menschen andere anstecken (22).
Trotzdem schicken wir reihenweise asymptomatische Personen in Quarantäne, nur weil sie ein (vermutlich falsch) positives PCR-Testergebnis haben. Drittens liegen nun viele Auswertungen zur Wirksamkeit der Lockdowns im Frühjahr vor, die allesamt keinen Zusammenhang zwischen dieser Maßnahme und einer Verringerung der Sterblichkeit zeigen konnten (23 bis 26), sondern im Gegenteil auf mehr Schaden als Nutzen hindeuten (27, 28).
Trotzdem hat die Regierung nun einen zweiten harten Lockdown kurz vor Weihnachten beschlossen, was vor allem durch eine ad-hoc Stellungnahme der Leopoldina Akademie vom 8. Dezember 2020 begründet wurde. Dieses Papier, das ganze 7 Seiten umfasst (davon zwei Seiten nur Namen der unterzeichnenden „Eminenz“), verlangte anhand einer einzigen Modellierungsstudie einen harten Lockdown ab 14. Dezember.
Noch am Tag ihrer Veröffentlichung drückte der ebenfalls der Leopoldina angehörende Professor für Wissenschaftsphilosophie Dr. Michael Esfeld in einem offenen Brief seine Bestürzung über dieses Papier aus, welches nach seiner Ansicht „die Prinzipien wissenschaftlicher und ethischer Redlichkeit“ verletze. Insbesondere mahnte er die Leopoldina „ihre Autorität nicht dazu (zu) verwenden, einseitige Stellungnahmen zu verfassen, die vorgeben, eine bestimmte politische Position wissenschaftlich zu untermauern“.
Selbst die Welt schrieb am 11. Dezember 2020, die Stellungnahme der Leopoldina sei „alles andere als ein wissenschaftliches Dokument, sie ist auch keine wissenschaftliche Zusammenfassung eines Forschungsstandes. Sie ist ein Sammelsurium von sorgenvollen Aussagen über die aktuelle Situation, kombiniert mit einigen drastischen Vorschlägen, die ihre Autorität daraus ziehen sollen, dass die Autoren nun einmal in leitenden Funktionen im Forschungsbereich tätig sind“ (29). Der Eminenz- statt evidenzbasierte zweite Lockdown in Deutschland ist also wieder ein massiver Missbrauch der Wissenschaft durch Politiker und deren Handlanger in wissenschaftlichen Einrichtungen.
Gezielte Meinungsmanipulation
Zum Abschluss möchte ich noch auf die neueste Mode des Wissenschaftsmissbrauchs durch sogenannte „Faktenchecker“ eingehen. Diese versuchen, den Absolutheitsanspruch einer bestimmten Meinung durchzusetzen, indem sie angebliche „falsche Fakten“ identifizieren und richtig stellen wollen. Kurz nach der Veröffentlichung unseres externen Corman-Drosten-Reviews erhielt ich einen Anruf von der Pressestelle meines Krankenhauses, dass ein Faktenchecker sich erkundigt hatte, ob ich hier angestellt sei und wissentlich mit auf dem Papier stehe. In seiner E-Mail an das Krankenhaus hieß es dazu zur Begründung: „Über eine zeitnahe Rückmeldung freue ich mich sehr. Sie helfen damit der Verbreitung von falschen Informationen etwas entgegen zu stellen.“
Es stellt sich natürlich die Frage, wie solch ein Faktenchecker, der in diesem Fall übrigens einen Masterabschluss in Theater-, Film- und Medienwissenschaft besaß, darüber urteilen möchte, ob eine wissenschaftliche Arbeit, die von einem Konsortium aus 22 Wissenschaftlern angefertigt wurde, falsche Informationen enthält. Der Leser entscheide selbst, ob das realistisch und ein solches Vorgehen erstrebenswert ist.
Für mich sind diese Faktenchecks nichts weiter als eine gezielte Manipulation der Meinung der Bürger unter dem Deckmantel von Wissenschaftlichkeit.
Sie erinnern stark an das Ministerium für Wahrheit aus George Orwells‘s dystopischem Roman „1984“ — ein deutliches Warnsignal, das wir alle ernst nehmen sollten. Denn Wissenschaft ist in der Lage sich selbst zu korrigieren; es braucht dazu weder Faktenchecker noch Politik.
https://www.rubikon.news/artikel/die-formbare-wahrheit